Italien bei der EM 2020: Mit der "Rasselbande" zum Erfolg?
Von Christian Gaul
Am 11. Juni 2021 beginnt mit einem Jahr Verspätung die EM 2020. Im Vorfeld des Turniers werfen wir einen Blick auf die teilnehmenden Nationen und stellen Schlüsselspieler vor. Zudem findet ihr bei uns die Termine und möglichen Aufstellungen aller 24 Mannschaften.
Mit Italien meldet sich ein einstiger Gigant auf der großen Bühne zurück, nachdem die Squadra Azzurra bei der WM 2018 nur am Fernseher teilnahm. Bei der letzten Europameisterschaft scheiterte man allerdings erst im Viertelfinale, nachdem das Elfmeterschießen an Jonas Hector und die deutsche Mannschaft ging.
Kann die stark verjüngte Truppe bei der Euro 2020 an den alten Glanz anknüpfen oder stellt sich der vollzogene Umbruch als Augenwischerei heraus?
Bei der EM 2016 konnte Italien überzeugen. Als Gruppensieger zog man in das Achtelfinale gegen die favorisierten Spanier ein und kegelte die Iberer mit einem 2:0 aus dem Turnier. Obwohl mit Giorgio Chiellini einer der Torschützen von damals auch diesmal wieder im Kader steht, handelt es sich um ein stark aufgefrischtes Team.
Zwar beträgt das Durchschnittsalter der nominierten Mannschaft satte 27,8 Jahre, doch für italienische Verhältnisse ist dies ein Durchbruch - immerhin kratzte man in der Vergangenheit gefühlt an der 40. Zudem heben Chiellini (36), Leonardo Bonucci (34), Francesco Acerbi (33) und Salvatore Sirigu (34) den Schnitt erheblich.
Ansonsten handelt es sich tatsächlich um Spieler, die sich im besten Alter befinden und einige vielversprechende Talente. In der Gruppe A wird Italien auf die Schweiz. auf Wales und - im Eröffnungsspiel des Turniers - auf die Türkei treffen. Wenn man den Kader der Italiener betrachtet, dann sollte der Gruppensieg in Reichweite sein.
Der Kader
Der italienische Nationaltrainer Roberto Mancini ließ sich wortwörtlich bis zur letzten Sekunde Zeit, seinen endgültigen Kader für die Euro 2020 zu benennen. Vermutlich auch deshalb, weil mit Marco Verratti (PSG) und Stefano Sensi (Inter Mailand) gleich zwei verletzte Spieler ihre Nominierung rechtfertigen mussten. Zudem reist auch der 21-jährige Stürmer Giacomo Raspadori (Sassuolo) zur EM der Herren, nachdem er noch bis wenige Tage zuvor das Turnier der U21 spielte.
Generell kann Mancini auf eine erfahrene Achse bauen. Im Tor wird Milans Gianluigi Donnarumma stehen, der 22-Jährige tritt das Erbe Buffons an und kommt bereits auf 25 Länderspiele. In der Innenverteidigung wird Leonardo Bonucci (Juventus) den Chef geben, an seiner Seite wird der aufstrebende Alessandro Bastoni von Inter Mailand erwartet. Chiellini, Acerbi und der 30-jährige Rafael Toloi (Atalanta Bergamo) sind die erfahrenen Alternativen.
Auf der rechten Seite wird Alessandro Florenzi (PSG) gesetzt sein, auf links spricht Einiges für Leonardo Spinazzola (AS Rom). Emerson (FC Chelsea) und Giovanni Di Lorenzo (Napoli) werden wohl das Nachsehen haben.
Im Herzstück der Zentrale wird es spannend werden, ob und wann Verratti eingreifen kann. Momentan scheint es so, als würde der 28-Jährige die komplette Vorrunde wegen seiner Knieverletzung verpassen.
Da auch Sensi noch angeschlagen ist, wird sich wohl Lorenzo Pellegrini (AS Rom) neben den gesetzten Jorginho (FC Chelsea) und Nicolo Barella (Inter) einreihen. Doch auch Bryan Cristante (AS Rom) und Manuel Locatelli (Sassuolo) sind der Beleg dafür, dass Italien besonders im zentralen Mittelfeld über erstaunliche Qualität und großes Potenzial verfügt.
Im Angriff hingegen scheint eindeutig, dass Lorenzo Insigne (Napoli), Federico Chiesa (Juventus) und Ciro Immobile (Lazio) ihre Plätze behaupten werden. Zwar hat Mancini mit Andrea Belotti (FC Turin), Federico Bernadeschi (Juventus), Domenico Berardi (Sassuolo) und dem jungen Raspadori gute Optionen, doch das genannte Trio ist unangefochten.
Die mögliche Startelf der Italiener (in der Vorrunde):
Der Schlüsselspieler - Jorginho
Der frischgebackene Henkelpott-Besitzer ist besonders in Abwesenheit von Verratti der absolute Taktgeber in der italienischen Zentrale. Mit 29 Jahren kommt der gebürtige Brasilianer zwar erst auf bescheidene 27 Länderspiele für die Squadra Azzurra, ist dennoch innerhalb des Teams das anerkannte Bindungsglied zwischen der traditionell starken Abwehr und der geschmeidigen Offensive.
Der Triumph in der Champions League mit Chelsea könnte ihm einen zusätzlichen Schub verliehen haben und ihn damit in die absolute Chef-Rolle befördern. Hält er die Defensive zusammen und findet die starken Außen wie Chiesa und Insigne, dann wird Italien weit kommen.
Der Aufstrebende - Federico Chiesa
Der 23-Jährige spielte bei Juve eine extrem starke Saison an der Seite von Cristiano Ronaldo. Insgesamt sammelte der Sohn des berühmten Enrico in 46 Spielen satte 26 Torbeteiligungen und wirbelte mit seiner enormen Energie sämtliche Abwehrreihen durcheinander. Dass es für Juve in der Serie A nur zu einem vierten Platz reichte, lag am wenigsten an ihm.
Im Dress seiner Nationalmannschaft ist Chiesas Quote hingegen noch ausbaufähig - ein einziger Treffer gelang ihm in seinen bisherigen 24 Partien. Das will der Rechtsaußen nun zwingend ändern und seine in der abgelaufenen Spielzeit präsentierte Form spricht klar dafür, dass es Chiesa gelingen wird.
Die Problematik: Hält Mancinis Konstrukt ohne Verratti?
Der wahrscheinliche Ausfall Verrattis muss in der Vorrunde kompensiert werden. Zwar hat Italien ein reichhaltiges Angebot an talentierten Mittelfeldspielern, doch der Pariser wird der Mannschaft sportlich und als Lautsprecher fehlen.
Schafft es Mancini, das Fehlen des Achters mit Akteuren wie Pellegrini oder Cristante vergessen zu machen, dann stellt sich zudem die Frage, ob Verratti bei entsprechender Fitness überhaupt nachträglich installiert werden muss.
Doch Italien ist eine klassische Turniermannschaft. Überstehen sie die Gruppenphase, dann werden neue Helden geboren und Mancini eher als Moderator gefragt sein. Das Team will sich für die verpasste WM revanchieren, Einzelschicksale werden dabei nicht berücksichtigt. Der Heimvorteil in der gesamten Vorrunde wird sein Übriges tun.
Die Termine der Italiener in der Vorrunde:
Freitag, 11.06.2021, 21:00 Uhr: Türkei - Italien (Rom)
Mittwoch, 16.06.2021, 21:00 Uhr: Italien - Schweiz (Rom)
Sonntag, 20.06.2021, 18:00 Uhr: Italien - Wales (Rom)