Ist dieser HSV noch zu retten?
Von Guido Müller
Der Hamburger SV hat die Stadtmeisterschaft gegen den FC St.Pauli verloren. Wirklich überraschen kann das angesichts der über die letzten Wochen gezeigten Leistungen der Rothosen eigentlich keinen. Die Antwort auf die Frage, wie man dieser in sich zusammenfallenden Truppe wieder neues Leben einhauchen kann, führt nun unweigerlich auch zum Trainer.
Denn auch der wirkte nach dem Spiel ratlos. Konsterniert. Geschockt. Und flüchtete sich in substanzlose Phrasen von wegen "Sonntagsschuss", der das Spiel am Ende entschieden hätte. Das einzige mit einem Sonntag in Bezug zu bringende bei der Situation vor dem spielentscheidenden Treffer von Kyereh war der gemütliche Spaziergang von David Kinsombi.
Der, nachdem er von einem dreimal fitter wirkenden Zalazar ausgedribbelt wurde, es auch nicht für nötig hielt, nach Salazars Chipball in den HSV-Strafraum den Raum hinter dem angespielten Zander zu decken. Folge: In der 88. Minute dieses 105. Hamburger Stadtderbys steht auf einmal ein Paulianer (Kyereh) so allein im Strafraum, als wäre er in häuslicher Corona-Quarantäne.
Statt einen Punkt mitzunehmen, ließ sich der HSV mal wieder die ganze Butter vom Brot nehmen - und verlor am Ende auch noch Tim Leibold für mindestens zwei Spiele.
Doch damit hier gar nicht erst Zweifel aufkommen: Kinsombi ist an dieser Stelle stellvertretend für alle HSV-Spieler genannt. Das war gestern, bis auf eine Alibi-Sturm-und-Drang-Phase zu Beginn der Partie, vor allem ab Mitte der ersten Halbzeit schlicht und einfach zu wenig, um ein Zweitligaspiel erfolgreich zu bestreiten.
Die einzigen Chancen der Rothosen entsprangen Standardsituationen. Kittel bei zwei direkt getretenen Freistößen kann man dabei zumindest ein wenig Pech attestieren. Sein erster Schuss prallte an die Latte, sein zweiter wurde von Stojanovic stark gehalten. Dazu noch die kläglich vergebene Kopfballchance von Gideon Jung in der 22. Minute - das war's.
Trainer-Diskussion wirklich sinnvoll?
Aus gefällig vorgetragenen Kombinationen heraus konnte sich der HSV nicht eine einzige (!) echte Torchance herausspielen. Wo ist die Leichtigkeit geblieben? Wo der Spielwitz? Wo das Aufbäumen gegen Rückschläge?
Die Antwort auf diese Fragen (siehe oben) führt zu Daniel Thioune. Doch eigentlich führt sie noch höher. In die Etagen über Thioune. Und schon landet man wieder beim weitaus komplexer darzustellenden Problem dieses Vereins: dem der fehlenden Leistungskultur.
Denn jeder Trainer ist so mächtig wie die Strukturen, in denen er arbeitet. Sind diese nicht durchdrungen von einem alles andere unterordnenden Geist der Leistungsbereitschaft, hat es jeder Trainer der Welt schwer.
Ich darf an dieser Stelle auf die in den einschlägigen virtuellen Foren immer wieder zu lesende Bemerkung verweisen: Den HSV könnte zur Zeit auch ein Jürgen Klopp trainieren - er würde ähnlich scheitern.
Außer er wäre als Einzelner in der Lage, den ganzen Klub mit sich zu reißen und neu aufzustellen. Wie er es in Mainz oder Dortmund getan hat. Wobei dort auch schon eine gewisse Kernkompetenz in den führenden Vereinsebenen vorhanden war.
Die Führungsebene beim HSV jedoch verliert sich lieber in von Eitelkeiten geprägten Grabenkämpfen - und scheint hinterher sogar verwundert, dass diese das Team anscheinend doch mehr beschäftigen als sie es wahrhaben wollen.
Auch ein Hrubesch könnte momentan nichts bewirken
Von daher ist der Ruf nach einem Retter in der Person eines Horst Hrubesch zwar nachvollziehbar, ob er jedoch wirklich zielführend ist, bleibt mehr als fraglich. Einen bald 70-Jährigen in einen One-Man-War gegen eingekrustete Strukturen zu schicken - kann man machen. Doch sich allzu viel davon zu versprechen, wäre Selbstbetrug.
Denn Hrubesch würde scheitern. Und weil er ein gerader Typ mit klarer Kante und Haltung ist, würde er schon bald das Handtuch werfen.
Und das Spiel ginge von vorne los. Dieser Klub braucht - vor neuem Trainer, vor neuem kickenden Personal, vor neuen Sportdirektoren und Sportvorständen - vor allem eine neue Leit- und Leistungskultur.
Ansonsten dürfte die gestrige Niederlage gegen den Stadtrivalen nicht die letzte in den kommenden Jahren gewesen sein.