Internationaler Tag der Selbstmordprävention: In Gedenken zum frühen Tod von Robert Enke
Von Guido Müller
Am Freitag, den 10.09. begeht die Welt den Internationalen Tag der Selbstmordprävention. Ein Thema, das in der Gesellschaft immer noch mit Berührungsängsten, wenn nicht mit Tabu belegt ist. Doch geht auch dieses Phänomen aus dem Schattenreich der menschlichen Seele letzten Endes uns alle, als Menschen und Mitmenschen, an. Auch in der scheinbar immer fröhlich glitzernden Fußball-Welt.
Dies bekamen wir Fußballfans hierzulande zuletzt im November 2009 eindringlich vor Augen geführt. An jenem Abend nämlich drang in die Wohnzimmer der Republik die niederschmetternde Kunde vom Freitod des deutschen Nationaltorhüters Robert Enke.
Wie eine Schockwelle erfasste die Nachricht ihre Empfänger. Vielleicht war der Schrecken in der Fußball-Gemeinde noch ein bisschen größer. Denn in dieser passte eine solche Tragödie einfach nicht ins Bild. Die große Bühne des Profi-Fußballs schien uns einzig den starken, unzerbrechlichen Charakteren vorbehalten.
Und selbst wenn wir es uns insgeheim eingeständen hätten, dass auch dieses Paralleluniversum, mit seinen absurden Geldflüssen, seinen bisweilen überlauten Protagonisten, seinen exaltierten Leidenschaften (im Guten wie im Schlechten!) irgendeine Schnittmenge mit der "normalen" Welt haben müsste: wir hätten es von uns geschoben.
Weil auch unsere Blicke durch die gleißenden Scheinwerfer der immer präsenten Medien schon geblendet waren. Weil Heroen nicht fallen können - und wenn, dann nur, um sofort wieder aufzustehen. So wie sie es allwöchentlich, mit uns als Zuschauern, in den Stadien dieser Welt tun.
Jeder Freitod eines Menschen hinterlässt bei den Verbliebenen, bei den Familienangehörigen, bei den Freunden und Bekannten, diese eine große Frage: hätten wir etwas tun können? Die Enkes, schon vor dem fatalen Ausgang der vom Schicksal geschriebenen Tragödie, wollten auf die Liebe setzen.
Doch die war nicht genug, wie die Witwe später erkennen musste. Vielleicht hätte Verständnis von außen mehr bewirken können. Oder schlichtweg - mehr Gelassenheit im Umgang mit diesem Sport. Auch oder gerade von uns Fans.
Leidenschaft, ja - Übersteigerung zum blutigen Ernst, nein!
Der Fußball lebt freilich von Leidenschaft, und ein jeder Fan soll sie auch ausleben. Aber es sei immer daran erinnert, dass dieser Sport in seinem Kern weiterhin nur ein Spiel ist. Auch wenn einige wenige von uns damit einen luxuriösen Lebensunterhalt bestreiten können.
Er bleibt die "wichtigste Nebensache der Welt" - auch wenn in manchen TV-Formaten die Platzierung einer Fußball-Nachricht noch vor der Information über eine viele Tote fordernde Unwetter-Katastrophe am anderen Ende der Welt uns das Gegenteil suggerieren mag.
Für die Fans, für die Tausenden und Abertausenden von Fußball-Freunden, die in die Stadien pilgern oder das Spiel mit Gleichgesinnten in den einschlägigen Bars verfolgen, sollte es, bei aller Liebe zum eigenen Klub, immer noch ein Spiel bleiben.
Es zu einer Sache von Leben und Tod, oder gar noch ernster (Bill Shankly), zu verformen, mag kurzfristig einen gewissen werbetrommlerischen Effekt erzielen und hier und da eine Schlagzeile generieren - wirklich sinnvoll ist es nicht.
Die dramatische Überhöhung des Spiels verleiht dem Spiel einen unverhältnismäßigen Ernst, der letztlich zu bisweilen unerträglichem Druck und in der Folge zu noch mehr Versagensängsten bei den eigentlichen Hauptdarstellern, den Spielern selbst, führt.
Das kann bei dem einen zu simplen Schlafstörungen oder nervösen Ticks führen. Der andere greift vielleicht schon regelmäßig nach der Rückkehr ins traute Heim zur Flasche. Und noch ein anderer findet überhaupt keinen Ausweg mehr.
Eine Gesellschaft, in der Schwäche nicht sein darf
Allen gemein ist die Scham, Zeuge der eigenen Schwäche zu sein, in der gleichzeitigen Erkenntnis, mit dem Problem allein gelassen zu werden. Und die Angst davor, von der Öffentlichkeit, sollte diese über diese seelischen Abgründe erfahren, just für diese Schwäche angeklagt zu werden.
Wahrscheinlich - nein, ich korrigiere mich: Natürlich ist es naiv zu glauben, dass sich eine in vielen Aspekten des Lebens so hochentwickelte Gesellschaft nochmals des Kerns ihres Daseins erinnern könne.
Im heutigen Dasein scheint es jedenfalls hauptsächlich immer nur um ein Weiter, Höher, Schneller, Besser, Schöner zu gehen. Der Mensch: ein Wesen, verdammt dazu, sich ständig und überall zu optimieren.
Jede Siegesserie wird beklatscht - nur um ihr Ende, das zwangsläufig einer jeden Serie gesetzt ist, zu verteufeln. Aus den Helden von gestern werden binnen neunzig Minuten die Versager von heute.
Manchmal bestimmt nur eine gewöhnliche Aluminiumstange über den Ausgang einer Partie. Doch selbst dann lässt sich irgendwo auf dem Platz sicher noch ein Sündenbock für das Ausscheiden oder die Niederlage finden. Und sei es der Schiedsrichter.
Wir wissen das - und machen trotzdem dabei mit. Es ist dieser in uns allen keimende Widerspruch. Unauflösbar - und deshalb vielleicht auch unvermeidbar.
Robert Enke konnte mit diesem Widerspruch nicht mehr leben. Und das sollte uns allen zu denken geben.