Identitätskrise beim BVB: ein unlösbares Problem?

Wer will der BVB eigentlich sein?
Wer will der BVB eigentlich sein? / Lars Baron/Getty Images
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Der BVB sieht sich am Saisonende einem weiteren Neuanfang gegenüber. Auf Personalebene wird wieder mächtig rotiert, aussortiert und umgestellt. Das Kernproblem liegt allerdings nicht bei den Individualisten, sondern in einer tiefgreifenden Identitätskrise, die sich seit Jahren durch Dortmund zieht.


Die Aufmüpfigen; die Jungen Wilden; die Revolutionäre; die Bayern-Jäger - der BVB hat in den vergangenen 10,15 Jahren diverse Rollen bedient. Seit dem umrühmlichen Abgang von Thomas Tuchel, der im Sommer 2017 gegangen wurde, steckt Borussia Dortmund jedoch in einer Identitätskrise, die sich seither durch jede Saison zieht und eine Unruhe entfacht, die man so in Dortmund gar nicht mehr kennt.

Die Ansätze von Peter Bosz und Mannschaft, wie auch von Lucien Favre und Mannschaft waren herausragend. Auf schlechte Arbeit ist der Sand im Getriebe nicht zurückzuführen. Das gilt auch für die Führungsriege. Michael Zorcs Kaderplanung sucht ihresgleichen, auch Sebastian Kehl hat sich als Leiter der Lizenzspielerabteilung schnell etabliert und sich für die Nachfolge Zorcs 2022 empfohlen. Dem Vorwurf, zu sehr auf junge und später rentable Spieler zu setzen, ist der BVB mit der Verpflichtung von Top-Stars und Veteranen wie Mats Hummels, Axel Witsel oder Emre Can entgegengetreten. Eigentlich passt also alles. Nur die Rolle ist irgendwie nicht klar.

Und das ist ein Problem des Modernen Fußballs, der Region und der fehlenden wirtschaftlichen Balance.

Das Unternehmen BVB ist die Elite!

Fußball-Clubs lassen sich nicht mehr in Silber, sondern in Gold aufwiegen. Überhaupt ist das Konzept Fußball-Club ausgestorben; heutzutage reden wir von Betrieben. Und Betriebswirtschaft, die kann BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wie kein Zweiter. Zum Vergleich: 2006, als Watzke sein Amt beim Bundesligisten antrat, schrieb der BVB einen Jahres-Umsatz von 88,7 Millionen Euro. 2020 waren es 442 Millionen Euro. Außerdem fielen in diese Zeit zwei Deutsche Meisterschaften, zwei DFB-Pokalsiege und eine Teilnahme am Champions-League-Finale. Die Marke BVB ist heute weltweit eine Institution.

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Hans-Joachim Watzke leistet beim BVB herausragende Arbeit / INA FASSBENDER/Getty Images

Was sich hier so schön liest, hat allerdings nichts mit den sportlichen Problemen der Schwarz-Gelben zu tun. Die liegen nämlich auf dem Rasen, wo immer noch elf gegen elf gespielt wird. Der Moderne Fußball fordert allerdings mehr als das: Progression! Und die ist in Dortmund schlichtweg kaum mehr möglich. Der Schritt auf das nächste Level ist riesig - denn so viele Stufen nach Oben gibt es nicht mehr. Diesen Schritt haben der FC Bayern und die restlichen paar europäischen Spitzenclubs bereits gehen können. Die Rolle, die vom BVB eingefordert wird - nämlich die, zu einem der Götter auf dem Fußball-Olymp gezählt zu werden - ist zu weit entfernt.

Echte Liebe beim BVB: Bemerkenswert - nur Titel gewinnt man damit nicht

Dort passt die Region Dortmund vielleicht auch einfach nicht hin. Hierzulande atmet man noch Kohle und schwitzt Nostalgie und Romantik. Dieser Spirit ist im Verein weiterhin zu spüren. Das ist, im Angesicht der raketenartigen Entwicklung, bemerkenswert. Das bedeutet aber eben auch eine gewisse Demut und eine Entscheidungsfindung, die das Kollektiv pflegt und nicht die des Einzelnen.

Und das Kollektiv Borussia Dortmund lässt sich unter dem Slogan zusammenfassen: Echte Liebe. Da kann Niemand auf dem Platz stehen, der sich für Schwarz und Gelb nicht zerreißen würde. Erzähl' das mal dem 17-jährigen Engländer, der in dem Wissen geholt wird, zwei, vielleicht drei Jahre später für einen ordentlichen Transferüberschuss an einen besseren Club verkauft zu werden. Der Fußball ist zu schnell, zu elitär, zu glänzend für Dortmund geworden. Es ist respektabel, dass der Verein die eigene Tradition honoriert. Aber Fakt ist: der BVB will Titel gewinnen und Silberware holst du nicht mit Kohle und Nostalgie.

Dortmund ist halt nicht München, London oder Barcelona

Apropos Kohle: die hat sich der BVB in den vergangenen Jahren zuhauf erwirtschaftet. Genutzt wird dieses Geld für die Stabilität des Vereins, die Weiterentwicklung der Posten und als Investment, um wirtschaftlich weiter aufzusteigen. Und schließlich: um schwarze Zahlen zu schreiben! Ein Verein, der vor 16 Jahren vor dem Konkurs stand, kann nicht guten Gewissens 80 Millionen Euro für einen Spieler verpulvern und darauf wetten, dass sich die Investition lohnt.

In München, London, Barcelona oder Madrid sieht das anders aus. Dort gehen diese Summen über die Ladentheke und dort wird Geld verbrannt, wie Heu. Alleine Lucas Hernandez und Corentin Tolisso kosteten zusammen so viel, wie die letzten zehn oder fünfzehn Spieler, die der BVB verpflichtet hat. Und Tolisso und Hernandez sitzen beim FC Bayern auf der Bank. Kommt deswegen jemand an der Säbener Straße ins Schwitzen? Sicher nicht.

Und wir reden hier vom gesund wirtschaftenden FC Bayern. Blickt man nach England oder Spanien oder mittlerweile auch nach Italien - das sind wirtschaftliche Welten, die mit der in Deutschland nichts mehr zu tun haben.

Der BVB ist das Opfer des eigenen Erfolges

Wo der BVB hinwill, wo der BVB hinsoll und wo der BVB hinkam sind die zentralen Fragen hinsichtlich der schwarz-gelben Identität.

Borussia Dortmund will ganz nach oben und Titel gewinnen, sich und den eigenen Finanzen wie auch Werten dabei aber treu bleiben. Der BVB soll - das ist der Erwartungsdruck von Außen - zu dem FC Bayern und den europäischen Top-Clubs aufschließen, um aus deutscher Sicht wieder mehr Erfolgs-Spannung zu erzeugen. Und schließlich, wo der BVB hinkann. Nun, Entwicklungsspielraum ist immer da. Doch schauen wir uns die Entwicklung in den letzten 15 Jahren an, dann ist klar, dass Borussia Dortmund schon lange an einer Spitze angekommen ist, die diesem Verein Niemand zugetraut hätte.

Die Diskrepanzen zwischen diesen drei Fragen sind so angewachsen, so groß geworden, dass der BVB aktuell keine klare Identität aufweisen kann. Das spürt man im Verein, auf dem Rasen und an den Mikrofonen. Die Lösung des Problems könnte eine Umformulierung der sportlichen Ziele sein: es genügt, Jahr für Jahr in die Champions League zu kommen. Es genügt, dass wir finanziell wachsen und ansehnlichen Fußball spielen. Allein: wem genügt das heutzutage schon?