HSV: Verpasster Lohn nach gutem Auftritt - die Noten zum 1:1 gegen Holstein Kiel
Von Marcel Stummeyer
Der Hamburger Sport-Verein schafft es trotz drückender Überlegenheit und guten Chancen nicht gegen Holsten Kiel zu gewinnen. In einem ansehnlichen Top-Spiel mussten die Rothosen zwar eine frühe kalte Dusche verarbeiten, taten dies allerdings eindrucksvoll. Nach einem guten Auftritt fehlte lediglich die letzte Konsequenz im Abschluss. Die Noten zum Spiel.
Nach Wochen der Enttäuschung droht an der Elbe mal wieder der Absturz. Platz 14 in der Rückrundentabelle, zwei Niederlagen in Folge und ein Simon Terodde, der schon seit 330 Minuten kein Tor mehr erzielt hat - der Frühling wirft seinen traditionell undankbaren Schatten voraus.
Und dann kommt auch noch Kiel in den Volkspark: gegen den KSV konnte der HSV bislang keines der fünf Ligaduelle gewinnen.
Besonders die vergangenen zwei Wochen waren rabenschwarz aus Sicht der Hanseaten. Erst verlor man beim Tabellenletzten aus Würzburg mit 2:3 und zu allem Übel ging auch noch das Derby gegen den FC St. Pauli mächtig in die Hose. Nicht nur, dass man kurz vor Schluss das entscheidende 0:1 kassierte und die Stadtmeisterschaft damit erneut an den ungeliebten Nachbarn abdrücken musste, in der Nachspielzeit brannten Kapitän Tim Leibold die Sicherungen durch und ließ sich zu einem unnötigen Tritt verleiten.
Für zwei Spiele muss der Capitano zuschauen: Gegen die Top-Teams Kiel und Bochum wird "Leibe" damit nicht zur Verfügung stehen. Die wichtigsten Wochen des Jahres müssen die Rothosen ohne ihren etatmäßigen Spielführer bestehen.
Zusätzlich sorgten einige Gerüchte vor dem Nord-Duell für Brisanz: Diversen Medienberichten zu Folge steht Kiel-Spielmacher Jae-Sung Lee vor einem ablösefreien Wechsel im Sommer an die Elbe. Demnach wird der Nationalspieler Südkoreas in der nächsten Saison im Dress des HSV auflaufen. Einen Haken soll es an diesem Deal jedoch geben: Der Aufstieg in die Bundesliga wird als Voraussetzung genannt.
Veränderungen in der Startelf
Der HSV verlor im Derby nicht nur seinen Kapitän durch eine rote Karte, auch Comebacker Rick van Drongelen verletzte sich kurz nach seiner Einwechslung erneut schwer. Zwar muss der Innenverteidiger nicht operiert werden, der Außenbandriss im Sprunggelenk setzt den 22-Jährigen aber bis mindestens Ende März außer Gefecht.
Da es im Kader der Hansestädter an gelernten Außenverteidigern mangelt, musste Jan Gyamerah einspringen. Außerdem rückte Moritz Heyer in die Innenverteidigung, wo er den in letzter Zeit häufig wackeligen Gideon Jung verdrängte. Den freien Platz im Mittelfeld sicherte sich Oldie Aaron Hunt.
Frühe kalte Dusche - HSV gleicht aus und drückt
Bereits in der 8. Minute konnte Lee die Gäste per Kopf in Führung bringen. Nach einer Ecke kam der 28-Jährige relativ unbedrängt zum Abschluss. Sein Gegenspieler, Jan Gyamerah, konnte nicht entscheidend klären und sah in der Situation wenig souverän aus.
Bereits das zehnte Standardgegentor für die Hamburger, die optisch zwar um Widergutmachung bemüht waren, eine sehr gute Doppelchance in der 17. Minute aber nicht nutzen konnten.
Erst Kittel, dann Hunt - Gelios im Tor der Störche reagierte stark.
Die Mannschaft von Daniel Thioune setzte nun auf Angriffspressing. Früh wurden die Gäste von der Förde angelaufen, hoch wurde verteidigt. In Spielminute 23 nahm sich Bakery Jatta ein Herz, der vorher kaum zu sehen war. Der 22-jährige schnappte sich im Mittelfeld den Ball und setzte zu einem überragenden Dribbling an. Nach doppeltem Doppelpass mit Simon Terodde lag der Ball im Tor - 1:1, ein herrlich herausgespielter Treffer und die 20. Bude für Terrodde in der laufenden Spielzeit.
Knappe zehn Minuten später wären die Rothosen sogar beinahe in Führung gegangen, nach einer starken Kittel-Flanke köpfte Josha Vagnoman aus kürzester Distanz jedoch an den Pfosten.
Anders als in de vergangenen Wochen blieben die Rothosen am Ball und ihrer Linie treu. Einige Aktionen wurden in Richtung des Gästetores gefahren, besonders gefährlich wurde es in der 41. Minute erneut durch Vagnoman, erneut nach einem Eckball, erneut per Kopf. Dieses Mal war aber nicht am Pfosten, sondern in den Händen des Kieler Keepers Schluss, der schnell schaltete und einen Konter einleitete. Im 1-gegen-1 blieb Sven Ulreich aber Sieger. Der 32-jährige parierte gegen Fin Bartels stark.
HSV nutzt Übergewicht nicht - beste Chancen bleiben ungenutzt
Die Hausherren starteten mit Volldampf in den zweiten Spielabschnitt. Schon wenige Minuten nach dem Seitenwechsel näherte sich das Spielgerät einige Male vielversprechend dem Tor der Gäste.
Eine Führung wäre zu diesem Zeitpunkt bereits verdient, wenn nicht sogar Pflicht gewesen.
Konzentriert und ballsicher spulten die Volkspark-Boys ihr Pensum ab. Spielerisch entstand schnell ein deutliches Übergewicht, in jedem Bereich hatte der HSV die Nase vorn, alleine der so wichtige Lohn fehlte schmerzlich.
Eine Vielzahl guter Gelegenheiten blieb ungenutzt, wobei sich die Hansestädter über die gesamte Spielzeit (nach dem 0:1) als das deutlich aktivere und reifere Team präsentierten. Wichtig war jedoch, dass man sich heute keinen Lucky-Punch fing. Im Umschaltspiel der Kieler steckt eine Menge Potenzial, das heute von einer stabilen Abwehr aber sehr gut abgefedert wurde. Defensiv wurde die Arbeit zuverlässig erledigt, vorne fehlte mehrfach das letzte Quäntchen Glück.
Die Noten des Spiels:
1. Tor
Sven Ulreich war beim 0:1 relativ machtlos und hielt kurz vor der Pause stark das Unentschieden fest. Nach dem Kabinengang wurde der 32-Jährige nicht mehr ernsthaft geprüft. Mit dem Ball am Fuß wieder nicht astrein, aber verbessert.
Note: 3
2. Abwehr
Josha Vagnoman wurde zum Unglücksraben trotz ansehnlicher Leistung. Das Eigengewächs der Rothosen hätte die Partie im Alleingang entscheiden können, beste Kopfball-Möglichkeiten fanden allerdings nicht den Weg in das Tor der Gäste.
Offensiv war der 22-Jährige viel unterwegs und sorgte für Gefahr, aber auch in der Defensive blieb der U21-Nationalspieler fehlerfrei. Zu einem perfekten Auftritt hat nur der Torerfolg gefehlt. Mindestens eine Chance hätte der Youngster nutzen müssen, dann hätte es drei wichtige Punkte gegeben.
Note: 2
Stephan Ambrosius holte sich zwar früh die gelbe Karte ab, wandelte die Vorbelastung jedoch in eine stabile Leistung um. Selten hatte man die Angst, dass der Innenverteidiger mit der Ampelkarte runter muss.
Der Nationalspieler ist fähig, trotz einer Verwarnung das nötige Risiko in seine Zweikämpfe einzubauen - eine tolle Fähigkeit, denn der Verteidiger hatte seine Gegenspieler in der Tasche und ließ keinen gefährlichen Abschluss zu.
Note: 2,5
Moritz Heyer rotierte zurück in die Innenverteidigung und erledigte seinen Job wie gewohnt ohne Wackler und größere Schnörkel. Jeden Ball putzte der ehemalige Osnabrücker resolut weg, Meist zwar ohne das Risiko eine Umschaltsituation einzuleiten, aber auch in dieser Art und Weise stabilisierte der 25-Jährige das defensive Zentrum enorm.
Note: 2,5
Jan Gyamerah sah vor dem 0:1 nicht ganz sauber aus, nach einer Ecke sind diese Kopfbälle jedoch nur sehr schwer zu verteidigen.
In der übrigen Spielzeit war der Rechtsverteidiger stets bemüht im Vorwärtsgang, der entscheidende Pass wollte aber auch ihm nicht gelingen.
Note: 3,5
3. Mittelfeld
Aaron Hunt belebte vor allem die Standardsituationen seines Teams. Gemeinsam mit Sonny Kittel sorgte der Routinier für einige gefährliche Variationen, die leider nicht final verwertet wurden. In der 17. Minute hätte er ehemalige Nationalspieler aus kurzer Distanz ausgleichen können.
Speziell die Erfahrung des 34-Jährigen war es, die dem HSV gut tat. Zwar entschleunigte der Kreativkopf die Partie in einigen Situationen, die Reduktion der Geschwindigkeit brachte jedoch die nötige Ruhe auf den Rasen. Auch mit einigen cleveren Bällen konnte Hunt für Gefahr sorgen, die so kaum jemand in der 2. Liga spielen kann.
Note: 2,5
David Kinsombi führte seine Mannschaft gegen den ehemaligen Arbeitgeber als Kapitän auf das Feld, konnte aber kaum ansehnliche Aktionen für sich verbuchen. Auch gegen Kiel lief Kinsombi häufig hinterher und sah dabei nicht immer souverän aus. Physisch und auch passtechnisch war der 25-Jährige zwar auf der Höhe, für die entscheidenden Impulse konnte der Mittelfeldmann jedoch nicht sorgen. Nach überragender Form im Winter scheint der Aushilfs-Capitano wieder abzutauchen.
Note: 4
Jeremy Dudziak fand leider nie richtig in das Spiel. Der Tunesier rannte sich oft fest und konnte seine brillante Technik dieses Mal nicht nutzen. Zwar versuchte es der 25-Jährige immer wieder, seinen Stempel konnte er der Partie aber nicht aufdrücken. In der 70. Minute musste "Jerry" als erster HSV-Akteur runter, womöglich schön mit Ausblick auf kommende Freitag.
Note: 4
4. Angriff
Bakery Jatta war zwar in de ersten Minuten nicht zu sehen, startete dann aber richtig durch. In der 23. Minute nahm er sich ein Herz und setzte zu einem unwiderstehlichen Dribbling an, das im 1:1 mündete. Eine bärenstarke Vorlage des Flügelflitzers, der sich immer wieder das Spielgerät erarbeitete und viele Bälle binden konnte.
Auch in Halbzeit zwei präsentierte sich Jatta physisch stark, mit einer guten Übersicht und wie üblich mit einem unbändigen Kampfgeist. Leider fehlte zunehmend die Bewegung in den Strafraum hinein, seine dritte Saisonvorlage war dafür umso schöner und macht Lust auf mehr.
Einen "Baka" in Januar-Form könnte der HSV sehr, sehr gut gebrauchen.
Note: 2,5
Der "Torfluch" von Simon Terodde ist beendet. In der 23. Minute konnte der Stürmer nach toller Kombination mit Bakery Jatta den Ausgleich erzielen. Das 20. Saisontor als nachträgliches Geburtstagsgeschenk für den jetzt 33-Jährigen. In der heutigen Partie konnte sich der Mittelstürmer deutlich besser von seinen Spielern lösen, anders als in den vergangenen Wochen.
In der 49., 52. und 72. Minute hatte der Angreifer den Sieg auf dem Schlappen bzw. Kopf. Besonders seiner Direktabnahme in Spielminute 72 trauerte der Rekord-Mann hinterher, aber auch eine der anderen Gelegenheiten darf man an guten Tagen durchaus nutzen.
Note: 3
Sonny Kittel startete spritzig und mit viel Zug zum Tor in das Spiel. Viele gute Bälle konnte der 28-Jährige initiieren, sowohl als Flanke, als auch per Torschuss. Man sah dem Edeltechniker die Lust am Spiel förmlich an, die sich wohl auch auf seinen Fuß übertrug.
Nahezu jeder Ball des Linksaußen war außergewöhnlich gut gespielt und nie verlor der Angreifer die Intensität. War der Dribbler sonst schnell gefrustet, hielt er sein Pensum am Montagabend konstant hoch.
Eine sehr gute Leistung, der nur das letztendliche Erfolgserlebnis fehlte.
An Kittel lag es definitiv nicht - besser kann man kaum servieren.
Bei Standards eine absolute Waffe.
Note: 2
5. Einwechslungen
In der 70. Minute kam Manuel Wintzheimer für Jeremy Dudziak. Der junge Stürmer läuft seiner Topform aus der Anfangsphase der Saison allerdings weiter hinterher - die zwingenden Situationen fehlen aktuell.
In der 80. Minute wechselte Daniel Thioune Doppelt: Für Kinsombi und Jatta kamen Onana und Heil. Onana sicherte als drittbester Zweikämpfer der Liga das Unentschieden und Heil versuchte Spritzigkeit für die Schlussphase mitzubringen, was ihm allerdings nur bedingt gelang, denn physisch ist der 1,68 Meter große Flügelflitzer noch deutlich unterlegen.
6. Man of the match
Sonny Kittel sorgte heute für die besonderen Momente am Ball. Seine Flanken: butterweich und punktgenau. Jede dieser Aktionen hätte wohl einen Torerfolg verdient gehabt, aber leider blieben auch die besten Vorarbeiten ungenutzt.
Mit seiner Raffinesse war Kittel zumeist nur durch ein Foulspiel zu stoppen - in dieser Form kann der 28-Jährige definitiv zu einem Unterschiedsspieler avancieren - in der aktuellen Phase ein extrem wertvolles Gut für den HSV und Daniel Thioune.
17:3 Torschüsse, mehr Ballbesitz, mehr gewonnene Zweikämpfe. Es gab kaum ein Spiel, nach dem ein Sieg so verdient gewesen wäre. Einige Male musste der Keeper der Gäste in letzter Sekunde parieren, in einigen Aktionen fehlte die letzte Präzision. Spielerisch dürfen sich die Schützlinge von Daniel Thioune kaum etwas vorwerfen lassen, die gewohnte Effektivität blieb aber aus.
Die Rothosen sind nun seit fünf Spielen ohne Sieg und halten den Abstand von drei Punkten auf Holstein Kiel aufrecht. Eine gefährliche Konstellation, denn schon am Freitag geht es zum aktuellen Tabellenführer der 2. Liga, dem VfL Bochum - die nächste Kracher-Aufgabe für den HSV, der sich mit der Leistung am Montagabend allerdings nicht verstecken muss und motiviert in den Pott reisen sollte.