Der HSV und die Suche nach Konstanz und Kaltschnäuzigkeit
Von Guido Müller
Wenn man als Gradmesser für die kommenden Wochen das gestrige Spiel des Hamburger SV gegen Holstein Kiel zu Rate zieht, ist vorsichtiger Optimismus (was den Aufstieg betrifft) durchaus zulässig. Doch dafür braucht es im Allgemeinen einer höheren Konstanz - und im Speziellen einer besseren Chancenverwertung.
Denn beide Faktoren, die letztlich einander bedingen, sind auch in der dritten Saison im Unterhaus noch nicht in dem Maße gegeben, als dass man schon felsenfest mit dem Aufstieg der Mannschaft in die Bundesliga planen könnte.
Wöchentliche Schwankungen...
Schon ein kurzer Blick nur allein auf die Spiele in diesem Kalenderjahr 2021 verraten es. Einem oder zwei guten Spielen folgen in unschöner Regelmäßigkeit komplett oder partiell verkorkste Auftritte. Einem 3:1-Sieg (der knapper war als es das Ergebnis ausdrückte) gegen an diesem Nachmittag stark auftretende Regensburger zum Jahresbeginn folgte eine Woche später ein eher träges Remis (1:1) in Nürnberg.
Eine Woche nach dem unnötigen Punkteverlust beim Club zeigte man gegen (zugegebenermaßen schwache) Osnabrücker eine Gala-Vorstellung, fuhr den höchsten Sieg zu Zweitligazeiten ein - um dann die Fans mit einer indiskutablen ersten Halbzeit in Braunschweig quasi in Schockstarre zu versetzen.
Im Stadion an der Hamburger Straße gelang den Rothosen dann wenigstens noch innerhalb des Spiels die Wende zum Guten. Am Ende stand, auch dank gütiger Mithilfe der Gastgeber, ein 4:2-Auswärtssieg.
Doch für eine wirklich breite Brust sorgte dieser Dreier erneut nicht, denn die eine Woche später abgelieferte Leistung bei Fortuna Düsseldorf (0:0) war zwar defensiv stabil, aber nach vorne erschreckend uninspiriert. Wenn es ganz dumm läuft, verliert der HSV in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt sogar noch in der Nachspielzeit.
Am folgenden Wochenende zeigte der HSV dann wieder seine Schokoladenseite und schlug in einem gutklassigen Spiel den zweiten Absteiger, den SC Paderborn völlig verdient mit 3:1. Und dann war der Monat Januar auch schon vorbei.
...und fehlende Effizienz
Im Monat Februar, der mit nur zwei von neun möglichen Punkten beschlossen wurde, ging die wilde Zickzack-Fahrt der Mannschaft weiter. Nur mit zeitlich verkürztem Rahmen. Einer bockstarken ersten Halbzeit in Aue, mit komfortabler 3:1-Führung (die leicht höher hätte ausfallen können), folgte eine Art Arbeitsverweigerung im zweiten Durchgang - und ein abermaliger, völlig vermeidbarer doppelter Zählerverlust.
Im groß angekündigten Spitzenspiel gegen Greuther Fürth (das ähnlich wie das gestrige Spiel gegen Holstein Kiel lief) hatte man dann eigentlich wieder genügend Chancen, um auch deutlich und klar zu gewinnen. Doch diesmal fehlte das Zielwasser (und ein wenig Glück). Was folgte?
Man ahnt es schon: ein pomadiger, arroganter Auftritt beim Tabellenletzten - und eine völlig verdiente 2:3-Niederlage.
Eine Woche später, im Stadtderby beim FC St. Pauli, war also erneut Wiedergutmachung angesagt. Die beschränkte sich aber leider nur auf ein trügerisches Chancenplus (allesamt aus Standards resultierend). Trotzdem war der Nachbarschaftskampf eigentlich ein klassisches 0:0 - doch dafür musst du dann halt auch hinten bis zum Schlusspfiff dicht machen. Der HSV tat dies nicht - und verlor am Ende mit 0:1.
Um sieben Tage später gegen den Tabellenzweiten Holstein wieder mal eine gute Leistung anzubieten. Aus der Mörderchance von Vagnoman (32.) und den sehr guten Möglichkeiten von Kittel (53.) und Terodde (73.) müssen eigentlich zwei oder drei Tore gemacht werden - die gegen gestern überraschend konformistische Kieler locker zum Sieg gereicht hätten.
Mit dem Unentschieden, mit dem die Kieler sicherlich besser leben können als die Rothosen, hat man sich in der Tabelle marginal verbessert (3. statt 4.) und blickt bereits dem nächsten Spitzenspiel entgegen.
Eine abermalige Steigerung gegenüber der Vorwoche, gepaart mit mehr Kaltschnäuzigkeit vorm gegnerischen Tor, sollte eigentlich genügend Argumente liefern, um dem VfL Bochum am kommenden Freitag (18.30 Uhr) mehr als nur Paroli bieten zu können und den Rückstand auf die Mannen von Thomas Reis von derzeit fünf auf zwei Punkte zu verkürzen.
Und bis zum Saisonende sollte man idealerweise die teils heftigen Schwankungen von einem Spieltag zum nächsten senken - dann klappt es auch mit dem Aufstieg. Und der wäre dann auch nur folgerichtig.
Denn trotz einiger schon erlittener Nackenschläge (neben den genannten sei an die dreiteilige Niederlagen-Serie in der Hinrunde gegen Bochum, Heidenheim und Hannover erinnert) sieht das HSV-Spiel über weite Strecken dieser Saison endlich wieder nach Fußball aus.
An der Mannschaft ist es nun, dieses Gefühl faktisch (sprich: mit Ergebnissen) zu bestätigen. Die Instrumente dafür sind definiert: Konstanz und Effizienz. Denn Potential allein hat noch keinen Meister gemacht. Und auch keinen Aufsteiger.