HSV schon in Weihnachtsstimmung: drei Geschenke für Heidenheim - die Bewertungen des Spiels
Von Marcel Stummeyer
Advent, Advent, das erste Lichtlein brennt. Beim Hamburger Sport-Verein könnte nach der erneuten Pleite in Heidenheim jedoch bald der ganze Baum brennen. Nach scheinbar souveräner 2:0 Führung wurde das Spiel erneut aus der Hand gegeben. Der 1. FC Heidenheim nutzte diverse Fehler, um noch vor der Pause zu egalisieren. Kurz vor Schluss dann sogar das 3:2 für die Hausherren, das auf gruselige Art und Weise einen schlechten Auftritt der Hamburger bestrafte.
Besonders die Abwehr offenbarte Licht und Schatten. Als es drauf ankam gab es kaum Gegenwehr der Defensive. Wir werfen einen Blick auf die einzelnen Mannschaftsteile.
"Endlich wieder der HSV aus den ersten fünf Spielen." - bereits nach 24 Minuten saß ich zufrieden vor dem Fernseher. Das gerade erzielte 2:0 durch Toni Leistner zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich hoffte, dass all die Grusel-Szenarien, die von einigen Medienanstalten und Fans gefreut wurden, endlich im Sande verlaufen würden. Nun ist die Tabellenführung jedoch vorerst futsch und das völlig verdient.
Bis zum 2:0 lieferten die Rothosen einen wirklich starken Auftritt ab, ohne dass die gastgebenden Heidenheimer nur im Ansatz gefährlich wurden. Diese Selbstverständlichkeit wurde den Hansestädter jedoch schon wenige Minuten nach dem 2:0 zum Verhängnis. Zu halbherzig rückte die Abwehr nach einer Ecke vor und so konnte Christian Kühlwetter das erste Geschenk ohne Mühe per Kopf im Netz der Gäste platzieren.
Auf eine Reaktion auf den Gegentreffer wartete man als HSVer vergeblich. Ungläubig verfolgte man die 44. Spielminute. Fast baugleich zum ersten Gegentreffer pennte die Abwehr zum zweiten Mal. Wahrscheinlich befand sich Jan Gyamerah schon gedanklich in der Kabine, anders ist sein Verhalten kaum zu erklären. Der sonst so zuverlässige Rechtsverteidiger hob das Abseits auf und servierte FCH-Stürmer Kühlwetter sein zweites Tor - au Backe!
Über die zweite Hälfte möchte ich nicht viele Worte verlieren: vorne zu harmlos und kurz vor dem Ende ein weiterer individueller Patzer - sinnbildlich für den Gastauftritt an der Brenz steht wohl das 3:2 in der letzten regulären Spielminute - dieses Mal als Weihnachtsmann verkleidet: Sven Ulreich.
Wie performten die einzelnen Mannschaftsteile? Im Folgenden eine kurze Bewertung, die mein Herz bluten lässt. Nicht schon wieder HSV, bitte nicht schon wieder!
1. Tor
Am Ende war es ein Tag zum Vergessen für Sven Ulreich. An den ersten beiden Treffern war der ehemalige Nationaltorwart nahezu machtlos, in der letzten Minute legte sich der 32-jährige jedoch ein Ei ins Nest.
Endloses Gemecker wird momentan jedoch nichts bringen. Ulreich wird wissen, dass das ein Fehler war, der nicht passieren darf.
Nun zählt jedoch nur eins - abhaken und weiter arbeiten. Noch so ein Patzer wird dem Tormann nicht so schnell unterlaufen.
2. Abwehr
Besonders in der Abwehr zeigten sich am heutigen Nachmittag zwei Gesichter. Größtenteils lieferte das defensive Zentrum um Leistner, Ambrosius und Gyamerah einen ordentlichen Job ab. Aus dem Spiel heraus wurde den Gastgebern kaum etwas ermöglicht.
In der 24. Minute gelang Toni Leistner sogar sein erstes Tor im Dress des HSV. Lange drei Jahre hat es gedauert, ehe Leistner wieder in der 2. Bundesliga erfolgreich war, damals noch für Union Berlin unterwegs.
Jedoch brach die Stabilität in der 27. Minute ein, als erstmals das unkoordinierte Verhalten nach einer Ecke zum Anschlusstreffer für den FCH genutzt werden konnte.
Vor der Halbzeit schlief Jan Gyamerah kurzzeitig und hob damit das Abseits auf - 2:2. Kurz vor Schluss dann das 2:3: Auch hier war Toni Leistner beteiligt. Unglücklicher hätte es vor allem für die Defensive kaum laufen können. War es einfach nur Pech oder Unvermögen? Das Verhalten bei gegnerischen Standards muss sich definitiv ändern - solche Fehler dürfen in einem Spiel auf keinen Fall mehrfach passieren.
3. Mittelfeld
Da Daniel Thioune erneut eine Dreierkette aufbot, werden Khaled Narey und Kapitän Leibold zum Mittelfeld gezählt. Letzterer sucht seine herausragende Form aus der vergangenen Spielzeit jedoch noch immer und kann froh sein, in den letzten Zügen der Partie nicht noch vom Platz geflogen zu sein.
Auch Khaled Narey war zwar stets bemüht, seine Flanken von der rechten Seite segelten allerdings zumeist an Freund und Feind vorbei, ohne, dass eine Chance resultierte.
Im Zentrum agierten der junge Amadou Onana und Moritz Heyer. Heyer setzte sich vor dem zwischenzeitlichen 1:0 herrlich gegen drei Gegenspieler durch und kann sich somit großen Anteil an der vorübergehenden Führung ausrechnen. Auch im übrigen Spiel präsentierte sich der frühere Osnabrücker recht solide.
Onana hingegen merkt man die fehlende Erfahrung im Seniorenbereich phasenweise noch an, wenn auch der 19-jährige über eine herausragende Physis verfügt. In einigen Situationen ist der Belgier noch zu verspielt und nicht konsequent genug.
Sonny Kittel variierte zwischen Zehner und Linksaußen. In der 16. Minute gelang dem Spielmacher ein langersehntes Erfolgserlebnis, das am Ende des Spiels jedoch nur noch als "schwacher Trost" bezeichnet werden kann.
Auch von einem Spieler, der über die technische Raffinesse eines Sonny Kittel verfügt, darf man mehr erwarten.
4. Sturm
Manuel Wintzhemer und Simon Terodde - der eine ackerte bis zum Umfallen, belohnte sich mit zwei Torvorlagen und war schier endlos aktiv, der andere war erneut blass, ohne größere Torchance.
Wenn man jemanden loben darf, dann ist es U21-Nationalstürmer Wintzheimer, der mit Vorlage Nummer fünf und sechs einen persönlich starken Nachmittag erwischte. An er Verteidigung der Hausherren biss sich neben Wintzheimer aber besonders Simon Terodde die Zähne aus.
Der Top-Torjäger des HSV musste sich auch in Heidenheim mit einer engen Manndeckung auseinandersetzen und war deshalb selten in der Nähe des Balls. Einzig in der 86. Minute setzte Terodde eine halbherzige Duftmarke ab, ohne großartigen Effekt. Auch, wenn die Nummer 9 der Hamburger oft unsichtbar ist und dann wie aus dem Nichts trifft: Im Alleingang wird es auf Dauer nicht klappen - besonders problematisch: Auf der Bank scheinen keine ernsthaften Alternativen zu sitzen.
5. Einwechslungen
Auch am Sonntag waren die vorgenommenen Wechsel von Daniel Thioune nicht komplett nachzuvollziehen. Zwar verzichtete der Coach auf einen plötzlichen Vierfachwechsel, ein Impuls von der Bank fehlte definitiv.
In der 74. Minute ging mit Manuel Wintzheimer der bis dahin beste HSV-Akteur vom Platz. Jemery Dudziak kam rein, blieb allerdings wirkungslos.
In der 83. Minute kamen Jatta und Vagnoman für Kittel und Narey - auch die beiden frischen Außenspieler konnten das Ruder nicht mehr herumreißen.
Ein gewisser Lukas Hinterseer hätte bei zwei ausbleibenden Wechseln noch auf der Bank gesessen - der Österreicher scheint jedoch absolut keine Rolle mehr im System von Daniel Thioune zu spielen. Dabei ist es jedoch ganz klar die offensive Power, die von Draußen fehlt.
Nach dem neunten Spieltag hat der HSV seine über lange Strecken souveräne Tabellenführung verspielt. Der allseits beschworene "Abwärtstrend" scheint sich fortzusetzen, wobei der Negativstrudel in dieser Spielzeit außergewöhnlich früh auftritt.
Noch bleibt genug Zeit, um aus den Fehlern zu lernen. Es ist jedoch ein Prozess, der lieber zu früh, als zu spät abgeschlossen werden sollte, damit alle HSVer ein ruhiges Weihnachtsfest verbringen können. Im Hinblick auf die im Vorfeld der Saison ausgerufene "Entwicklungsphase" stagnieren die Rothosen momentan.
Die gesamte 90min-Redaktion wünscht ihren Lesern einen frohen 1. Advent!