HSV - oder vom Leben in der Blase!

Enttäuscht und leer: Simon Terodde nach dem Remis in Regensburg
Enttäuscht und leer: Simon Terodde nach dem Remis in Regensburg / Daniel Kopatsch/Getty Images
facebooktwitterreddit

Erst vor drei Tagen habe ich an dieser Stelle den Versuch unternommen, das Phänomen Hamburger SV zu erklären. Also nicht so sehr den Verein an sich, sondern den Umstand, dass er es seit (mindestens) ein paar Jahren nicht hinkriegt, sein Potential abzurufen. In dem Artikel fiel auch der Begriff "Blase".


Und wie die aussieht, davon konnten sich gestern Nachmittag alle Interessierten nach einer abermals mehr als enttäuschenden Leistung der Rothosen beim Tabellenvierzehnten aus Regensburg ein Bild machen.

Denn die Frage nach dem Trainer, die der Sky-Reporter Sportvorstand Jonas Boldt nach dem 1:1 im Jahnstadion gestellt hatte, durfte den Funktionär eigentlich nicht groß überraschen.

Auch "Uns Uwe" dachte schon über Trainerwechsel nach

Horst Hrubesch
Uwe Seeler brachte kürzlich seinen Namen ins Spiel: Hors Hrubesch / Clive Mason/Getty Images

Immerhin hatte auch schon Vereinslegende Uwe Seeler nach dem verheerenden Negativlauf der letzten Spiele (nur zwei Siege aus den letzten elf Spielen!), freilich noch vor dem Spiel in Regensburg, zumindest mal etwas lauter darüber nachgedacht, ob ein Kurswechsel auf der Trainerbank fünf Spieltage vor Ultimo nicht wenigstens eine Überlegung wert wäre. "Der Horst", so Seeler zur Bild, "würde vielleicht nochmal Dampf reinbringen."

Ja, es stimmt, dass der HSV vor der Saison den Versuch gemacht hat, die Erwartungshaltung im und um den Klub herum etwas herunterzufahren, und vor allem mal wieder eine langfristige Schiene zu fahren. Der Trainer, als eine der ersten Personalien auf diesem neu eingeschlagenen Weg, schien diese Entscheidung auch symbolisch zu untermauern.

Weg vom jugendlichen Mode-Trainer des Augenblicks, der den Aufstieg schon mit einem anderen Klub geschafft hatte (Hannes Wolf), weg vom erfahrenen Trainer-Fuchs, der schon alle Schlachten (in Liga eins, zwei und drei) geschlagen hatte (Dieter Hecking) und hin zu einem ziemlichen Nobody, der beim bescheidenen VfL Osnabrück gerade seine ersten zarten Lorbeeren eingefahren hatte.

Doch im weiteren Verlauf der Transferperiode führte der Klub seinen neuen Bescheidenheits-Kurs dadurch ad absurdum, dass er Spieler verpflichtete (Terodde, Ulreich), deren Nennung im Zusammenhang mit dem HSV die Erwartungen eben nicht runter-, sondern wieder hochfahren ließen.

Und genau diese Erwartungen werden, so wie sich die Gesamtlage momentan darstellt, auch im dritten Zweitliga-Jahr wieder bitter enttäuscht werden. Denn was genau soll einem angesichts der Darbietungen allein im Monat April noch Hoffnungen machen?

Boldts unsouveräne Reaktion auf die Trainer-Frage

Jonas Boldt
Die aktuelle Situation scheint auch an seinen Nerven zu zerren: Jonas Boldt / Martin Rose/Getty Images

Dass in einer solchen Gemengelage natürlich zuerst auf den Trainer geschaut wird, sollte einen alten Hasen wie Jonas Boldt eigentlich nicht verwundern. Doch die Vehemenz, mit der dieser den Fragesteller anfuhr und rhetorische Gegenfragen stellte ("Was haben Sie denn heute gesehen? Eine blutleere Mannschaft?") lässt tief blicken.

Nun, dem wäre zu entgegnen, dass Boldt hier gleich mal ein absolutes Extrembeispiel für nicht vorhandene Leistungskultur angeführt hat. Die Wendung, "blutarm über den Platz zu laufen", wird im Fußballreporter-Jargon meistens als Synonym für totale Lustlosigkeit gewählt.

Eine derart mangelhafte Einstellung zum Beruf will ich (auch weiterhin) eigentlich keinem der Rothosen unterstellen. Schlimm ist dann allerdings, dass zumindest die erste Halbzeit in Regensburg genau danach aussah. Und strafverschärfend kommt hinzu, dass die Mannschaft gerade von einem absoluten Tiefpunkt (der 1:2-Niederlage in Sandhausen) kam.

Jede Woche wird Besserung angekündigt, doch auf dem Platz ist davon nichts zu sehen

Und schon damals hatten alle Beteiligten unisono Besserung gelobt. Da die aber gegen Regensburg, trotz einer engagierteren Leistung in Durchgang zwei, in der Gesamtschau nicht auszumachen war, bleibt die Frage berechtigt.

Der Trainer selbst suchte sein Heil in hilflosen Plattitüden (via Mopo) wie "ich habe gesehen, dass sich die Jungs in der zweiten Halbzeit und in der Halbzeitpause gegenseitig gepusht haben. Das zeigt, dass diese Mannschaft schon gewillt ist. Das war gut."

Daniel Thioune
Wirkt zusehends hilfloser: Daniel Thioune / Daniel Kopatsch/Getty Images

Nochmals zur Einordnung: Nach einem fatal an das Sandhausen-Spiel erinnernden Auftritt lag der HSV zur Halbzeit in Regensburg völlig verdient mit 0:1 hinten.

Dass sich die Mannschaft dann zumindest in der zweiten Hälfte gegen eine abermalige Niederlage stemmte, war ja wohl das Mindeste, was Thioune von seiner Mannschaft erwarten durfte. Wenn er aus der homöopathisch dosierten "Leistungssteigerung" also schon seine Zufriedenheit ziehen muss - dann gute Nacht, Marie...

Über den Dienst nach Vorschrift hinaus scheint beim HSV allerdings auch nichts mehr zu gehen in diesem Frühjahr 2021. In einer bereinigten Tabelle könnte man im schlimmsten Fall sieben Punkte hinter dem (dann) Tabellenzweiten Kiel und drei hinter Fürth auf dem ominösen vierten Platz stehen. Also genau den, den man schon in den vorangegangenen Jahren am Ende eingenommen hat. Besserung? Nicht in Sicht.

Phrasendreschen in der schwarz-weiß-blauen Blase

Stattdessen bemüht man in der Blase immer verzweifelter anmutende Durchhalteparolen und Phrasendreschereien. Beispiele gefällig? Bitte sehr: "Aber ich denke so, wie wir die Reaktion in der zweiten Halbzeit gezeigt haben, können wir aufbauen und uns jetzt den Arsch aufreißen die letzten vier Spiele." (Leistner)

Toni Leistner
Will sich jetzt in den letzten vier Spielen den Allerwertesten aufreißen: Toni Leistner / Martin Rose/Getty Images

Oder auch: "Es sind noch vier Spiele. Wenn wir so spielen wie heute in der zweiten Halbzeit, ist für uns alles drin." (Leibold)

Das einzige, was sich an solchen Aussagen im Verhältnis zu den Vorwochen geändert hat, ist eigentlich immer nur die Anzahl der verbliebenen Spiele. Denn regelmäßig ist es die Mannschaft selbst, die ihren Ankündigungen keine entsprechenden Taten folgen lässt.

Trainer-Wechsel wohl nicht angedacht

Anhand der Wortwahl der Verantwortlichen wird indes deutlich: einen Trainer-Wechsel wird es unter der jetzigen Führung wohl nicht geben. Wenn, dann hätte er nach diesem letzten Spiel gegen Regensburg einen Sinn ergeben.

Den Übungsleiter erst nach einer eventuellen neuerlichen Enttäuschung gegen den KSC (am kommenden Donnerstag um 18.30 Uhr) auszutauschen, macht angesichts dann nur noch dreier ausstehender Spiele nicht so viel Sinn.

Zumal die Konkurrenz dann womöglich schon uneinholbar davongeeilt ist. Aber für sinnbefreites Handeln war der HSV ja auch schon in der Vergangenheit immer gerne zu haben.