Walter begeistert von Kittel: "Macht richtig, richtig Spaß!"

Spielt zur Zeit konstant wie selten zuvor: Sonny Kittel
Spielt zur Zeit konstant wie selten zuvor: Sonny Kittel / Martin Rose/GettyImages
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Lange schieden sich bei der Personalie Sonny Kittel die Geister. Für die einen ist er ein begnadeter Kicker, der Spiele mit einer einzigen Aktion entscheiden kann. Und für die anderen eben nur ein talentierter Spieler, der (noch) viel zu wenig aus seinen Möglichkeiten macht. HSV-Coach Tim Walter tendiert derzeit klar zu erster Einschätzung.


Im vergangenen Juli startete Sonny Kittel in seine dritte Saison beim Hamburger SV. Auch unter dem Verdacht einiger Fans, genau ein Spieler der Sorte zu sein, die den Traditionsklub auf Dauer nicht weiterbringen.

Zu oft haben sich die schwarz-weiß-blauen Fans über die fast schon chronische Inkonstanz des gebürtigen Gießeners geärgert. Und über bisweilen lustlos anmutende Auftritte - vor allem wenn es gegen eher rustikal operierende Teams, meist aus dem unteren Tabellendrittel, ging.

Zwei Kreuzbandrisse in jungen Jahren

Doch muss man sich an diesem Punkt vielleicht auch die Biographie des früheren Frankfurters vergegenwärtigen: Denn in der Vita des Edeltechnikers klaffen schon zwei tiefe, schwarze Löcher in Form von Kreuzbandrissen.

Als Fußballer einen Kreuzbandriss zu erleiden, bedeutete in länger zurückliegenden Zeiten fast immer das Aus für die Profi-Karriere.

Und wenn auch der medizinische Fortschritt seitdem dafür gesorgt hat, dass eine solche Verletzung nicht unbedingt das Ende der Laufbahn bedeuten muss, gibt es sicherlich bessere Karrierestarts als mit gerade mal 18 Jahren den ersten Kreuzbandriss zu erleiden.

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Kam nach mehreren schweren Verletzungen bei der SGE nicht mehr voran: Sonny Kittel (hier im Duell mit Bayerns Bastian Schweinsteiger) / AFP/GettyImages

Doch bei Kittel sollte es nicht bei einem bleiben. Gute vier Jahre nach dem ersten folgte der zweite. Zu diesem Zeitpunkt war Kittel gerade mal 22 Jahre alt. Medizinischer Fortschritt hin oder her: die Eintracht verlor danach den Glauben daran, dass Kittel jemals wieder durchstarten würde.

Zwischendurch ein Knorpelschaden

Denn zwischendurch erlitt der Angreifer auch noch einen Knorpelschaden im Knie, der ihn insgesamt 454 Tage (!) pausieren ließ.

Tatsächlich kam Kittel bei der SGE im Anschluss nicht mehr auf einen grünen Zweig - und wechselte im Sommer 2016 zum Vorjahresaufsteiger FC Ingolstadt, wo er insgesamt drei Jahre bleiben sollte.

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Beim FC Ingolstadt fand Kittel die Freude am Spiel wieder / CHRISTOF STACHE/GettyImages

Warum schreib ich das? Weil ich versuche, zu erklären, dass drei solcher Nackenschläge natürlich etwas machen mit einem Spieler. Und zwar dauerhaft. Und sei es "nur" unbewusst.

Den rustikalen Fußball mit wilden Grätschen und rücksichtslosem körperlichen Einsatz wird man von Kittel jedenfalls nicht mehr sehen. Oder höchstens in homöopathischen Dosen.

Das Problem während seiner nunmehr gut zwei Jahren beim HSV war dann, dass dieser eben nicht mehr in der Bundesliga unterwegs war, sondern im Unterhaus.

Und da wird immer noch (wenn auch weniger als noch vor einigen Jahren) gerne die Brechstange herausgeholt und das physisch betonte Spiel gepflegt. Für Techniker wie Kittel natürlich ein Gräuel.

Kittel scheint im physischen Zweitliga-Fußball angekommen zu sein

Doch in dieser Spielzeit scheint sich Kittel endlich in Liga zwei gefunden zu haben. Dies übersetzt sich in weitaus mehr Konstanz in seinen Auftritten (bislang kam er noch in jedem Liga-Spiel unter Walter zum Einsatz, zuletzt sogar vermehrt bis zum Schlusspfiff) als noch unter seinen vorherigen HSV-Trainern.

Und es ist auch statistisch abzulesen. Zumindest in der Rubrik Torvorlagen. In seinem ersten Jahr in Hamburg (2019/20) kam Kittel insgesamt auf sieben Torvorlagen (in 31 Spielen). Die gleiche Anzahl von Spielen bestritt er eine Spielzeit später, in der ihm neun Assists gelangen.

Aktuell steht der Stürmer mit polnischen Wurzeln bereits nach elf Spieltagen schon bei fünf Torvorlagen, weshalb am Ende der Saison mit seiner diesbezüglich besten Ausbeute zu rechnen ist.

Nur in der Kategorie "selbst erzielte Tore" hat Kittel noch Luft nach oben. Den elf (bzw. neun) Toren der vergangenen Spielzeiten steht zur Zeit gerade mal ein Tor gegenüber. Aber 23 Spieltage hat er ja noch Zeit.

Und die meisten davon wird er, vorausgesetzt er hält seine aktuelle Form, unter Tim Walter mit Sicherheit bestreiten. Denn der HSV-Coach hat sich nun als absoluter Fan von Kittel geoutet.

Vor dem heutigen Pokalspiel beim 1. FC Nürnberg (20.45 Uhr) analysierte der Coach gegenüber der Bild-Zeitung die Stärken seines Offensivmannes: "Er schafft es sehr gut, sich Räume zu suchen. Er lauert immer, weil er ein sehr gewiefter und schlauer Spieler ist. Für uns ist es ganz wichtig, dass wir Sonny da haben. Weil er Spielsituationen perfekt einschätzen kann."

Neben den grundlegenden Qualitäten Kittels, ist Walter auch dessen Entwicklung in den letzten Wochen und Monaten nicht entgangen: "Ich finde, dass er sich ständig und stetig weiterentwickelt. Er gewinnt an Souveränität hinzu. Er ist jetzt nicht mehr derjenige, der alles kommentiert und alles abtut. Er achtet nicht mehr nur auf seine Szenen, er wird zum Mannschafts-Spieler. Sonny macht richtig, richtig Spaß."

Tim Walter
Spricht viel mit seinen Spielern - und mit Sonny Kittel: Tim Walter / Cathrin Mueller/GettyImages

Dürften die HSV-Fans zur Zeit ähnlich sehen. Und deshalb wird Walter auch einen Teufel tun, seinem bisweilen genialen Kicker die Freiheiten zu nehmen, die dieser offensichtlich braucht. "Du kannst solche Spieler nicht in Schemata pressen. Er braucht eine gewisse Sicherheit und Freiheit. Man muss mit ihm sehr viel reden."

Momentan scheint Walter das mehr als gut zu gelingen.