HSV: Nestbeschmutzer Kühne zieht mal wieder vom Leder!

Martin Rose/Getty Images
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Zartbesaitete Gemüter sollten jetzt einfach zum nächsten Artikel übergehen. Kürzlich fiel mir eine sehr alte Anekdote eines ehemaligen Schulkollegen von mir ein. Der hatte sich einmal, in jugendlichem Überschwang, so abgefüllt, dass er sich nachts, im Glauben es handelte sich um die häusliche Toilette, in seinen Kleiderschrank entleerte - und das Malheur erst am nächsten Morgen (Mittag) bemerkte.


Unschön, zweifellos. Aber wahrscheinlich kennen die meisten solche oder ähnliche Geschichten aus ihrem Fundus der nicht beichtbaren Vorkommnisse rund um die Zeit an der Schwelle zum Erwachsenwerden.

Doch was hat das alles mit dem Logistik-Unternehmer Klaus-Michael Kühne zu tun, der mit 20,44 Prozent hinter dem HSV e.V. der größte Anteilseigner der HSV AG ist?

Nun, der hat mal wieder - und entgegen seinen Ankündigungen aus der Vergangenheit - gegen "seinen" Klub gewettert. Denn HSV-Fan ist er, nach eigenen Angaben, ja auch. Man könnte auch sagen: er hat sein eigenes Nest beschmutzt. Um krassere Vokabeln zu umgehen. Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr.

Konkret wurde Kühne indes auch diesmal nicht - dafür in der Wortwahl um so deutlicher. Auch das nichts Neues.

So hat er in der jüngeren Vergangenheit auch schon mal zu diesem Zeitpunkt beim HSV unter Vertrag stehende Spieler wie Pierre-Michel Lasogga als "Luschen" bezeichnet, die leider immer "beim HSV hängenbleiben". Oder einem Sportvorstand Oliver Kreuzer Drittliga-Niveau attestiert- noch zu guten, alten Bundesligazeiten...

Pierre-Michel Lasogga
Ihn bezeichnete Kühne mal als "Lusche": Pierre-Michel Lasogga / Boris Streubel/Getty Images

Polemische Pauschalkritik ohne Tiefgang

Im Vergleich damit war sein jüngster Verbalauswurf sogar noch recht gemäßigt. Es werde, so der 84-Jährige in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt, "rumgewurstelt wie eh und je. Im vorigen Jahr setzte man auf ältere Spieler, die aus unterschiedlichen Gründen nach einem Jahr wieder abgewandert sind. Jetzt will man der Jugend den Vorrang geben und verpflichtet zusammengewürfelte unbeschriebene Blätter - ich kann es nicht fassen und möchte keine weiteren Kommentare abgeben." (via mopo.de)

Ginge es Kühne wirklich um eine fundierte sportliche Analyse des Ist-Zustandes am Volkspark, könnte man ihm zunächst mal entgegenhalten, dass Fußball, sowohl auf dem Platz, als auch in der Planung um die Mannschaft herum, ein try and error-Spiel ist.

Manche Transfers passen - manche eben nicht. Und die, die nicht passen, blühen unter Umständen in einem anderen Umfeld wieder auf. Das ist aber auch nichts rein HSV-spezifisches.

Ich, als kommentierender Beobachter, gebe jedenfalls zu: auch ich war mit der "Säulenspieler"-Strategie im letzten Jahr einverstanden. Dass sich die geholten Spieler (Toni Leistner und Simon Terodde mal ausgeklammert) nicht als solche erwiesen haben, steht auf einem anderen Blatt.

Und bevor mir hier der Vorwurf gemacht wird, alles zu sehr durch die unkritische Brille zu sehen: natürlich muss sich eine sportliche Führung auch daran messen lassen, wie hoch der Prozentsatz der gelungenen Verpflichtungen ist.

Tatsächlich hatte man sich vor Jahresfrist von den Verpflichtungen von Sven Ulreich, Toni Leistner, Klaus Gjasula und Simon Terodde einiges an Stabilität versprochen.

In Bezug auf Leistner (bis zu seiner Verletzung absoluter Stammspieler, danach vom Sog der Negativ-Ergebnisse wie seine Kollegen mit in den Abgrund gerissen) und Terodde lagen die Macher am Volkspark ja auch nicht falsch.

Dass ein Gjasula dann aber so fehlerhaft und nervös agieren würde (was auch für Ulreich gilt), war für mich dann schon überraschend. Ich werde aber auch nicht fürstlich dafür entlohnt, als Verantwortlicher (mit jahrelanger Berufserfahrung) einen Kader zu planen.

Und dass sich für einen Spieler (Leistner) die Situation mit der Bestellung eines neuen Übungsleiters, der natürlich einen anderen Ansatz als sein Vorgänger verfolgt (sonst hätte man ja nicht von einem zum anderen wechseln brauchen), von heute auf morgen komplett umdrehen kann, ist auch nicht nur beim HSV der Fall.

Toni Leistner
Mit dem Trainerwechsel wendete sich auch für ihn das Blatt am Volkspark: Toni Leistner / Oliver Hardt/Getty Images

Bemerkenswerterweise lese ich in einschlägigen Foren gerade von den Leuten Kritik an der Leistner-Freistellung (und anschließenden Vertragsauflösung), die, als er zum HSV geholt wurde, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und gefragt haben: 'Was wollen wir denn mit dem?'

Aber so ist das halt in einer Zeit, in der ein jeder, und aus dem Schutz der Anonymität heraus, zu jedem beliebigen Thema seine Meinung kundtun kann. Wollten wir nicht Demokratie und Mitbestimmung? Da habt ihr sie...

So. Die Säulenspieler-Strategie hat also (zumindest mit dem geholten Personal) nicht so gezündet, wie erhofft. Auch der wirtschaftlichen Lage geschuldet, versucht man es nun mit jungen Talenten.

Was an diesem Weg falsch sein soll, erschließt sich mir nicht. Zumal er ja auch alternativlos ist angesichts leerer Kassen. Alternative Handlungsmodelle benennt Kühne übrigens auch keine...

Und nebenbei bemerkt: wenn diese Spieler keine "unbeschriebenen Blätter" wären, wie es Kühne formuliert, würden ganz andere Kaliber als der HSV hinter ihnen her sein. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Fast schon amüsant zu beobachten, dass ein Herr Kühne offenbar nicht um die dramatische finanzielle Schieflage des Klubs weiß.

Wie man zu diesem Zustand gekommen ist, was in den letzten dreißig oder mehr Jahren alles falsch gemacht wurde (offensichtlich sehr viel!) steht aber ebenfalls auf einem anderen Blatt. Beziehungsweise in ganze Bibliotheken füllenden Büchern. Wer sich mit der Materie beschäftigt, weiß, auf welche Publikationen ich mich beziehe...

Vielleicht läuft's ja dieses Jahr genau andersrum

Resümierend lässt sich sagen, dass sich der HSV, im Rahmen seiner Möglichkeiten, auch in dieser Spielzeit, nach meinem Empfinden, passabel aufgestellt hat. Der große Aufstiegsfavorit ist er mit diesem Kader zwar nicht - aber eigentlich sollte man fast froh drum sein. Denn als vermeintlicher Über-Klub im Unterhaus ist er nun dreimal in Folge abgeschmiert. Zeit, mal antizyklisch an die Sache heranzugehen.

Beim FC St. Pauli, bei dem übrigens kein Schwein danach pfeift, ob er nun aufsteigt oder nicht, scheint genau diese Atmosphäre des Nicht-Müssens (aber Alles-Könnens) sehr befreiend auf die Spieler zu wirken. Allein - diese Grundstimmung wird nie eins zu eins auf den (vom Namen her immer noch) "großen" HSV übertragbar sein.

Doch genau dieser Klub bekam von Kühne noch ein paar lobende Worte mit auf den Weg: "Die spielen besser. Das ist schon erstaunlich. St. Pauli tickt da anders. Dem HSV klebt das Pech und das Unvermögen an den Hacken."

Bleibt dem Kiez-Klub nur zu wünschen, dass Herr Kühne ihn sich nicht irgendwann als neues Investitionsobjekt ausguckt...