HSV: Die Kaderanalyse kurz vorm Ende der Hinrunde
Von Guido Müller
Die Hinrunde der Zweitliga-Saison 2021/22 neigt sich allmählich ihrem Ende zu - womit gleichzeitig das Winter-Transferfenster näher rückt. Allerorten ist es bald Zeit für die erste seriöse Bestandsaufnahme, was die jeweilige Kaderzusammenstellung betrifft. Auch beim Hamburger SV.
Der läuft zwar, was die reine Punkteausbeute (und somit auch den Tabellenrang) betrifft, noch etwas seinen eigenen Erwartungen (wie aus Aussagen der Verantwortlichen zu entnehmen ist) hinterher - aber nicht so sehr, dass man bereits jetzt alle gesteckten (oder auch nur erträumten) Ziele als unerreichbar abtun müsste.
Von vielen als Schwachpunkt im Walter'schen System ausgemacht, ist die Defensive der Hanseaten tatsächlich nicht so schlecht, wie sie gemacht wird. Zwar gelang es dem Team bislang erst zweimal in dieser Saison (in Heidenheim und in Bremen), ein Spiel ohne Gegentor zu beenden - doch die reine Anzahl an Gegentreffern ist mit 15 in 13 Spielen nicht unbedingt alarmierend.
Nur zwei Teams mit weniger Gegentoren
Faktisch gibt es nur zwei Teams, die weniger Tore gefangen haben: Tabellenführer St. Pauli (mit elf Gegentoren, bei einem Spiel weniger) und der 1. FC Nürnberg (ebenfalls elf).
Dass dies auch ein Verdienst von Daniel Heuer Fernandes ist, ist unbestritten. Doch darüber hinaus ist der Deutsch-Portugiese auch im Spielaufbau der Hanseaten eine entscheidende Figur. Seine Ballsicherheit, Passgenauigkeit und Übersicht sind wichtig für die Mannschaft, um die Vorgaben ihres es um spielerische Lösungen bemühten Trainers in der Praxis auch erfüllen zu können.
Sein Backup im Tor, der Schwede Marko Johansson, hat in den genannten Kategorien noch einige Defizite, konnte sich aber im reinen Abwehrverhalten bereits einige Male mit guten Reaktionen (wie beim Kiel-Spiel) auszeichnen.
Auf der Torwart-Position drückt der Schuh, wenn überhaupt, am wenigsten.
Nur in drei Spielen mehr als ein Gegentor kassiert
Womit wir zur Defensive im Allgemeinen kommen. Wie gesagt: erst fünfzehn Gegentore sprechen erstmal für eine gewisse Stabilität. Tatsächlich haben es nur der Tabellenführer FC St. Pauli, die Liga-Tormaschine Darmstadt 98 (aktueller Tabellenvierter) und die Clubberer geschafft, mehr als ein Tor gegen die Rothosen zu erzielen.
Und nicht jedes Gegentor ist die Schuld der Abwehr allein. Im (gewollt) risikoreichen Spiel unter Walter kommt es zwangsweise, schon durch die nackte, stets offensive Ausrichtung der Mannschaft, zu "Löchern" im Defensivverbund.
Doch die entstehen bisweilen auch aus Unzulänglichkeiten (ungenaues Passspiel) in der Offensive. Personell sehe ich deshalb keinen akuten Handlungsbedarf. Ein Miro Muheim hat bereits gezeigt, dass er ein valider Ersatz für den langzeitverletzten Tim Leibold sein kann.
Der geringste Handlungsbedarf besteht in der Innenverteidigung. Bislang machen Sebastian Schonlau und Jonas David dort einen richtig guten Job. Vor allem in der Spieleröffnung, einer für Innenverteidiger immer wichtiger werdenden Kategorie, weiß diese HSV-Mannschaft weitaus besser als in den Vorjahren zu gefallen.
Zudem wird mittelfristig ein Stephan Ambrosius, der bis zu seiner Verletzung zum Ende der Vorsaison quasi gesetzt war, mittelfristig zurückkehren und den Konkurrenzkampf in der defensiven Zentrale anheizen. Mit Leihspieler Marko Vuskovic hat man zusätzlich einen sehr talentierten Innenverteidiger in der Hinterhand.
Auch im Mittelfeld sieht es eigentlich ganz gut aus bei den Rothosen. Im defensiven Bereich, auf der Position des Sechsers, liefert Neuzugang Jonas Meffert Spiel für Spiel solide Arbeit als Staubsauger vor der Abwehr ab und hält seiner Hintermannschaft somit den Rücken frei.
Kittel auf der Zehn tut dem HSV gut
Im offensiven Mittelfeld ist Tim Walter mittlerweile auf den Trichter gekommen, Sonny Kittel als Zehner (mit Abschlussqualitäten) aufzubieten. Dem Spiel der Hamburger tut das spürbar gut. Doch darf dem verletzungsanfälligen Kittel auch nicht viel passieren - denn Alternativen zu ihm sind im Hamburger Kader rar gesät bzw. gar nicht vorhanden.
Ludovit Reis und David Kinsombi fehlt, bei allem Bemühen, doch die spielerische Klasse, um als gleichwertige Alternative zu Kittel angesehen zu werden. Gespannt darf man sein, wie sich Tommy Doyle in den kommenden Wochen entwickeln wird.
Vom bereits angedeuteten Potenzial bringt der Engländer sicher genug mit, um einen Kittel in der Lenkung eines Spiels entlasten zu können. Doch noch mangelt es dem 20-Jährigen etwas an Robustheit für das physisch geprägte Spiel in der Zweiten Liga.
Natürlich könnte man auf den Gedanken kommen, sich im Winter nach einem Regisseur umzuschauen. Doch erstens gibt der Winter diesbezüglich meist nicht viel her - und zweitens müsste man auch die möglichen Folgeschäden einer solchen Operation im Blick haben.
Einem sensiblen und nach Zuspruch seiner Vorgesetzten lechzenden Spieler wie Kittel einen Neuzugang vor die Nase zu setzen, könnte kontraproduktive Effekte zeitigen.
Baustelle Rechtsaußen - von Jatta kommt zu wenig!
Vielmehr sollte der HSV sich nach einem Rechtsaußen umschauen. Denn was Bakery Jatta über das Gros seiner Einsätze hinweg zustande bringt, ist in der Summe dann doch zu wenig.
Seine große Stärke, nämlich das unorthodoxe Spiel, mit bislang sehr eigenwilligen Läufen mit dem Ball am Fuß, kommt viel zu selten zum tragen. Und auch seine enorme Grundschnelligkeit spielt er zu selten aus.
Und wenn er dann doch mal über seinen Flügel durchbricht, hapert es zu viel zu oft im Bereich Flanken. Die Streuung seiner Hereingaben, ob flach oder hoch, ist bisweilen haarsträubend.
Dass der Gambier dennoch mit einem Tor und drei Torvorlagen einen der vorderen Ränge im Hamburger Kader einnimmt, ist nur scheinbar ein Widerspruch zum vorher Gesagten. Vielmehr wird aus seiner persönlichen Leistungsbilanz ersichtlich, wieviel Potential der 23-Jährige weiterhin brach liegen lässt.
Gefühlt müsste er nämlich schon bei drei oder vier Toren und sechs oder mehr Torvorlagen stehen.
Vom Glatzel-Backup Kaufmann kam bislang noch gar nichts
Was die Mittelstürmer-Position angeht, sehe ich trotz der jüngsten kleineren Flaute von Top-Torjäger Robert Glatzel keinen akuten Handlungsbedarf. Und wenn, dann eher bezüglich seines Backups. Doch Mikkel Kaufman, der bislang komplett enttäuscht, leihweise abzugeben, um Platz für einen besseren Spieler zu schaffen, ist statutarisch nicht möglich. Denn Kaufmann ist selbst nur geliehen.
Hier haben die Verantwortlichen einen Fehlgriff getan - der umso härter durchschlägt, je länger Glatzel sich in der Torlos-Spirale befindet.
Fazit: Wenn überhaupt sollte der HSV in der Winterpause nach einem Rechtsaußen Ausschau halten, der mit dem regelmäßigen Füttern der zentralen Stürmer nicht überfordert ist. Ach ja: finanzierbar sollte er auch sein. Was den Kandidatenkreis angesichts leerer Kassen schon im Vorhinein dramatisch reduziert.