HSV: Bestandsaufnahme und Ausblick auf die kommende Spielzeit!
Von Guido Müller
Mit einer minimalen Rest-Hoffnung (oder ist es einfach nur Starrsinn?) bezüglich des kommenden Wochenendes, könnte man als HSV-affiner Schreiber eigentlich heute schon mit einer ersten Inventur und Bilanzziehung der Spielzeit beginnen. Denn selbst ein unverhoffter Sprung auf den Relegationsplatz 3 am letzten Spieltag würde das bittere Ende wohl nur zeitlich nach hinten verschieben. Was ist also da im Kader (und kann auch bleiben)? Was muss weg? Und was muss geholt werden?
Im Tor hat sich Julian Pollersbeck seinen vor Jahresfrist eingebüßten Stammplatz zurückerobert. In puncto Strafraumbeherrschung (Stichwort: hohe gegnerische Flanken) und mit dem Ball am Fuß hat er klare Vorteile gegenüber Daniel Heuer Fernandes. Ob dieser sich eine ganze Saison als zweiter Keeper vorstellen kann? Zumal es gut möglich ist, dass der HSV, um den Konkurrenzkampf anzufachen und Pollersbeck nicht zu sehr in Bequemlichkeit verfallen zu lassen (mangelnde Konkurrenz war nämlich einer der Hauptgründe für seinen stetigen Leistungsabfall zwischen Sommer 2018 und letztem Jahr), hier noch nachlegt.
Prognose: der HSV holt noch einen Torwart, der sich mit Pollersbeck einen Kampf um die Nummer 1 liefern wird. Dass es aber der frühere Union-Keeper Rafal Gikiewicz (32) werden wird, ist eher unwahrscheinlich. Der Pole soll bereits in fortgeschrittenen Verhandlungen mit dem FC Augsburg stehen.
Hinten fehlen mindestens zwei Innenverteidiger und ein Back-up zu Leibold
Die Abwehr hat sich in den letzten Wochen als neuralgische Stelle beim HSV entpuppt. Wobei zur Wahrheit aber auch gehört, dass gute Defensivarbeit bereits im eigenen Angriff beginnt. Doch zu oft wurden die Hintermänner beim HSV von ihren Kollegen im Sturm und im Mittelfeld im Stich gelassen. Und offenbarten dann zusätzlich zu große Schwächen, um im Aufstiegskampf solide zu bleiben. Die defensiven Außenbahnen sind mit Jan Gyamerah (rechts) und Tim Leibold (links) eigentlich gut besetzt. Zu Gyamerah gibt es mit Vagnoman einen soliden Back-up. Der aber fehlt auf der Leibold-Seite. Vielleicht auch deshalb, weil er kaum einmal Ruhezeiten bekam, scheint Leibold auf den letzten Metern der Saison auf dem Zahnfleisch angekrochen zu kommen. Hier ist dringender Handlungsbedarf.
Noch dringender ist der aber in der Innenverteidigung. Mindestens zwei neue solide zentrale Abwehrspieler sind vonnöten. Die sollten vom Niveau her so gut sein, dass sie ein klare Verbesserung zum jetzigen Duo van Drongelen/Letschert darstellen.
Dorsch mehr als nur eine Alternative zu Fein
Im Mittelfeld wiederum fehlt dem HSV der klassische Typus des abräumenden Staubsaugers, der mit Aggressivität Zweikämpfe gewinnt, Bälle erobert und das Spiel danach zügig nach vorne trägt. Adrian Fein ist dafür zu zart besaitet. Seine feine Klinge mag im Oberhaus eine Waffe sein - in der zweiten Liga haben sich mittlerweile alle Gegner auf ihn eingestellt. Und schalten ihn seitdem mit einfachsten Mitteln aus. Nämlich indem sie ihm neunzig Minuten auf dem Fuß stehen. Schon frappierend, wie die beiden letzten Sechser des HSV (Mangala im Vorjahr, Fein in dieser Spielzeit) just nach Bekanntwerden, dass sie am Ende der Spielzeit zu ihren Stammvereinen zurückkehren müssen, komplett ihre Form verloren haben.
Vielleicht sollte man sich auf dieser so wichtigen Position in Zukunft nicht mehr auf Leihspieler konzentrieren, sondern versuchen, Kontinuität in den Kader zu bringen. Ob der hochgelobte belgische Jugendnationalspieler Amadou Onana (von der TSG Hoffenheim verpflichtet) die Anforderungen an einen Sechser schon ab dem kommenden Spätsommer erfüllen kann, bleibt abzuwarten. Auch hier muss der HSV tätig werden. Eine abermalige Leihe Feins wäre im Fall eines Nichtaufstieges sowieso vom Tisch. Doch auch wenn der HSV den Sprung ins Oberhaus noch schaffen sollte, wäre Fein für mich keine Option. Viel lieber sollte sich der HSV um die Dienste von Niklas Dorsch bemühen. Was der so drauf hat, haben die HSV-Spieler ja gestern am eigenen Leib erfahren müssen.
Leihspieler wohl allesamt ohne Zukunft beim HSV
Im offensiven Mittelfeld und Sturm wird es auch Veränderungen geben. Leihspieler wie Jordan Beyer und Louis Schaub dürften die längste Zeit in Hamburg gewesen sein. Bei Beyer pocht dessen Klub Gladbach auf eine Rückkehr - und bei Schaub wird der HSV (hoffentlich) nicht die Kaufoption (in Höhe von knapp drei Millionen Euro) ziehen. Von den verbliebenen Akteuren hat sich für mich nur einer in den letzten Wochen herausgeschält: Joel Pohjanpalo. Doch dessen Verpflichtung gestaltet sich schwer bis unmöglich. Wollte Bayer Leverkusen schon vor einigen Wochen um die zehn Millionen Euro für den Spieler bekommen, dürfte dessen Preis nach seinen Toren in den letzten Wochen wohl nicht erheblich niedriger geworden sein. Und ob Jonas Boldt seine alten Kontakte zum Bayer-Klub dergestalt spielen lassen kann, um den Finnen endgültig (und finanziell darstellbar) an die Elbe zu lotsen, erscheint mehr als fraglich.
Jatta, Samperio, Harnik verzichtbar - Kittel muss sich steigern!
Doch auch unter den fest an den Klub gebundenen Spielern gibt es einige, die man hinterfragen muss. Dazu gehört auch, so leid es mir für ihn menschlich tun würde, ein Bakery Jatta. Seit der Rückrunde nur noch ein Schatten seiner selbst, muss man aber auch auf längerfristiger Skala konstatieren, dass seine Entwicklungskurve seit zwei Jahren eher nach unten denn nach oben zeigt. Absurde technische Mängel paaren sich mit bisweilen fehlendem taktischen Grundverständnis. Da kann dann auch Jattas sicherlich vorhandene Grundschnelligkeit nicht viel an dem Gesamteindruck ändern: Jatta ist ein verzichtbares Teil beim HSV geworden. Wie auch ein Jairo Samperio, der in zwei Jahren nie so richtig einen Fuß zwischen die Tür brachte. Wie auch ein Martin Harnik, der bei Nicht-Aufstieg aber eh kein Thema sein dürfte.
Auch ein Sonny Kittel, mit elf Toren tatsächlich immer noch der Top-Torjäger des Teams, wird sich straffen müssen. In der Hinrunde noch maßgeblich für den guten Lauf bis September mitverantwortlich, ist der Pole danach komplett mit untergegangen. Dabei träumte er im November sogar noch von einer Berufung ins polnische Nationalteam (wo Leute wie Lewandowski oder Piatek spielen!).
Ballast Bobby Wood muss wohl bis 2021 mitgeschleppt werden
Leider wird der HSV auch in der kommenden Spielzeit noch den Ballast Bobby Wood mit sich rumschleppen müssen. Das kommt halt dabei raus, wenn man vermeintliche Granaten vorschnell mit Rentenverträgen ausstattet. Der Vertrag des Hawaiianers läuft im Sommer 2021 aus. Zwei Jahre eher als der von Xavier Amaechi. Ob der nun als Flop bezeichnet werden kann oder nicht. Angesichts seines noch jungen Alters kann der HSV eigentlich nicht viel falsch machen, ihn erstmal zu behalten. Zumal er ja auch kein astronomisches Gehalt verschlingt. Fehlende Geduld mit jungen Spielern hat den HSV in den letzten Jahren, unter anderem, dahin gebracht, wo er jetzt steht.
Hunt und Kinsombi - nicht die erwarteten Anführer!
Ein Wort noch zu Aaron Hunt und David Kinsombi. Auf beiden "lastete" vor der Saison der Druck, eine Schlüsselfigur im Spiel der Hanseaten darzustellen. Bei Kinsombi lag das vor allem an der relativ hohen Ablösesumme (3,0 Millionen zahlte der HSV an Holstein Kiel!) und an der Erinnerung an ihn als den großen HSV-Albtraum während der beiden Liga-Spiele gegen die Störche im Vorjahr, als Kinsombi an vier der sechs Kieler Toren beteiligt war. In Hamburg muss sich irgendwie sein Doppelgänger angemeldet haben. Nicht ein komplett überzeugendes Spiel haben die HSV-Fans von Kinsombi gesehen. Es gab in einigen Spielen (wie gegen Wiesbaden oder gegen Kiel in der Rückrunde) mal ein paar gute Phasen - doch für den als Königstransfer deklarierten Mittelfeldspieler ist dieser Leistungsnachweis natürlich viel zu wenig.
Und leider muss man, wenn man strenge Kriterien anwendet, dasselbe auch von Aaron Hunt sagen. Es nützt halt nichts, gut zu spielen, wenn die ganze Mannschaft gut drauf ist (wie im Spätsommer letzten Jahres). Hunt wurde als Anführer angekündigt, als ein Spieler, der in schwierigen Momenten voran geht und die Mannschaft mitreißt. Davon war in den letzten vier Spielen, in denen der Aufstieg wohl abermals weggeworfen wurde, rein gar nichts zu sehen. An diesem Gesamteindruck können auch ein paar Rettungsaktionen am eigenen Strafraum (wie gegen Dresden) nichts ändern. Ein neuer Regisseur ist gefragt. Vom Spielerischen her könnte sogar ein Sonny Kittel diese Rolle einnehmen. Zweifel habe ich da aber bezüglich der mentalen Reife des früheren Ingolstädters.
So oder so - auf den HSV wird in diesem Sommer wohl erneut ein großer Umbruch warten. Und mit neuem Personal wird man dann ab August/September in eine neue Saison starten. Die Ziele bleiben aber auch weiterhin die alten. Jetzt ist Jonas Boldts Händchen bei der Kaderplanung gefragt.