HSV-Analyse: Ein Spieler sollte noch kommen - Wird Vagnoman die Position wechseln?
Von Guido Müller
Gut zwei Wochen vor dem Pflichtspiel-Auftakt hat der Hamburger SV seinen Kader bereits auf vier Positionen verstärkt. Gepaart mit den guten Eindrücken, die das Testspiel gegen Feyenoord Rotterdam hinterlassen hat, kommt man nicht umhin, der sportlichen Führung um Sportvorstand Jonas Boldt und Sportdirektor Michael Mutzel bis hierhin einen guten Job zu attestieren. Zumal alle Neuzugänge ablösefrei gekommen sind - und allesamt das Zeug haben, die Mannschaft tatsächlich zu verstärken.
Die spannende Frage, die sich jetzt die Fans bezüglich der Kaderzusammenstellung stellen, ist folgende: War es das schon? Oder fängt der HSV jetzt erst an? Der finanzielle Aspekt ist dabei natürlich zu berücksichtigen. Es scheint sich herauszukristallisieren: nur wenn der Klub neue Gelder generiert, wird man wohl noch mal aktiv. Es werden also vorher Spieler verkauft werden müssen, um abermals auf dem Transfermarkt zuschlagen zu können. Kandidaten dafür sind weiterhin Lukas Hinterseer und Julian Pollersbeck.
Neuer Keeper kommt nur im Falle eines Verkaufs von Pollersbeck
Während der österreichische Angreifer aktuell nur den dritten Platz in der Stürmerhierarchie einnimmt, ist der frühere U21-Torhüter per se gesetzt. Doch von einer Vertragsverlängerung scheinen beide Parteien momentan ein ganzes Stück weit entfernt zu sein. Und da der Vertrag Pollersbecks im kommenden Sommer ausläuft, wäre diese aktuelle Transferperiode die vorletzte Möglichkeit, den Keeper zu Geld zu machen. Nur unter diesem Licht betrachtet, machen die Gerüchte um den polnischen Torwart Kamil Grabara (2. Mannschaft des FC Liverpool) und Stefanos Kapino überhaupt einen Sinn. Denn: würde man Pollersbeck am Ende verkaufen, soll ein Nachfolger ähnlichen Formats zu den Rothosen stoßen. Daniel Heuer Fernandes würde somit also nicht automatisch der Nachfolger Pollersbecks werden.
Hinterseer wiederum ähnelt in seiner Spielweise zu sehr den beiden vor ihm liegenden Konkurrenten. Und macht momentan auch nicht den Eindruck, seinen Trainer unbedingt von sich überzeugen zu wollen. Die Körpersprache des früheren Bochumers ließ auch beim Test gegen die Holländer zu wünschen übrig. Sollte man also Hinterseer verkaufen, wäre ein Stürmer anderen Zuschnitts wünschenswert.
Innenverteidigung recht gut bestückt
In der Innenverteidigung ist man mit der Verpflichtung von Toni Leistner jetzt relativ gut aufgestellt. Eine weitere Verpflichtung auf dieser Position ergibt nur einen Sinn, wenn sie einen deutlichen Qualitätssprung bedeutet. Das scheint bei den zuletzt gehandelten Namen (vor Leistners Verpflichtung) eher zweifelhaft. Weder Maximilian Rohr vom Drittligisten Carl Zeiss Jena noch Marko Mihojevic (PAOK Saloniki) sehe ich als klares Up-grade zum bereits vorhandenen Personal. Zumal der HSV ja auch neue Wege gehen und sukzessive eigene Nachwuchsleute in die Profi-Mannschaft einbauen wollte. Einem Jonas David oder Stephan Ambrosius nach Leistner einen weiteren gestandenen Zweitligaspieler vor die Nase zu setzen, wäre da eher kontraproduktiv.
Und ich kann mich da nur wiederholen: gegen Feyenoord, das die - abgebrochene - Saison in Holland auf einem dritten Platz beendet hat, sah es vor allem defensiv über weite Strecken schon ganz ordentlich aus. Die klarsten Torchancen hatten die Niederländer nach Aussetzern von HSV-Spielern (Pollersbeck, Mickel, Gjasula und Jung). Mit den genannten David und Ambrosius, zuzüglich Toni Leistner, Ewerton und Rick van Drongelen (wobei dieser erst im kommenden Jahr einsatzbereit sein wird) hat man aktuell fünf gelernte Innenverteidiger im Kader. Als interne Notlösungen kämen auch noch Klaus Gjasula und Gideon Jung in Frage. Macht insgesamt sieben (bis zum Winter sechs) Optionen für Thioune. Akuten Handlungsbedarf sehe ich dort also nicht.
Gesucht wird: ein Nachfolger für Aaron Hunt!
Logischer wäre es, sich allmählich mal um einen Nachfolger für Aaron Hunt zu bemühen. Also einen technisch beschlagenen Mittelfeldspieler zu suchen, der den letzten Pass spielen kann und - idealerweise - selbst torgefährlich werden kann. Die eierlegende Wollmilchsau sozusagen. Dass man solche Spieler nur in absoluten Ausnahmekonstellationen für lau bekommt, ist auch klar. Entsprechend könnte hier der Großteil des für Transfers vorgesehenen Budgets fließen.
Warum probiert der HSV Vagnoman nicht mal auf der Innenverteidigerposition aus?
Noch ein Wort zu Josha Vagnoman. Der soll ja angeblich Angebote von Mittelklasse-Klubs aus der Serie A gehabt haben, was aber vom HSV stets verneint wurde. Beziehungsweise mit dem Kommentar versehen, dass bisher keine offiziellen Anfragen für den Spieler eingetroffen seien. Beim Spiel gegen Feyenoord habe ich den Spieler mal etwas genauer unter die Lupe genommen. Ja, er ist ein Eigengewächs, und steht somit unter einer Art Artenschutz. All zu viele Talente aus den eigenen Reihen haben es ja in den letzten Jahren nicht geschafft, sich in der Profi-Mannschaft des HSV zu etablieren. Und ja, er hat einen stattlichen Körper und somit eine gute physische Präsenz. Aber zu einem Außenverteidiger moderner Prägung gehört halt auch das Offensivspiel. Und da offenbart der 21-Jährige in meinen Augen noch zu viele Defizite. An die letzte gute Hereingabe von Vagnoman kann ich mich persönlich schon gar nicht mehr erinnern. Und so fragte ich mich beim Kick gegen die Rotterdamer, warum man die körperlichen Attribute des Spielers nicht gewinnbringender einbringt - und ihn mal auf der Innenverteidigerposition ausprobiert.
Das Argument, dass er auf dieser Position noch nie gespielt habe, läuft, denke ich ins Leere. Denn auch in der zentralen Defensive wird immer noch Fußball gespielt. Es ist kein anderes Spiel zwischen einer und der anderen Position, nur die Parameter ändern sich. Und Beispiele gibt es zuhauf von umgeschulten Spielern. Sogar Stürmer, die zu Verteidigern umfunktioniert wurden, und Verteidiger, die auf einmal vorne statt hinten agierten. Eine Umstellung von Defensive außen zu Defensive zentral, wie sie im Fall Vagnoman stattfinden würde, nimmt sich da im Vergleich eher unspektakulär aus. Spieltaktisch überfordern sollte den großgewachsenen kräftigen Vagnoman eine solche neue Rolle eigentlich nicht. Auf der rechten Außenbahn hat man mit Jan Gyamerah eine bessere Option als Vagnoman. Und nur als reiner Back-up für "Gjambo" wäre Vagnoman und sein durchaus vorhandenes Potential verschenkt.