Nach dem Angstgegner ist vor dem Angstgegner: Der HSV und seine Baustellen
Von Guido Müller
Von allem etwas. Was am Kalten Buffet meist eine gute Herangehensweise ist, hätte sich HSV-Trainer Tim Walter bezüglich seiner bisherigen Ergebnisse beim neuen Arbeitgeber wohl liebend gerne erspart. Doch nun steht sie da, die Bilanz nach drei Liga-Spielen: Sieg, Unentschieden und Niederlage. Und jetzt kommt ausgerechnet ein weiterer Angstgegner in den Volkspark.
The trend is not your friend
Die Pessimisten unter den HSV-Fans verorten in dem breit gestreuten Zwischenergebnis natürlich schon gleich wieder einen zukunftsweisenden Trend. Immerhin wurde es ja stets schlechter als in der Vorwoche.
Dem (überraschenden) 3:1-Sieg auf Schalke zum Liga-Auftakt folgte ein ernüchterndes Remis zuhause gegen Aufsteiger Dynamo ehe es dann, wie eigentlich jedes Jahr zu Zweitliga-Zeiten, am Millerntor die obligatorische Niederlage setzte.
Die Krise, die beim HSV in den vergangenen drei Jahren mit unschöner Regelmäßigkeit zur zweiten Saisonhälfte Einzug hielt - sie ist jetzt schon in der Anfangsphase der Spielzeit allgegenwärtig.
Natürlich kann mein Stadtderby verlieren. Wie man auch gegen einen (nebenbei bemerkt: starken) Aufsteiger mal zwei Punkte im eigenen Stadion liegen lassen kann. Doch die Art und Weise, wie die letzten drei Halbzeiten angegangen wurden, sollten nicht nur Berufs-Unker auf den Plan rufen.
Es ist die scheinbar unendliche Geschichte von der mangelhaften Einstellung der HSV-Profis, die durch Auftritte wie gegen Dresden (in der 2. Halbzeit) oder am Millerntor (über die gesamte Spieldauer hinweg) immer wieder neue Nahrung erhält.
Wieder einmal haben es die Spieler selbst versäumt, diesem Ruf durch ein engagiertes Auftreten auf dem Platz entgegenzuwirken. Wundern brauchen sie sich jedenfalls am Ende nicht über die Kritik, die auf sie einprasselt.
Oder über Botschaften wie die einiger Unbekannter, die kurz nach der frustrierenden Derby-Niederlage ein Spruchband mit den Worten "Ihr Versager!" auf dem Gelände des Volksparkstadions befestigt hatten.
Tatsächlich ließ sich am Freitagabend bis auf Bakery Jatta eigentlich kein einziger HSV-Akteur aus der Kritik nehmen. Was die Arbeit für Walter nicht unbedingt leichter macht. Soll er jetzt gleich eine komplette Mannschaft auswechseln?
Die Baustellen des Tim Walter
Mitnichten. Denn trotz seines Stellungsfehlers beim 1:2 (der Schuss von Makienok flitzte in seine, die kurze Ecke) stellt Heuer Fernandes weiterhin schon aufgrund seiner Ballfertigkeit ein Upgrade zur vergangenen Saison dar. Grandios (wenn auch gewagt) sein cooles "Dribbling" in der zweiten Halbzeit gegen eben diesen Makienok.
Doch schon auf den defensiven Außenbahnen wäre eine Überlegung hin zu personellen Wechseln zumindest nicht grundverkehrt. Sowohl Tim Leibold als auch Jan Gyamerah brachten offensiv so gut wie nichts zustande - und standen hinten auch nicht immer sicher.
Warum also es nicht mal mit Neuzugang Miro Muheim auf links probieren? Das muss in Bezug auf die linke Flanke der Hamburger noch nicht mal zwangsläufig eine Pause für "Leibe" bedeuten. In einem Rautensystem im Mittelfeld könnte der letztjährige Capitano seine Stärken im Offensivspiel eventuell sogar noch viel besser ausspielen.
Auf der rechten Seite sind die Alternativen nach dem neuerlichen Ausfall von U21-Europameister Josha Vagnoman dagegen nicht größer geworden. Allrounder Moritz Heyer könnte hier für den gegen St. Pauli schwachen Jan Gyamerah einspringen.
In der kreativen Zone des Mittelfelds scheinen wiederum Ludovit Reis als auch David Kinsombi mit der Spiellenkung und der Lieferung von zündenden Ideen überfordert. Was leider auch für Sonny Kittel gilt, womit sich die personellen Alternativen hier schon dramatisch reduzieren.
Was also kann man mit einem Anssi Suhonen so viel schlechter machen? In den Testspielen wusste der quirlige Finne jedenfalls stets zu gefallen.
Als Absicherung dahinter böten sich zum einen Moritz Heyer (sofern nicht rechts gebraucht), als auch Maximilian Rohr an. Beide könnten könnte eine valide Option für das defensive Mittelfeld der Hamburger sein. Neuzugang Jonas Meffert, wirkte beim Stadtderby jedenfalls immer noch angeknockt vom Crash mit Dresdens Luca Herrmann am zweiten Spieltag.
Tim Walter hat also durchaus auch im jetzigen Kader Wahlmöglichkeiten. Von eventuellen (und absolut notwendigen) Neuverpflichtungen bis zum 31. August mal abgesehen.
Und jetzt kommt ein weiterer Angstgegner in den Volkspark
Und genau in dieser etwas unklaren Gemengelage bezüglich des Potentials des gegenwärtigen Aufgebots meldet sich nun ausgerechnet Angstgegner Darmstadt 98 an.
Gegen die Hessen konnten die Rothosen in bisher drei Zweitliga-Spielen zuhause im Volkspark noch kein einziges Mal (!) gewinnen. Dem fast schon legendären 2:3 (nach 2:0-Führung) vor etwas mehr als zwei Jahren folgte in der Spielzeit 2019/20 ein 1:1 (zum Liga-Start) sowie eine 1:2-Niederlage in der vergangenen Saison.
Zudem kommen die Darmstädter mit enorm viel Rückenwind in den Volkspark. Am vergangenen Sonntag fertigten sie völlig überforderte Ingolstädter mit 6:1 ab.
Klaus Gjasulas Abrechnung mit einem Teil der HSV-Fans
Und sie kommen mit einem Mann in ihren Reihen, der nach seiner unglücklichen Zeit in Hamburg an neuer Wirkungsstätte offenbar die Lust am Fußball wiedergefunden hat: Klaus Gjasula.
Gegenüber dem Hamburger Abendblatt nahm der 31-Jährige sein Scheitern in der Hansestadt zwar einerseits voll auf seine Kappe ("In erster Linie bin ich selbst verantwortlich. Ich wollte Leistungsträger sein und mein wahres Gesicht zeigen. Die Fans haben leider ein anderes Gesicht von mir gesehen."), vergaß dabei aber auch nicht zu erwähnen, dass die häufig ätzende Kritik der Fans an seiner Person es ihm nicht unbedingt leichter gemacht habe.
"Ich war es nicht gewohnt", so Gjasula, "nach einem schlechten Spiel aus jeder Ecke so attackiert zu werden. Das nimmt dir den Spaß am Fußball. Wenn du dich nicht mehr wohlfühlst, kannst du auch deine Leistung nicht abrufen."
Viele Spieler würden sich deshalb, so der Routinier, mittlerweile komplett aus den Sozialen Netzwerken zurückziehen. Doch das könne ja auch nicht die Lösung sein.
Stimmt! Am besten wirkt man der Unzufriedenheit der Fans, die beim HSV vielleicht nochmal ein bisschen heftiger als anderswo ausfällt, mit guten Leistungen und entsprechenden Resultaten entgegen.
Und am allerbesten gegen einen veritablen Angstgegner. Am kommenden Sonntag (13.30 Uhr) erhalten die Spieler des HSV eine neue Chance dazu.