How to beat Lyon: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung nach Arsenals Beispiel
Von Helene Altgelt
Schwerer Schlag bei der Mission Titelverteidigung: Der französische Gigant Olympique Lyonnais hat sein erstes Spiel in der UWCL 2022/23 zuhause mit 1:5 verloren. Ein auf mehreren Ebenen historischer und unerwarteter Sieg von Arsenal, das sich eiskalt und hellwach zeigte. Die Londonerinnen gaben eine perfekte Lehrstunde dafür, wie das vermeintlich übermächtige Lyon geschlagen werden kann - die Analyse aus dem Groupama Stadion.
Schritt 1: Die Ausgangslage ausnutzen
Zum Aufwärmen traten zwei verletzungsbedingt geschwächte Teams auf den Rasen, Lyon hatte es aber härter getroffen: Weder Ada Hegerberg, noch Dzsenifer Marozsan, Sara Däbritz, Griedge Mbock Bathy oder Delphine Cascarino bekamen die 8.000 Zuschauer im Groupama Stadion an diesem Abend zu sehen. Lyons Trainerin Sonia Bompastor veränderte daher ihr Team im Vergleich zum UWCL-Finale 2022 auf fünf Positionen, konnte aber dennoch auf Spielerinnen mit Qualität zurückgreifen: So spielte etwa Eugenie Le Sommer von Anfang an. Vielleicht nicht die höchstmögliche Qualität auf allen Positionen, aber dennoch ein Star-Ensemble. Lyon sollte später weniger die individuelle Qualität als die fehlende Eingespieltheit und taktische Ausrichtung zum Verhängnis werden.
Arsenal hatte mit den beiden etatmäßigen Innenverteidigerinnen ebenfalls unangenehme Ausfälle zu beklagen. Die Stimmung war daher gut bei den Lyon-Fans vor Anpfiff, viele rechneten mit einem torreichen Sieg: 3:2, 2:1 oder 3:1, so lauteten einige Tipps. Von englischer Seite gingen auch die Wenigsten von einem Sieg aus. Trotz der Verletzungen deutete wenig auf das hin, was später kommen sollte - zudem Lyon bekannt dafür ist, nach Rückschlägen zurückzukommen und Topleistungen zu bringen, wenn viele zweifeln. Aber Arsenal, nach neun Spielen ohne Gegentor in der englischen Liga mit Selbstvertrauen nach Lyon gereist, nutzte die günstige Ausgangslage mustergültig aus.
Schritt 2: Mit der Aufstellung überraschen
Dabei spielte die Startelf der beiden Teams eine große Rolle: Lyons Trainerin Sonia Bompastor entschied sich für eine mutige Aufstellung: Inès Jauréna, eigentlich eher im Mittelfeld zuhause, spielte als Rechtsverteidigerin. Dafür wurde Janice Cayman, die diese Rolle meist bekleidet, nach vorne verschoben. Lyons Linksverteidigerin, Selma Bacha, ist für ihren Offensivdrang bekannt und oft sehr offensiv positioniert. Damit boten die beiden Außenverteidigerinnen Lyons eine Angriffsfläche, die Arsenal ausnutzte.
Ihre eigene Stärke war an diesem Abend aber das Mittelfeld. Auch Arsenals Trainer Jonas Eidevall hatte zu einer überraschenden Entscheidung gegriffen: Mit Vivianne Miedema saß der Star des Teams nur auf der Bank - später wurde spekuliert, dass sie noch nicht ganz fit war. Mindestens zum Teil war es aber auch ein taktisches Kalkül. Statt Miedema spielte im offensiven Mittelfeld die Norwegerin Frida Maanum, bisher eher Ergänzungsspielerin gewesen. Maanum zeigte eindrucksvoll, dass das vielleicht nicht so bleiben sollte und glänzte mit ihrer Durchsetzungsfähigkeit. Miedema ist ohne Zweifel eine exzellente Technikerin, aber in der neuen Rolle im Mittelfeld hatte sie gegen körperlich spielende Teams öfters Probleme. Maanum dagegen behauptete immer wieder stark den Ball und gewann wichtige Zweikämpfe.
Schritt 3: Einen guten Start erwischen und Problemzonen finden
Wenn Lyon einmal ins Rollen gekommen ist, sind sie schwer zu stoppen. Das zeigte zum Beispiel das Champions-League-Finale gegen Barcelona, wo sie sich früh in einen Rausch spielten. Arsenal verhinderte das und konnte die Anfangsphase ausgeglichen gestalten. Auch selber kamen die Gunners wenig vor das gegnerische Gehäuse, strahlten aber dennoch mehr Gefahr aus als Lyon. Nach dieser Phase des gegenseitigen Abtasten wirkte es, als hätte Arsenal identifiziert, womit sie Lyon wehtun konnten: mit schnellem, flexiblem Kombinationsspiel in die Halbräume.
Fortan rollten viele alle Angriffe über die linke Seite von Arsenal, wo Verteidigerin Jauréna mehrmals mit Caitlin Foord überfordert war. Aber auch Bacha auf rechts, die das träge Offensivspiel Lyons mit ihren Impulsen beleben wollte und daher ihre Rolle offensiv interpretierte, ließ sich öfters überrumpeln. So entstand dann auch das wichtige 1:0, als Fast-Ballon-d'Or-Gewinnerin Beth Mead einen Pass perfekt annahm und an Wendie Renard vorbei zu Caitlin Foord passte. Bacha konnte dem Ball nur noch hinterherschauen, Foord hatte mit dem Abschluss dann wenige Probleme. Arsenal spielte den Plan besonders in dieser Phase sehr stringent aus und fand Lyons Problemzonen.
Schritt 4: Schnell und flexibel spielen
Neben den Flügelspielerinnen kam auch dem Mittelfeld eine besondere Rolle zu. Frida Maanum und Kim Little stachen bei Arsenal besonders heraus, indem sie durch gute Ballverarbeitung und schnelle Pässe Lyon ständig dazu zwangen, dem Ball hinterherzulaufen. Klingt simpel, war aber sehr effektiv, und mit diesem No-look-Passspiel konnte Arsenal sich seine besten Chancen erarbeiten. Das Mittelfeld von Lyon dagegen war an diesem Tag unerklärlich unkoordiniert. Hier können auch die Verletzungen nicht als Erklärung herhalten, denn Amandine Henry, Lindsey Horan und Danielle van de Donk sind allesamt Topspielerinnen. Aber an diesem Abend bekamen sie nie Zugriff auf das Spiel und ließen sich viel zu leicht den Ball vom Fuß nehmen.
Auch die positionelle Flexibilität von Arsenal brachte Lyon in vielen Situationen aus dem Konzept. Die Gunners spielten nicht in einem starren System, sondern tauschten in den zentralen Positionen immer wieder die Rollen. Stürmerin Stina Blackstenius etwa machte nicht als Empfängerin von Pässen auf sich aufmerksam, sondern spielte selbst einige gelungene Bälle hinter die Kette. Oder sie kam mit Dynamik aus dem Mittelfeld nach vorne, womit sie auch den Freistoß herausholte, der von Mead zum 3:1 verwandelt wurde. Mittelfeldspielerin Kim Little spielte stellenweise als Rechtsverteidigerin, was Laura Wienroither die Möglichkeit gab, vorne zu unterstützen.
Schritt 5: Das Glück auf seiner Seite haben
Nach diesen taktischen Betrachtungen muss aber auch hinzugefügt werden, dass es ein Tag war, an dem für Arsenal alles lief und für Lyon fast nichts. Sinnbildlich dafür steht das 4:1, als Wendie Renard sich einen für ihre Verhältnisse unerklärlichen Patzer leistete und genau in die Füße von Foord spielte. Die Australierin, aktuell in der Form ihres Lebens, hielt einfach mal drauf und der Ball schlug genau im Winkel ein. Oder auch das 3:1, denn Meads Freistoß war zwar clever gemacht, aber Lyons Mauer stand falsch und der Schuss war für Endler nicht komplett unhaltbar.
So war es ein Spiel, das die statistischen Modelle sich nicht so recht erklären konnten: Laut dieser Grafik handelte es sich um ein komplett ausgeglichenes Spiel, in dem Lyon sogar leicht gefährlicher war. In Wirklichkeit aber glaubte nach dem 2:0 schon fast niemand mehr im Groupama Stadion an eine Aufholjagd von Lyon. Selbst nach dem 2:1 fehlte ihnen der Zug zum Tor, OL kam fast nie durch die Mitte zum Erfolg. Arsenal dagegen nutzte zwei elementare Schwächen - zu offensiv positionierte Außenverteidigerinnen und ein unsortiertes Mittelfeld - eiskalt aus und durfte einen historischen Sieg feiern.
Nie zuvor konnten sie in der UWCL gegen ein französisches Team triumphieren. Nie zuvor hatte Lyon zuhause fünf Tore eingeschenkt bekommen. Das letzte Mal, dass sie in der Champions League überhaupt vier Tore oder mehr kassierten, war 2008, gegen den MSV Duisburg. Mit Arsenals Sieg in dieser Form hätte niemand rechnen können, aber die UWCL hat eben ihre eigenen Gesetze.
Folgt uns für mehr Frauenfußball bei 90min:
Twitter:@FF_90min
Podcast: Raus aus dem Abseits
Alle News zum Frauenfußball hier bei 90min:
Alle Frauenfußball-News
Alle DFB-News
Alle Frauen-Bundesliga-News