Hinrundenmeister: HSV dreht die Partie dank Kinsombi in Braunschweig - die Kritik zum Spiel
Von Marcel Stummeyer
Der Hamburger Sport-Verein dreht einen 0:2 Rückstand gegen Eintracht Braunschweig zu einem 4:2-Auswärtssieg und beendet damit die Hinrunde der Saison 2020/21 auf dem ersten Tabellenplatz. Besonders individuelle Fehler der Hausherren begünstigen den am Ende verdienten Sieg. Allerdings präsentierten sich die Rothosen nach dem Seitenwechsel zielstrebiger - drei Tore gab es als Lohn für einen couragierten Auftritt gegen mutige Braunschweiger, denen eigene Patzer zum Verhängnis wurden.
Herbstmeister? Wintermeister? Hinrundenmeister? HSV gegen den BTSV - das letzte Spiel einer ungewöhnliche Hinrunde, die wohl niemand von uns so schnell vergessen wird.
Diese Hinserie schließen die Rothosen nach einem 4:2 Sieg an der Hamburger Straße auf Platz eins der 2. Bundesliga ab - eine Momentaufnahme und er erste Sieg für den HSV in Braunschweig seit 38 Jahren.
Frühe und späte kalte Dusche - Braunschweig brutal effizient
Zum vierten Mal in Folge bot Daniel Thioune die selbe Startformation auf. Einen Grund die Aufstellung zu ändern hatte der Coach nach den jüngsten Erfolgen nicht.
Dass die Eintracht als "Favoriten-Schreck" berücksichtigt sind, merkten die Hanseaten früh. Mit dem ersten richtigen Angriff gingen die Gastgeber in der 9. Minute mit 1:0 in Führung - Felix Kroos nutzte ein kurzzeitiges Durcheinander im HSV-Strafraum, um sein Team in Front zu bringen - die Innenverteidigung des HSV konnte das Spielgerät nicht aus der Gefahrenzone buchsieren, sodass Kroos aus kurzer Distanz den Ball über die Linie spitzeln konnte.
Folglich konnten die Gäste von der Elbe zwar ein deutliches Übergewicht aufbauen, gefährliche Offensivaktionen waren jedoch Mangelware. Einzig ein halbherziger Terodde-Kopfball konnte als Chance verbucht werden.
Die Formationsumstellung der Eintracht hin zu einer Viererkette trug Früchte - die gefährlichen Außenspieler des HSV wurden erfolgreich aus dem Spiel genommen und auch die Bewegung gegen den Ball war taktisch hervorragend.
Das außergewöhnliche Kombinationsspiel der Rothosen kam selten zur Entfaltung - in Minute 41 scheiterte Bakery Jatta nach starker Vorlage noch knapp, im Gegenzug erhöhten die Gastgeber zum 2:0. Profitiren könnten die Löwen von zwei Ungenauigkeiten in der Defensive der Hanseaten - Stephan Ambrosius tat sich gegen den großgewachsenen Nick Proschwitz enorm schwer und verlor ein entscheidendes Luftduell, bevor Toni Leistner mit einem groben Fehler den Grundstein zum 0:2 legte. Zwei Mal kam die Eintracht gefährlich vor das Gehäuse von Sven Ulreich - beide Male schlug das Spielgerät im Netz ein.
Sekunden vor dem Pausenpfiff kam es dann doch noch zu einem genialen Moment des HSV: Sonny Kittel legte den Ball mit toller Übersicht auf den Elfmeterpunkt, wo David Kinsombi lauerte und zum verdienten Anschluss treffen konnte.
Terodde nimmt Geschenk an, Hunt dreht - BTSV-Fehler begünstigen Auswärtssieg
Zur Pause tat sich etwas auf Seiten des HSV: Bakery Jatta und Josha Vagnoman blieben in der Kabine - Oldie Aaron Hunt und der junge Amadou Onana betraten dafür das Feld.
Auch der Coach schien nun mehr Wert auf die Halbräume zu setzen, was sich sofort bemrkbar machte. Nach einem individuellen Fehler von Brian Behrend glich der HSV aus.
Behrend klärte den Ball genau auf den Fuß von Simon Terodde, der ohne große Mühen seine 17. Saisontreffer markierte und sein Team somit endgültig zurück in die Partie brachte.
Keine zehn Minuten später gingen die Hanseaten sogar in Front. Erneut war Sonny Kittel Passgeber, dieses Mal für Aaron Hunt, der erneut einen individuellen Fehler der Gastgeber bestrafte und zur Führung traf.
Nun lief es für die Gäste: weiterhin wurde auf das Tor der Löwen gestürmt. In Minute 65 der nächste gefährliche Vorstoß und auch hier macht ein Eintracht-Akteur keine gute Figur. Dieses Mal war es Schlüter, der den Ball am eigenen Strafraum an Moritz Heyer verlor, der für Doppelpacker David Kinsombi vorlegte - 4:2.
Braunschweig gab jedoch nicht auf, sondern versuchte selbst aktiv zu werden. Der HSV, nur noch auf Verwaltung beruht, musste einige Eckstöße verteidigen. Selbst waren die Hanseaten kaum noch in der gegnerischen Hälfte unterwegs. Mit Glück kann man jedoch bilanzieren, dass der BTSV keine glasklare Chance mehr erspielen konnte. Die zahlreichen Ecken wurden zumeist von Toni Leistners Platte aus der Gefahrenzone befördert.
Bis zum Abpfiff ließen die Hansestädter nichts mehr anbrennen, weshalb am Ende ein 4:2 Sieg auf der Anzeigetafel stand. Ein Sieg, der in der Halbzeit entschieden wurde.
Die Kritik zum Spiel gibt's hier:
1. Tor
Sven Ulreich wirkte speziell unter Druck nicht immer sicher. Hohe Bälle parierte der ehemalige Nationalkeeper zwar zuverlässig, bei den beiden Gegentoren sah "Ulle" jedoch nicht astrein aus. Dennoch darf sich auch der Schlussmann des HSV Kredite am Sieg berechnen, denn in Halbzeit zwei überquerte kein Ball mehr die Torlinie des HSV, auch, weil Ulreich senen Strafraum gut im Griff hatte.
2. Abwehr
Tim Leibold war heute vor allem defensiv gefordert. In Halbzeit eins prägten unglückliche Pässe das Spiel des Kapitäns, der lange den roten Faden suchte. Nach dem Seitenwechsel wurde der Linksverteidiger jedoch zu einem wichtigen Faktor. Dank seiner Erfahrung wurden viele Angriffe der Hausherren geklärt.
Toni Leistner sah besonders vor dem 0:2 sehr schlecht aus. Aber: Fehler passieren. Auch Leistner stabilisierte sich nach der Pause und konnte folglich sein gewohnt sauberes Stellungsspiel einsetzen. Auch die zahlreichen Ecken des BTSV fanden häufig auf der (Halb-) Glatze von Big-Toni ihren Meister. Dank des 30-jährigen muss man sich bei gegnerischen Ecken kaum sorgen machen. Auch in der Spieleröffnung zeigte Leistner in der 2. Halbzeit seine Qualitäten - in Halbzeit eins kam aus der Abwehr heraus kaum ein verwertbarer Ball.
Stephan Ambrosius startete wackelig in die Partie. Gegenspieler Nick Proschwitz brachte den jungen Verteidiger an seine Grenzen. Nicht selten hatte Ambrosius gegen den erfahrenen BTSV-Stürmer das Nachsehen. Vor dem 0:2 verlor der U21-Nationalspieler ein Schlüsselduell gegen Proschwitz, das zum Gegentreffer führte. Die unsaubere Zweikampfführung wurde aber nach der Halbzeit deutlich besser. Ambrosius konnte seine Physis nach der Pause besser anbringen.
Josha Vagnoman - ein Leidtragender der klaren Taktik der Hausherren. Der BTSV hatte es auf den formstarken Vagnoman abgesehen, das war spürbar. Entgegen der letzten Wochen fand Braunschweig ein Mittel gegen den jungen Außenverteidiger des HSV, der aufgrund der engen Deckung kaum Akzente setzen konnte.
Glücklos musste Vagnoman zur Pause runter - eine harte. aber richtige Entscheidung des Trainers.
3. Mittelfeld
Moritz Heyer starte als defensiver Mittelfeldspielerund wechselte zur Pause auf die Position des rechten Verteidigers. Heyer zeigte eindrucksvoll, dass er ein wahrer Allrounder ist, denn auch als Außenverteidiger konnte Heyer für entscheidende Impulse sorgen. In der ersten Halbzeit noch mit ungewohnten Stockfehlern, legte der 25-jährige das 4:2 durch Kinsombi auf - die zweite Torbeteiligung der Saison für den ehemaligen Osnabrücker.
David Kinsombi - der Mann des Spiels. Von der persönlichen Krise des 25-jährigen ist nichts mehr zu sehen. Momentan präsentiert sich der Mittelfeldmann in einer ausgezeichneten Verfassung. Sechs Scorerpunkte aus den vergangenen sechs Partien - diese starke Quote spricht absolut für den holprig in die Saison gestarteten Kinsombi und offenbart eindrucksvoll, wie wichtig der Mann für den HSV sein kann. Dabei zeigt sich er deutsch-Kongolese nicht nur torgefährlich, sondern ebenso mit einem unglaublichen Arbeitspensum für sein Team - dieser Kinsombi macht einfach nur Spaß.
Jeremy Dudziak war erneut als Kreativkopf seiner Mannschaft eingeteilt. Zwar konnte der Tunesier heute keine Torbeteiligung verbuchen, indirekt war der 25-jährige jedoch an nahezu allen Offensivaktionen der Rothosen beteiligt. Die Pässe des Technikers sorgen regelmäßig für Gefahr in Reihen des Gegners, beispielsweise vor dem 2:2-Ausgleich.
4. Sturm
Lange blieb Sonny Kittel weit hinter den Erwartungen zurück, gegen Osnabrück platzte der Knoten des Edeltechnikers und auch heute legte der 28-jährige nach, der nach kurzem Anlauf vor Spielfreude strotze.
Den Anschlusstreffer legte der Zehner frech auf und auch die Vorlage zum 3:2 sicherte sich Kittel, der auch in Braunschweig eine Menge Selbstvertrauen tankte. In dieser Verfassung ist Sonny Kittel ein absoluter Unterschiedsspieler, der für die entscheidenden Momente eines Spiels zuständig ist - so auch heute. Es bleibt zu hoffen, dass der Offensivmann diese positive Welle noch lange für sich nutzen kann.
Vor der Partie sagte BTSV-Coach Daniel Meyer: "Für uns geht es darum, die Hamburger Angriffsmaschinerie zu stören und Sand ins Getriebe zu werfen. Wir sind trotzdem optimistisch, weil wir gerade gegen Spitzenmannschaften zu Hause gute Leistungen gebracht haben" - Bakery Jatta war der Leidtragende dieses Plans, denn besonders der Gambier versprühte in den letzten Wochen enorme Gefahr. Kaum war der 22-jährige am Ball, waren einige Gegenspieler im Weg. Durch die kompakte Spielweise der Eintracht-Verteidigung wurden dem pfeilschnellen Stürmer nicht dir Räume ermöglicht, die er dringend benötigt. Zwar hatte Jatta in der 41. Minute die Chance zum Anschluss, sein technisch anspruchsvoller Volley sauste jedoch über den Querbalken. Die defensive Spielweise der Hausherren warf erfolgreich Sand in das Getriebe von Bakery Jatta, der zur Pause glücklos ausgewechselt wurde - taktisch gesehen eine gewinnbringende Entscheidung und kein Impuls gegen "Baka", der schon am kommenden Dienstag gegen einen mitspielenden wieder wichtig werden könnte.
Simon Terodde trifft gegen Eintracht Braunschweig besonders gerne - vor dieser Spiel traf der 32-jährige bereits neun Mal gegen die Niedersachsen und am heutigen Nachmittag folgte Bude Nummer 10 gegen die Löwen.
Mit seinem Ausgleich zum 2:2 erhöht sich die Ausbeute des Mittelstürmers auf bereits 17 Saisontore. Wiedermal war Terodde ein entscheidender Mann für den HSV, auch wenn das heutige Tor zu den "leichteren" gehörte, genau da muss ein Stürmer lauern.
5. Einwechslungen
Zur Halbzeit reagierte Daniel Thioune - Bakery Jatta und Josha Vagnoman bliebe in der Kabine. Aaron Hunt und Amadou Onana wurden dafür in das Geschehen geworfen. Eine Entscheidung, die sich lohnen sollte, denn Aaron Hunt besorgte in der 59. Minute die erstmalige Führung für seine Mannschaft - ein toller Erfolg für den Routinier und sein 2. Saisontor. Auch Onana stabilisierte die Zentrale merklich. Der junge Belgier agierte gewohnt bissig und präsentierte sich am Gegenspieler gewohnt hartnäckig. Besonders diese Wechsel ebneten den Weg für die tolle Aufholjagd der Rothosen - Daniel Thioune reagierte in der Pause genau richtig.
In Minute 74 betrat Gideon Jung für David Kinsombi das Feld, fünf Minuten später ersetzte Manuel Wintzheimer Simon Terodde und für die letzten Minuten kam Ogechika Heil für Jeremy Dudziak.
Jung half, die Defensive in der entscheidenden Phase zu stabilisieren, für Wintzheimer und Heil waren es wichtige Minuten für das Selbstvertrauen. Beide Offensivkräfte traten jedoch nicht mehr entscheidend in Erscheinung, da der HSV in der Endphase der Partie keine offensiven Bemühungen mehr startete.
6. man of the match
Lange nur ein Schatten seiner selbst, mittlerweile in Top-Form: David Kinsombi krönte seine tolle Leistung mit einem Doppelpack und meldete sich endgültig zurück. Lange stand der 25-jährige neben sich, heute stand er vor allem immer richtig - zwei Tore als Lohn für eine enorme Leistungssteigerung in den letzten Wochen. Sechs Scorerpunkte aus zwölf Spielen sprechen eine deutliche Sprache - die Tendenz zeigt ganz klar steil nach oben. Sowohl offensiv, als auch defensiv war der deutsch-Kongolese in Braunschweig immer präsent. Zumeist traf Kinsombi die richtigen Entscheidungen, die sein Team auf die Siegerstraße führten - ein grandioser Auftritt.
Eine lange Pause gibt es nicht - im Gegenteil: Schon am Dienstag müsse sich die Hamburger erneut beweisen - auswärts gegen Fortuna Düsseldorf - eine richtungsweisende Hammer-Aufgabe für die Thioune Schützlinge.
Wichtig ist nun, nicht den Rückwärtsgang einzulegen, sondern weiter Vollgas zu geben. Ab dem heutigen Tag zählt die Uhr wieder rückwärts und dieses Mal - hoffentlich - für den HSV, der nun alles in der eigenen Hand hat. Der Platz an der Sonne ist hart umkämpft und wurde den Rothosen nicht selten zum Verhängnis. Dieses Jahr soll jedoch alles anders sein.