Heynckes zweifelt an Sané: Wie gut ist Bayerns Wunschtransfer wirklich?
Von Florian Bajus
Im großen Interview mit WELT am Sonntag hat Jupp Heynckes über die Transferplanungen beim FC Bayern gesprochen und seine Bedenken geäußert. Allen voran beim anvisierten Transfer von Leroy Sané ist der 74-Jährige zwiegespalten. Wie gut ist der deutsche Nationalspieler wirklich?
Sané ist das große Transferziel der Bayern. Der Flügelspieler, einst beim FC Schalke 04 durchgestartet, steht nur noch bis 2021 bei Manchester City unter Vertrag, eine Verlängerung lehnte er stets ab. Doch auch ein Bayern-Wechsel kam trotz aller Bemühungen des Rekordmeisters nicht zustande.
Die jüngsten Entwicklungen deuten darauf hin, dass Sané tatsächlich künftig in der Allianz Arena spielen könnte. Jupp Heynckes ist jedoch nicht zu 100 Prozent davon überzeugt, dass der 24-Jährige der erhoffte Top-Spieler sein wird, den Sportdirektor Hasan Salihamidzic kürzlich angekündigt hat. "Er war gut in Schwung, bevor er sich so schwer verletzt hat", erklärt Heynckes in WELT am Sonntag - doch der Ex-Trainer sagt auch : "Für mich hat er noch nicht den Durchbruch zu einem absoluten Top-Spieler geschafft."
Sané stehe "am Scheideweg. Wird er weiter hart an sich arbeiten, oder wird er weiterhin nur ein ganz außergewöhnliches Talent sein?" Für Heynckes ist klar, dass er noch lange kein Top-Spieler ist: "Er muss bereit dafür sein, den nächsten großen Schritt zu gehen, denn es nutzt nichts, das Talent ab und zu mal aufblitzen zu lassen." Die kolportierte Ablösesumme von etwa 100 Millionen Euro hält Heynckes für "nicht gerechtfertigt".
Wie gut ist Leroy Sané wirklich?
Ein hartes Urteil des Triple-Trainers. Doch wie gut ist Sané wirklich? 39 Tore und 45 Vorlagen in 134 Pflichtspielen für City sind ein ordentlicher Wert, aber ein Blick auf die rohen Daten reicht nicht aus, um die Qualität eines Spielers zu beurteilen.
Sané ist ein Feinfuß, der auf der linken Außenbahn weit rauszieht, um den Außenverteidiger im Eins-gegen-eins anzudribblen und dann mit seiner technischen Finesse und seinem Tempo vorbeizuziehen. Das Ziel ist, hinter die letzte Linie zu kommen, in den Strafraum einzudringen und den Ball in den Rückraum zu legen, wo dann ein Mitspieler den Ball nur noch über die Linie bringen muss. Wenn er den nötigen Platz bekommt, ist dieses Vorhaben erfolgreich - ist der Gegner dicht gestaffelt, vermag es ihm nicht immer zu gelingen.
Ein weiterer Pluspunkt ist seine Handlungsschnelligkeit im Kombinationsspiel der Citizens, auch sein starker linker Fuß ist in zahlreichen Situationen eine echte Waffe. Sané kann haargenaue Pässe spielen, präzise und scharfe Flanken schlagen oder den Ball in den Winkel schlenzen. Allerdings gibt es auch Momente, in denen er zu eigensinnig und verspielt wirkt. Statt den freien Mann anzuspielen, schließt er selbst ab und scheitert am gegnerischen Torhüter. Oder er will es nicht nur mit einem, sondern mit zwei oder drei Gegenspielern aufnehmen - nicht immer setzt er sich durch.
Genau das könnte ein Problem werden: So stark Sané im Eins-gegen-eins auch ist, so muss ihm bewusst sein, dass er bei den Bayern - ähnlich wie bei City - allen voran gegen tief stehende Gegner bestehen müsste. Die Flügel werden mindestens gedoppelt, Alleingänge wären folglich ein zu hohes Risiko. Allerdings marschiert Alphonso Davies häufig nach vorne und hinterläuft den Flügelspieler - auf den Rückhalt des jungen Kanadiers wäre Sané angewiesen.
Eine Sache, die in der vergangenen Saison aufgefallen ist: Sané rückte öfter ins Zentrum, konnte aufgrund der breiten Abwehrkette des Gegners nicht mehr so weit nach außen schwimmen. Nach einem sehr guten Start in 2018/19 baute er stetig ab, erhielt Ende Januar immer weniger Spielzeit und brachte in seinen letzten zehn Premier-League-Spielen entsprechend nur zwei Tore und eine Vorlage zustande.
Wie lange wird Sané brauchen, bis er wieder bei 100 Prozent ist?
Auch bleibt abzuwarten, zu welchen Leistungen er nach seiner Kreuzbandverletzung imstande ist. Sané wird sich erst wieder herankämpfen müssen, nach vielen Monaten ohne Ball am Fuß ist Spielpraxis extrem wichtig; wirklich hilfreich ist die Coronakrise nicht. Seit August hat er nur 57 Spielminuten bei der U23 erhalten, je länger die Saison nach hinten verschoben wird, desto mehr Zeit wird Sané brauchen, um zu alter Stärke zurückzufinden.
Selbst der geringere kolportierte Preis von 80 Millionen Euro ist in diesem Zusammenhang kaum zu rechtfertigen. Ja, die Preise sind in den vergangenen Jahren gestiegen - aber einerseits belastet die wirtschaftliche Krise viele Klubs, andererseits hat Sané nur noch ein Jahr Vertrag und ist erst im Februar von einer schweren Verletzung zurückgekehrt. Und da er in seiner Entwicklung noch nicht am Ende ist (auch auf die Arbeit gegen den Ball bezogen), dürften die Bayern weiter an der Ablösesumme feilen.