Hertha BSC: Labbadia fordert Geduld - doch bekommt er die Zeit?
Von Christian Gaul
Die Hertha startete mit vier Niederlagen in den ersten fünf Ligaspielen ergebnistechnisch enttäuschend in die Saison. Klar ist, dass nach den üblichen Gesetzmäßigkeiten auch der Berliner Trainer Bruno Labbadia nun unter Zugzwang steht - dabei ist ihm jedoch kaum ein Vorwurf zu machen.
Nach der absurden Spielzeit 2019/20 wollte man sich bei der Hertha aufrappeln und in eine neue, glänzende Zukunft blicken. Doch aktuell befindet man sich nach fünf Spielen auf Rang 15 der Bundesliga-Tabelle. Nach dem Sieg zum Auftakt in Bremen setzte es vier Niederlagen am Stück, auch wenn die Mannschaft phasenweise einen ordentlichen Fußball spielte.
Hertha-Trainer Bruno Labbadia ist erfahren genug, um zu wissen, dass er mit jedem weiteren Punktverlust immer mehr im Fokus stehen wird. Allerdings sollte man bei aller Kritik bedenken, wie schwer die Arbeit eines Übungsleiters in Berlin ist - und auch intern unnötig erschwert wird.
Die Hertha im Zwiespalt - Vergleiche mit Wolfsburg
Im ausführlichen Interview mit dem Sportbuzzer zeigte sich Labbadia gewohnt souverän im Umgang mit den Medien. Zudem ließ er aber auch erkennen, wo die Problemzonen beim ambitionierten Klub an der Spree liegen.
Der Begriff "Big-City-Club" sollte für eine moderne Hertha stehen, die sich anschickt, die europäischen Bühnen zu bespielen. Doch die Realität ist grauer als jemals zuvor in der Bundesliga-Zeit des Vereins.
"Diesen Slogan haben ja andere geprägt, nicht die Verantwortlichen des Vereins. Prinzipiell habe ich nichts dagegen, wir sind ja grundsätzlich der Hauptstadt-Klub. Aber mit Worten allein ist noch keiner weitergekommen. Wir müssen intensiv arbeiten, so wie wir es in Wolfsburg gemacht haben - da haben wir auch weniger gesprochen und mehr getan", will Labbadia den Begriff ad acta legen.
Dabei widerspricht er den "mittelfristigen Meisterschaftsambitionen" von Investor Lars Windhorst und natürlich auch den Utopien von Jürgen Klinsmann. Dass die Hertha aktuell nicht DER Hauptstadtklub ist, da der 1. FC Union Berlin die vergangene Saison punktgleich mit der Hertha abschloss und auch aktuell besser da steht, ist nicht nur eine Randnotiz. Vielmehr verdeutlicht Labbadias Aussage den Zwiespalt, in dem die Hertha-Verantwortlichen argumentieren müssen.
Einerseits will man natürlich den Investor nicht verprellen, indem man den mittelfristigen Abstiegskampf ausruft oder sich kleiner macht, als es Windhorst gerne hätte. Andererseits muss man die Realität im Auge behalten und Labbadia tut dies. Dass der Trainer seinen Ex-Klub Wolfsburg anführt, hat einen Grund: Am kommenden Sonntag empfängt man die Wölfe im Olympiastadion.
Labbadia hatte Wolfsburg im Frühjahr 2018 übernommen und über die Relegation in der Bundesliga gehalten. In der Folgesaison führte er das Team auf Rang sechs und damit in das internationale Geschäft. Im Sommer 2019 wurde seine Arbeit beim VfL jedoch beendet. "Das ist weit weg und ich bin keiner, der nachkartet. Ich erinnere mich vor allem an die schönen Sachen. Die positiven Dinge überwiegen, vor allem im zweiten Jahr", will Labbadia das Thema ruhend wissen.
Labbadia kann nicht spontan die Versäumnisse der Vergangenheit aufarbeiten
Die aktuelle Stabilität der Wolfsburger ist auch auf das Schaffen Labbadias zurückzuführen, einen ähnlichen Verlauf sollte auch seine Arbeit mit der Hertha nehmen. Doch der Trainer sieht trotz der großen Investitionen noch erhebliche Unterschiede zu anderen Klubs. "Die Erwartungshaltung kommt eher von außen als von innen. Intern wissen wir schon ganz genau, welchen Weg wir gehen müssen. Und da sind wir noch ein ganzes Stück weit entfernt von einem Verein wie beispielsweise Wolfsburg", stellt Labbadia klar.
Hier mag man Labbadia zustimmen, allerdings sollte auch erwähnt werden, woher die Erwartungshaltung kommt und wie wenig sich die Hertha in der letzten Dekade entwickelt hat.
"Mittelfristig wollen wir mit Vereinen wie Wolfsburg, Hoffenheim oder auch Leverkusen mithalten und eine Chance aufs internationale Geschäft haben", lässt der 54-Jährige einen passenderen Vergleich aus, denn Borussia Mönchengladbach schaffte es, sich innerhalb der letzten zehn Jahre vom Abstiegskandidaten zum regelmäßigen Teilnehmer der internationalen Wettbewerbe zu mausern. Auch wenn die Hertha über weniger Tradition, von der man sich bekanntlich nichts kaufen kann, verfügt - es wäre mehr drin gewesen.
In Berlin hört man jedoch seit Jahren die selbe Leier von den wieder einmal im Amt bestätigten Oberen - Geduld, Entwicklung, Zeit. Alles was jedoch erkennbar war, ist die verstrichene Zeit. Labbadia ist erst seit einigen Monaten an der Seitenlinie verantwortlich, er kann nicht die Versäumnisse der Vergangenheit innerhalb kürzester Zeit aufarbeiten.
"Zum ersten Mal hat der Klub Dank des Investors Gelder zur Verfügung, die acht, neun oder zehn andere Mannschaften seit Jahren haben. Im Gehaltsgefüge sind wir auf Platz zehn in der Liga - trotz der Investitionen, die wir jetzt getätigt haben. Und wir haben in der vergangenen Transferphase auch gemerkt, dass wir ganz oft an Gehältern gescheitert sind, die andere Vereine in der Liga schon zahlen. Das ordnet die Dinge ja schon ein", macht Labbadia zudem deutlich, dass er die Linie des Vereins und im Besonderen des Investors nur bedingt mittragen will und kann.
"Wir hoffen natürlich, dass wir das möglichst schnell aufholen können - dafür müssen wir aber hart arbeiten, kluge Entscheidungen treffen, müssen Spieler dazubekommen, die uns weiterbringen - und die Spieler, die hier sind, weiterentwickeln. Das sind eine Menge Punkte, an denen wir seit einigen Monaten arbeiten. Man kann nicht innerhalb eines halben Jahres alles verändern", klarer kann man die Aufgaben in Berlin nicht benennen. Fraglich wird nur sein, ob Labbadia die Zeit bekommen wird, dieses Projekt in die richtige Bahn zu lenken. Denn letztlich helfen ihm nur Ergebnisse, um wenigstens zeitweise in Ruhe arbeiten zu können.