Flick auf dem Holzweg: Nationalmannschaft keine Ausbildungsstätte & Casting-Spielwiese

Hansi Flick nimmt Kurs auf die Heim-EM 2024
Hansi Flick nimmt Kurs auf die Heim-EM 2024 / Boris Streubel/GettyImages
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Bundestrainer Hansi Flick hat bei der Kader-Verkündung für die Länderspiele gegen Peru und Belgien durchaus für Überraschungen gesorgt. Während Spieler wie Niklas Süle oder Leroy Sané außen vor blieben, wurden beispielsweise Josha Vagnoman und Kevin Schade nominiert. Die Frage muss erlaubt sein: Ist das noch die A-Nationalmannschaft oder eine Ausbildungsstätte?

Schon vor einigen Wochen hatte Hansi Flick angekündigt, "jungen Spielern eine Chance geben" zu wollen. Gesagt, getan: So stehen bei den Länderspielen gegen Peru und Belgien mit Josha Vagnoman, Felix Nmecha, Malick Thiaw, Kevin Schade und Mërgim Berisha fünf junge Debütanten auf der Matte. Auch Marius Wolf (27) wurde erstmals nominiert.

Eine Tatsache, die nicht wirklich verständlich ist. Berisha und Thiaw seien hierbei mal ausgenommen, da die beiden Spieler in dieser Saison einen großen Schritt nach vorne gemacht und sich eine Nominierung leistungstechnisch verdient haben.

Bei Nmecha, aber vor allem Vagnoman und Schade sieht das jedoch anders aus.

Trotz fehlender Erstliga-Erfahrung: Flick baut auf Nmecha, Schade und Vagnoman

Felix Nmecha hatte zumindest Ende der Hinrunde eine ganz starke Phase, jedoch konnte er das Niveau nicht halten und pendelt bei den Wölfen zwischen Startelf und Ersatzbank. Eine Nominierung nach gerade mal elf Erstliga-Spielen in der Startelf erscheint schon sehr früh.

Kevin Schade dürfte auch schlichtweg noch nicht bereit für die A-Nationalmannschaft sein. Der junge Offensivspieler bringt viel Potenzial mit, konnte sich aber weder in Freiburg, noch in Brentford einen Stammplatz erarbeiten. In der laufenden Saison steht er bei einem mickrigen Treffer. Premier League und Bundesliga zusammengerechnet, stand der Akteur in seiner Karriere erst in neun Erstliga-Spielen in der Startelf.

U21-Europameister Vagnoman ist sicherlich das extremste Beispiel. Der 22-jährige Rechtsverteidiger spielt beim Tabellenletzten, dem VfB Stuttgart - bzw. sitzt dort besser gesagt auf der Bank. Vagnoman kommt an Waldemar Anton nicht vorbei, der eigentlich Innenverteidiger ist. In den letzten sieben Bundesligaspielen durfte der oft von Verletzungen zurückgeworfene Spieler insgesamt nur 70 Minuten absolvieren.

Vagnoman hat in Summe erst 15 Bundesligaspiele (davon sieben von Beginn an) bestritten und war zuvor auch beim HSV in Liga zwei nicht unumstritten. Einen Erstliga-Scorer hat er auch noch nicht gesammelt. VfB-Coach Bruno Labbadia hoffte jüngst im Interview darauf, dass der Spieler in der "Nationalmannschaft Spielpraxis" sammeln könne.

Ist es schon so weit gekommen, dass der Trainer eines Abstiegskandidaten hofft, einer seiner Ersatzspieler könne in der deutschen A-Nationalmannschaft Spielpraxis sammeln?

Leistung vor Nominierung: Flick sollte weniger ausprobieren

In Summe ergeben gerade die Nominierungen von Schade und Vagnoman einfach keinen Sinn. Vor der Nominierung sollte immer die Leistung im Vereinsfußball kommen. Die Nationalmannschaft ist weder eine Ausbildungsstätte, noch eine Casting-Wiese, auf der man mal den einen und dann den anderen ausprobieren kann. Junge Spieler müssen in den U-Mannschaften und in den Vereinen gefördert werden. In der DFB-Elf sollten genau die Spieler zum Zuge kommen, die aktuell die besten Leistungen bringen bzw. für das nächste große Turnier die beste Performance versprechen. In den letzten Jahren ist man aber ganz stark von diesem Weg abbekommen.

Es bringt keinen Erfolg, wenn in den Monaten vor einem großen Turnier gefühlt 50 Spieler getestet werden, die dann letztlich an Tag X, wenn es ernst wird, ohnehin keine Rolle spielen. Hansi Flick hat bereits vor der WM bis zum letztem Atemzug getestet, experimentiert und getüftelt. Gebracht hat es nichts. Erfolgsversprechender wäre es, schon zum jetzigen Zeitpunkt einen Pool von 30-33 Spielern ins Auge zu fassen und mit diesen Spielern im Kader zu planen.

Sollten sich im Vereinsfußball andere Kicker in den Vordergrund spielen, sind Nominierungen natürlich okay - aber es hat keinen Sinn, mal den einen und dann den anderen zu testen. Ähnlich verhält es sich auch in Bezug auf die Startelf. Eigentlich sollte Flick schon jetzt den Grundstamm einer ersten Elf im Blick haben und diese in der überwiegenden Anzahl der Spiele auch von Beginn an aufbieten. Nur so kann sich ein eingespieltes Konstrukt ergeben.

Leistungsprinzip ausgehebelt: Flick verzichtet auf Champions-League-Größen

Blickt man auf den aktuellen Kader, muss man aber feststellen, dass einige mögliche tragende Säulen gar nicht erst dabei sind. "Der Leistungsgedanke steht im Vordergrund", erklärte Flick in Bezug auf das Duell Neuer gegen ter Stegen. Da stellt man sich natürlich die Frage, warum das nicht auch für Gündogan, Müller, Sané oder Süle gelten sollte?

Dass etablierte Champions-League-Spieler - Pause hin oder her - nicht dabei sind und dafür aber Akteure mit einer Handvoll Profi-Spielen, ist leistungstechnisch nicht zu erklären. Darüber hinaus vermisst man aber auch Namen wie Henrichs oder Baku, die durchaus Kandidaten wären, bei der EM 2024 rechts hinten Stammspieler zu sein und sicherlich deutlich bessere und konstantere Leistungen gezeigt haben als ein Vagnoman. Auch in Wolfsburg dürfte man sicher verwundert darüber sein, dass Leitwolf Arnold schon wieder nicht mitmischen darf, dafür aber Nmecha, der keinen sicheren Stammplatz hat.

Es wird endlich mal Zeit, dass die A-Nationalmannschaft wieder zu dem wird, was sie eigentlich sein sollte und zwar die Spielwiese der 26 besten Profis aus Deutschland. Nach zwei verpatzten Turnieren und vor der Heim-EM kann man es sich auch nicht mehr leisten, immer wieder Spieler zum Wohle der Bundesliga-Klubs zu schonen. Ein bisschen mehr Egoismus wäre gefragt, sonst droht 2024 der nächste Nackenschlag.