Handspiel - oder nicht? Schiedsrichter-Boss klärt 5 Szenen beim Bundesliga-Start auf

  • DFB mit Video zu den "fünf wichtigsten Handspielszenen" des Bundesliga-Starts
  • Schiedsrichter-Boss Knut Kircher erläutert die Szenen und will so zu mehr "Klarheit zum Thema Handspiel beitragen"
  • Regelauslegung der Schiedsrichter bleibt Reizthema
Schiedsrichter Christian Dingert
Schiedsrichter Christian Dingert / Alexander Hassenstein/GettyImages
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Es ist DAS große Reizthema, wenn es um Schiedsrichter-Entscheidungen geht: das Handspiel. Wann ist es strafbar - und wann nicht? Fans, Funktionäre und Spieler haben längst den Durchblick verloren. Auch die Schiedsrichter selbst scheinen keine klare Linie mehr zu haben. Wann und warum der VAR angreift, wirkt nebulös.

An den ersten beiden Spieltagen der Bundesliga gab es bereits mehrere höchst strittige Entscheidungen. Man denke etwa zurück an den Handelfmeter, den die Bayern am zweiten Spieltag gegen den SC Freiburg zugesprochen bekamen. Im selben Spiel bekam auch der Sport-Club einen streitbaren Handelfmeter gepfiffen. Eine Woche zuvor passierte im Duell der Bayern in Wolfsburg bei einer vergleichbaren Situation nichts.

Der ehemalige FIFA-Schiedsrichter Knut Kircher hat nun versucht, in einem Video für etwas Aufklärung zu sorgen. Von 2002 bis 2016 leitete Kircher 244 Spiele in der Bundesliga, dazu kommen 128 Einsätze in Liga zwei. Mittlerweile ist der 55-Jährige Chef der Schiedsrichter im deutschen Oberhaus. Und als solcher hatte er vor der Länderspielpause eine Zusammenkunft der Schiedsrichter angekündigt, bei der das Thema Handspiel noch einmal besprochen werden sollte.

Kircher erklärt 5 strittige Handspielszenen des Bundesliga-Auftakts

In einem neuen Format des DFB auf YouTube erklärt Kircher Handspiel-Situationen aus den ersten Bundesliga-Spielen der Saison. "Knut Kircher erklärt die fünf wichtigsten Handspielszenen" - lautet der Titel des Videos.

Beispiel 1: FCA gegen Werder, 1. Spieltag

Erstes Beispiel im Video: Der nicht gegebene Handelfmeter am ersten Spieltag im Duell Augsburg gegen Bremen. SVW-Kapitän Marco Friedl versuchte eine Flanke mit dem Fuß abzuwehren, bekam dabei den Ball aber an die Hand. Für Kircher war die Entscheidung, in dieser Szene keinen Strafstoß zu geben, falsch. Mutmaßlich hätte der FCA die Partie gewonnen. Ohne den fälligen Elfmeter blieb es beim Remis.

"Der Ball geht an den weit abgespreizten Arm. Das Handspiel ist in jedem Fall vermeidbar. Der Spieler hat Orientierung zum Ball, befindet sich nicht in einem Zweikampf und tut nichts um das Handspiel zu vermeiden. Er nimmt das Risiko, mit dem abgespreizten Arm den Ball zu spielen. Strafbares Handspiel, Strafstoß die richtige Entscheidung."

Beispiel 2: Wolfsburg gegen Bayern, 1. Spieltag

Im zweiten Beispiel bespricht Kircher eine Szene aus dem Duell des VfL Wolfsburg gegen den FC Bayern, ebenfalls vom ersten Spieltag. Dort kam nach einer Flanke Michael Olise zum Kopfball. Wolfsburgs Jakub Kaminski wehrte die Kugel mit dem Arm ab. Ein Elfmeterpfiff blieb aus. Für Kircher die korrekte Entscheidung.

"Der Abwehrspieler von Wolfsburg befindet sich in einem Kopfballduell, direkt im Zweikampf und hat keine Sicht auf den Ball. Der ausgestreckte Arm kommt aufgrund des noch normalen Bewegungsablaufes dieser Sprungbewegung. Der Spieler wird aus nächster Nähe ohne Sicht auf den Ball angeköpft. Auch wenn der Ball aufs Tor geht, ist dieses ein nicht strafbares Handspiel. Deshalb weiterspielen die richtige Entscheidung", erklärt Kircher.

Beispiel 3: Heidenheim gegen Augsburg, 2. Spieltag

Die dritte Szene dürfte anders als die beiden vorherigen viel eindeutiger für alle sein. Es war der Handelfmeter für Heidenheim im Duell mit dem FCA am zweiten Spieltag. Keven Schlotterbeck fuhr dabei im Zweikampf den Arm aus.

"Der Ball ist für beide sich im Zweikampf befindlichen Spieler sehr gut sichtbar. Beide Spieler befinden sich nicht im Sprung, sondern kontrolliert auf dem Boden. Der gebeugte linke Arm des Augsburger Abwehrspielers bewegt sich deutlichst hin zum Ball, um diesem einen klaren Impuls zu geben. Das ist eine zielgerichtete Aktion zum Ball, die in jedem Fall vermeidbar ist. Somit strafbares Handspiel und Strafstoß zur Folge", so die Einschätzung von Kircher.

Beispiel 4: Bayern gegen Freiburg, 2. Spieltag

Viel Spannender ist Kirchers Einschätzung zu dem oben bereits angerissenen Elfmeter für die Bayern gegen Freiburg an Spieltag zwei. Harry Kane köpfte im direkten Duell mit Max Rosenfelder dem SC-Youngster den Ball an den abgestreckten Arm. Nach VAR-Eingriff wurde auf Strafstoß entschieden.

Kircher zur Szene: "Der Abwehrspieler von Freiburg befindet sich direkt im Kopfballduell im Sprung und hat keine Sicht auf den Ball. Der ausgestreckte Arm kommt aufgrund des normalen Bewegungsablaufes in diese Position beziehungsweise zudem wird er vom Stürmer noch leicht am rechten Arm gehalten. Der ausgestreckte linke Arm dient somit auch zur Balance. Der Spieler wird aus nächster Nähe ohne Sicht auf den Ball angeköpft. Eine vergleichbare Szene wie im Spiel Wolfsburg gegen Bayern. Und hier, auch wenn der Ball in Richtung Tor geht, ist dieses ein nicht strafbares Handspiel. Weiterspielen ist die richtige Lösung."

Die das Schiedsrichter-Team im Zusammenspiel mit dem VAR nicht gefunden hatte. Blickt man zudem genauer auf die Szene, könnte man auch fragen, ob das Aufstützen von Kane im Kopfballduell nicht auch als Foulspiel geahndet werden kann. So oder so: Es ist bezeichnend für die Handspielsituation, dass zwei vom Schiri-Boss als vergleichbar bewertete Szenen unterschiedlich gepfiffen werden.

Beispiel 5: Bayern gegen Freiburg, 2. Spieltag

Der zweite Handelfmeter in diesem Duell stellt sich für Kicher "etwas anders dar". Joao Palhinha bekam einen Schuss von Ritsu Doan aus nächster Nähe gegen den Arm. "Der Abwehrspieler ist dem Ball zugewandt, hat klare Sicht auf den Schützen. Sein Ziel ist es, den Torschuss zu blocken. Der Arm ist bereits in einer körperverbreitenden Position, als der Ball von seinem Oberschenkel abprallt. Der Ball ändert nicht seine Richtung, er fliegt weiter Richtung Tor. Hier liegt ein strafbares Handspiel vor und somit Strafstoß", so Kircher.

Eine Einschätzung, die nicht jeder unbedingt teilen dürfte. Und die zeigt, dass das Thema Handspiel ein sehr kontroverses bleiben dürfte. Erklärungen vom Schiedsrichter-Chef hin oder her. Ob das auch Kircher bewusst ist? "Machen wir uns nichts vor: Fußball ist nicht nur Schwarz-Weiß, sondern auch ganz viel Graubereich."

Die Aufgabe der Schiedrichter - und vor allem auch der Regelauslegung - sollte es aber sein, die Graubereiche so klein wie möglich zu halten. Derzeit bleibt aber das Gefühl, dass der Graubereich vor allem beim Thema Handspiel fast das komplette Spektrum abdeckt.

"Nichtsdestotrotz, wir sind uns sicher, dass diese fünf Szenen mit den Erläuterungen noch einmal zur Klarheit zum Thema Handspiel beigetragen haben", meinte Kircher. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt...


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