HSV: Tim Walter als Schlüssel für die Verpflichtung eines deutschen U21-Nationalspielers?
Von Guido Müller
Kaum hat Tim Walter, der neue Trainer des Hamburger SV, bei den Hanseaten einen Zweijahresvertrag unterschrieben, ist er auch schon wieder weg. Pfingsturlaub mit der Familie steht an. Nach einem für alle anstrengenden Corona-Jahr sicher verständlich. Ende der übernächsten Woche wird der 48-Jährige in der Hansestadt zurückerwartet. Doch auch ohne den Übungsleiter gehen die personellen Planungen der Hamburger voran.
Wie zum Beispiel auf der Mittelstürmerposition, wo seit dieser Woche zumindest so viel klar ist: Serdar Dursun, der Hamburger Jung, der sich während seiner zwei Jahre bei Darmstadt 98 ins bundesweite (und, wie man hört, auch ausländische) Rampenlicht spielen konnte, wird wohl nicht der Nachfolger von Simon Terodde, sondern schließt sich Union Berlin an.
Als nunmehr erste Wahl scheint sich Philipp Hofmann vom Karlsruher SC herauszukristallisieren, wenngleich es konkrete Gespräche zwischen den Klubs noch nicht gegeben haben soll, wenn man KSC-Sportdirektor Oliver Kreuzer Glauben schenken will.
Doch auch in anderen Mannschaftsteilen (um nicht zu sagen: in allen!) wird sich der HSV neu aufstellen müssen. Wie zum Beispiel in der Defensive, wo man mit 44 Gegentoren exakt den Mittelwert der beiden vorangegangenen Saisons erreicht hat.
In der Spielzeit 2018/19 kassierten die Rothosen 42 Gegentreffer, im vergangenen Jahr deren 46. Zum Auf die Schulter-Klopfen taugen indes alle drei Ausbeuten im Unterhaus nicht wirklich. Womit in der Konsequenz die Frage nach personeller Verstärkung eigentlich gar nicht gestellt werden muss.
Deklinieren wir das Ganze doch mal durch. Wobei ich die Torwart-Frage, die ich als gesonderten Problem-Komplex ansehe, mal beiseite schieben will.
Nominell acht Innenverteidiger im Kader!
Beim heutigen Stand der Dinge könnten am 16. Juni (dem offiziellen Trainingsauftakt der Hamburger) bis zu acht Innenverteidiger im HSV-Kader stehen: Stephan Ambrosius (der mindestens noch bis zum Oktober ausfallen wird), Moritz Heyer, Toni Leistner, Rick van Drongelen, Jonas David, Gideon Jung, Leihrückkehrer David Bates und der letzte Woche als erster Neuzugang bestätigte Sebastian Schonlau.
Liest sich auf den ersten Blick recht üppig, relativiert sich aber schnell, wenn man berücksichtigt, dass Ambrosius den Saisonstart (und wohl auch das erste Drittel der Saison) verpassen wird - und mit Gideon Jung und Jonas David nicht wirklich geplant wird.
Bei Jung ist vorgesehen, sich in diesem Sommer endgültig zu trennen. Eine Zukunft in Hamburg hat er definitiv nicht mehr. Wie das dann in der Praxis genau aussehen wird (ob per Vertragsauflösung plus Abfindung oder durch einen Verkauf) wird man sehen.
Bei David wiederum gilt das mit der fehlenden Zukunft nur für die anstehende Spielzeit. Doch langfristig plant man am Volkspark wohl weiterhin mit ihm. Sein Vertrag wurde schließlich erst im vergangenen Juli um drei Jahre (bis 2024) verlängert. Eine erneute Leihe (wie im vergangenen Jahr zum damaligen Drittligisten Würzburg) erscheint hier als das realistischste Szenario.
Ob David Bates hingegen nochmal eine Chance kriegt, sich im Volkspark zu beweisen, bleibt abzuwarten. Seit nunmehr zwei Jahren weilt der Schotte als Leihspieler außerhalb der Landesgrenzen.
Einem in jeder Hinsicht unproduktiven Jahr bei Sheffield Wednesday (einem englischen Zweitligisten), wo er in der Spielzeit 2019/20 auf einen einzigen (!) Pflichtspiel-Einsatz (im Carabao-Cup) kam, folgte im vergangenen Jahr eine Leihe zum belgischen Erstligisten Cercle Brügge.
Beim Stadtrivalen des frisch gebackenen Meisters FC Brügge kam Bates zu erheblich mehr Einsatzzeiten (21 Pflichtspiele in Liga und Pokal) und konnte sich nach anfänglichen Startschwierigkeiten zum Saisonende hin fest in der Innenverteidigung der Flamen etablieren.
Ob das allerdings reicht, um auch beim HSV eine Rolle zu spielen, erscheint fraglich. Am Ende wird Tim Walter seinen Daumen heben - oder senken. Tendenz: Bates wird verkauft. Denn eine abermalige Leihe kommt angesichts seines im nächsten Jahr endenden Vertrages nicht in Betracht.
Mit Jung, David und Bates zuzüglich eines bis Herbst ausfallenden Ambrosius wären also schon mal vier Namen von der Liste zu streichen. Und es blieben van Drongelen, Leistner, Heyer und Schonlau.
Der Holländer jedoch könnte für die Hamburger zur Verhandlungsmasse sprich zum Verkaufskandidaten werden. Von außen betrachtet stellt er immer noch ein attraktives Paket dar: jung, in der holländischen U21-Auswahl etabliert und bereits mit jeder Menge Erfahrung im deutschen Profi-Fußball (Bundesliga und Zweite Liga).
Doch irgendwie sind seine Leistungen in Hamburg in den letzten beiden Jahren stagniert. Die von vielen erhoffte Entwicklung hat bei ihm nicht stattgefunden. Da er zudem einer der wenigen Spieler im aktuellen Kader ist, die einen Millionenbetrag in die leeren Hamburger Kassen spülen könnten, ist das Szenario eines Verkaufs in meinen Augen nicht unrealistisch.
Wie im berühmten Kindermärchen, hieße es in diesem Fall: da blieben nur noch drei. Und mit nur drei Innenverteidigern in eine Saison zu starten, wäre grob fahrlässig.
Startet der HSV bei Bayerns Mai einen neuen Anlauf?
Unter diesem Lichte betrachtet macht es also schon Sinn, sich nach weiteren zentralen Abwehrspielern umzusehen. Wie zum Beispiel nach Lars Lukas Mai. An dem Bayern-Talent, dessen Leihe zu Darmstadt 98 im Juni endet, war der HSV auch schon vor drei Jahren (damals im Paket mit Manuel Wintzheimer) dran.
Am Ende kam dann doch nur einer der beiden zum HSV. Mai blieb bei den Bayern - und wechselte im vergangenen Jahr leihweise zu den Lilien, wo er regelmäßig zu überzeugen wusste. So sehr, dass ihn nun auch U21-Nationaltrainer Stefan Kuntz für die in der kommenden Woche beginnende Endrunde der EM nachnominiert hat.
Des HSV-Trumpf im Ärmel könnte nun ausgerechnet der im Familien-Urlaub weilende neue Trainer sein. Denn Walter und Mai kennen sich seit gemeinsamen Zeiten in der Jugend des FC Bayern. Und Walter scheint damals bei seinem Schützling den richtigen Punkt getroffen zu haben.
Gegenüber dem Bayern-Blog Miasanrot.de schwärmte Mai jedenfalls in den höchsten Tönen von seinem ehemaligen Coach (via mopo.de): "Es war auf alle Fälle ein besonderes Jahr. Bei Bayern hatten wir nach der süddeutschen Meisterschaft, die wir Ende April nach dem Spiel gegen Stuttgart sicher hatten, ein richtiges Feuer im Team. Gerade diese Verbindung zwischen Mannschaft und Trainerstab mit Tim Walter und Tobi Schweinsteiger war schon echt genial."
Ob diese schwelgerischen Erinnerungen an seinen einstigen Trainer ausreichen, um Mai von einer Leihe zum HSV zu überzeugen, bleibt abzuwarten. An dem 21-jährigen gebürtigen Dresdner (wie Toni Leistner!) sind dem kicker zufolge auch Fortuna Düsseldorf und der FC Schalke 04 dran.
Insgesamt aber erscheinen mir die ersten Aktivitäten auf dem Markt (Walter, Schonlau) und die nun aufploppenden Gerüchte (um Hofmann, Mai) erste kleine Schritte in die richtige Richtung zu sein. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Torwart-Position bei den Hamburgern generalüberholt werden muss.
Aber das ist schon wieder ein anderes Thema.