Erneute HSV-Pleite im Stadtderby - oder: Jedes Jahr dieselbe Leier

Wieder einmal bedröppelte Mienen bei den HSV-Spielern nach einem Hamburg-Derby
Wieder einmal bedröppelte Mienen bei den HSV-Spielern nach einem Hamburg-Derby / Martin Rose/Getty Images
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Alles wie gehabt: der Hamburger SV konnte auch das fünfte Stadtderby in Folge gegen den FC St. Pauli nicht gewinnen. Das Beunruhigende: von einem Sieg gegen den Nachbarn war er gestern noch weiter weg als in den Jahren zuvor.


Etwas zynisch könnte man sagen: das Beste am Spiel war aus HSV-Sicht noch das Ergebnis. Denn das fiel mit 2:3 noch ziemlich gnädig aus. Vor allem in der Anfangsphase der Partie spielte eigentlich nur eine Mannschaft - und die trug gestern braun-weiß.

Unverständlicherweise gingen die Rothosen ein Spiel wieder einmal so an, wie man es genau nicht machen sollte: pomadig, immer einen Schritt zu spät kommend - und mit Abspiel- und Abstimmungsfehlern in Serie.

St. Pauli auch spielerisch dem HSV überlegen

Entsprechend verzeichneten die Hausherren bereits nach gut zwanzig Minuten ein klares Chancenplus - und wirkten auch spielerisch weitaus überzeugender als zu fehlerbehaftete Gäste.

Geradezu beispielhaft die Führung der Gastgeber: eine tolle Dreieckskombination zwischen Burgstaller, Kyereh und Becker gegen wie Statisten drumherum stehende HSV-Abwehrspieler mündete im 1:0 durch letztgenannten.

Der HSV seinerseits kam eigentlich nur zu gefährlichen Situationen, wenn Jatta seine Schnelligkeit mal ausspielen konnte. Zweimal konnte sich der Gambier im ersten Durchgang auf dem rechten Flügel gut durchsetzen, war aber beim letzten Pass dann jeweils etwas zu ungenau.

Ansonsten beherrschte Stückwerk das Spiel des HSV. Und durch das aggressive Pressing der Gastgeber bedingte Abspielfehler.

Dennoch, und genau deshalb lieben wir diesen bisweilen rätselhaften Sport, kam er noch vor der Pause zum schmeichelhaften Ausgleich.

Wie aus dem Nichts konnten sich die Gäste in der 43. Minute bei einem gut vorgetragenen Konter über Kinsombi, Jatta und Kittel mal durchspielen - und den Spielverlauf geradezu auf den Kopf stellen.

Walter gibt Fehler zu

Unverständlicherweise nahm Trainer Tim Walter aber in der Pause keine Wechsel vor. Nach dem Spiel - hinterher ist man immer schlauer - nahm er diese Fehleinschätzung auch auf seine Kappe: "Da hätte ich reagieren müssen", gab der Coach mit löblicher Selbstkritik zu. (via mopo.de)

Tim Walter
Reagierte in der Pause nicht - und wurde dafür bestraft: Tim Walter / Martin Rose/Getty Images

Kurioserweise schien jedoch genau diese unveränderte Elf in den ersten Minuten des zweiten Durchgangs endlich aufgewacht zu sein. Zumindest drückte der HSV den Rivalen zwischen der 45. und 53. Minute mal über einen längeren Zeitraum hinweg tief in dessen eigene Hälfte.

Statt Elfmeter für HSV gab es die erneute Führung der Gastgeber

Klare Torchancen blieben jedoch auch in dieser Phase, bedingt durch weiterhin sehr ungenaues Passspiel, aus. Die beste Chance auf den Ausgleich "vergab" dann der VAR.

Denn warum der das Foul von Medic am durchgebrochenen Jatta an der rechten Strafraumkante nicht als solches erkannte, bleibt angesichts der TV-Bilder unerklärlich.

Zugegeben: es war nur ein Touchieren. Reichte bei der Geschwindigkeit, die der Gambier in dieser Szene drauf hatte, aber natürlich locker aus, um ihn zu Fall zu bringen.

Und wie das so ist: im Kopf wohl immer noch mit dieser Fehlentscheidung hadernd, lud man St. Pauli nur wenige Augenblicke später zum Kontern in dessen eigenem Stadion ein.

Jonas David verhielt sich in dieser ominösen 55. Spielminute auch alles andere als clever. Wenn er Makienok schon nicht vor dem Strafraum irgendwie blockiert, notfalls auch einen Freistoß riskierend, und es vorzieht, passiv zu bleiben, sollte er dann wenigstens dafür Sorge tragen, dass der Pauli-Hühne nicht zum Schuss kommt.

Jonas David
Verhielt sich vorm 2:1 von St. Pauli viel zu passiv: Jonas David / Martin Rose/Getty Images

Kam Makienok aber. Und weil auch Heuer Fernandes in dieser Situation zumindest nicht ganz glücklich aussah und sich durch den wuchtigen Schuss ins kurze Ecke (also das von ihm eigentlich abgedeckte) überraschen ließ, stand es 2:1 für die Gastgeber - statt 1:2 für die Gäste.

Mit einer Kopie dieses Spielzugs kam der FC St. Pauli wiederum nur drei Minuten später sogar noch zum dritten Treffer. Und letzten Endes zur Entscheidung des Spiels.

Wieder war es Makienok, der einnetzte. Die Szene eingeleitet hatte wieder einmal ein absurder Ballverlust im Mittelfeld (diesmal durch Glatzel).

Zumindest die Moral der Truppe scheint intakt

Wenn man dem HSV an diesem Abend überhaupt etwas zugute halten konnte, war es die Moral der Mannschaft, die durch Glatzel zumindest noch etwas Ergebniskosmetik betreiben konnte. Dennoch hatte man auch nach dem 2:3-Anschlusstreffer nie das Gefühl, dass sich am Ausgang der Partie etwas ändern könnte.

Zu gallig, zu aggressiv und - was das eigentlich nachdenklich stimmende ist - auch spielerisch zu stark präsentierten sich die Kiez-Kicker über nahezu neunzig Minuten hinweg.

Die Frage, die sich alle Jahre wieder stellt: warum kriegt der HSV es regelmäßig nicht hin, mit dieser Motivation, mit dieser Galligkeit und Begeisterung in ein solches schon im Vorfeld sehr emotionales Spiel zu gehen?

Tim Walter ist gefordert, darauf schnellstens eine Antwort zu finden - und entsprechend gegenzusteuern.

Dass personell bis zum 31. August noch nachgerüstet wird, dürfte feststehen. Zumal mit den nun vorhandenen finanziellen Mitteln nach dem Onana-Verkauf. Zwar bekundet Walter, mit seinem aktuellen Kader "zufrieden" zu sein - doch das ist ist nicht mehr als Trainer-Diplomatie.

Es fehlt ein Spielmacher

Gestern wurde jedenfalls ganz deutlich, dass im Mittelfeld ein lenkender Spieler, ein klassischer Spielmacher oder Regisseur fehlt. Einer vom Typ eines Aaron Hunt - oder auch Jeremy Dudziak. Doch dieser wird dem Klub wohl nicht mehr großartig helfen können.

Dudziaks Nicht-Nominierung für den gestrigen Spieltags-Kader - in einem solch bedeutenden Spiel - erklärten die HSV-Verantwortlichen dann auch ohne Umschweife mit dem Umstand, dass sich der Deutsch-Tunesier "in Gesprächen über seine sportliche Zukunft" befände. Wer der potentielle neue Arbeitgeber von "Jerry" werden könnte, wurde aber nicht bekannt.

Was bleibt, ist die vierte Niederlage in den letzten fünf Spielen (bei einem Remis) gegen den Stadtrivalen - und der schlechteste Zweitliga-Saisonstart der Rothosen überhaupt. Mit vier Punkten nach drei Spielen dürften sich die Rothosen am Ende dieses Spieltages im Mittelfeld der Tabelle wiederfinden.

Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt: unter Hecking, vor zwei Jahren, und Thioune, im Vorjahr, war man sogar die ersten fünf bzw. sieben Spielen ohne Niederlage geblieben - zum Aufstieg hat es bekanntlich in beiden Fällen trotzdem nicht gereicht.

Vielleicht läuft es ja dieses Jahr mal antizyklisch. An irgendwas muss man sich als Fan ja hochziehen nach diesem Downer von gestern Abend. Doch ohne personelles Nachbessern und auch ohne eine Steigerung in allen Bereichen des bereits vorhandenen Personals wird es auch in dieser Saison wohl wieder nur bei der Hoffnung bleiben.