Gladbach zeigt wieder das "zweite Gesicht" - sind Scally und Netz nun unverzichtbar?
Von Christian Gaul
Nach der 0:4-Pleite in Leverkusen steht die Borussia vor einem personellen Scherbenhaufen. Dabei könnten nun einige Youngster dringend benötigt werden, auch wenn die Integration momentan sehr schwierig scheint.
Allzu lange ist Adi Hütter noch nicht bei der Borussia angestellt, dennoch konnte der Trainer in seiner kurzen Zeit bereits einige Dinge miterleben, die den Klub auszuzeichnen scheinen.
Ein Spektakel vor 23.000 Zuschauern im Borussia-Park gegen den FC Bayern zum Beispiel, als Hütter eine kämpferisch und spielerisch am Limit agierende Mannschaft loben durfte. Nur einen Spieltag später bekam allerdings auch der neue Übungsleiter präsentiert, was der gemeine Gladbacher Anhänger seit Jahren beobachten muss:
Nach einer sehr starken Leistung - in der Regel gegen den FC Bayern - wird in den folgenden Duellen nicht im Ansatz die nötige Bereitschaft abgerufen, um in der Bundesliga zu bestehen.
Mit 0:4 ging man in Leverkusen unter. Dabei sei natürlich erwähnt, dass die Werkself auch einen Sahne-Tag erwischte und bei der Borussia wirklich alles schief ging, was man sich vorstellen kann.
Die Niederlage jedoch allein auf verletzte Spieler, einen schläfrigen Start oder generelles Pech zu schieben, wäre viel zu einfach.
Bekommt Hütter endlich die nötige Konstanz in das Team?
"Vielleicht haben wir nach der guten Leistung gegen die Bayern unterbewusst gedacht, dass unsere spielerischen Qualitäten auch in Leverkusen reichen würden. Wir haben diese spielerische Qualität auch, was man zwischendurch immer wieder gesehen hat, aber das alleine langt eben nicht. Da muss mehr kommen – von der Spannung und der Herangehensweise. Es geht darum, die Konstanz, die wir letzte Woche gegen die Bayern gezeigt haben, Woche für Woche auf den Platz zu bringen. Wenn wir das nicht hinbekommen, haben wir gegen solche Teams keine Chance", fasste Lars Stindl nach der Partie in Leverkusen zusammen (Quelle: borussia.de).
Dabei hätten diese Aussagen auch zu einem beliebigen Zeitpunkt der Vorsaison entstanden sein können. Schon im letzten Jahr unter Marco Rose präsentierte sich das Team schwankender als ein Brandenburger Teenager auf dem Baumblütenfest in Werder.
Damals konnte man sich noch auf die Diskrepanz zwischen Königsklasse und Liga-Alltag berufen, die einigen Spielern neu war. Doch bis auf Tobi Sippel nahm nie jemand das Wort "Einstellung" in den Mund.
In der abgelaufenen Rückrunde spielte man Frankfurt und Bielefeld an die Wand, nur um dazwischen einen völlig blutleeren Auftritt in Sinsheim hinzulegen. Sippel sprach danach von fehlender Einstellung, doch Ex-Trainer Rose wollte davon nichts hören.
Doch diese Schwankungen waren auch schon zur Zeit von Dieter Hecking als Trainer zu beobachten, parallel dazu hat sich der Kader seit einiger Zeit nur punktuell erneuert - ein Fingerzeig?
"Die Leistung hat einfach nicht genügt - zwei Gesichter. Gegen den FC Bayern waren wir aktiver und besser. Heute haben wir ein anderes Gesicht gezeigt", waren Hütters Worte auf der Pressekonferenz nach dem Spiel. Sieht man es positiv, dann erkennt der Österreicher wohl gerade rechtzeitig eine Untiefe des Kaders - und nicht erst im Endspurt einer Saison.
Denn letztlich müssen es die Spieler richten, auch wenn diese Phrase abgedroschen klingt. Langjährige Führungskräfte wie Christoph Kramer, Lars Stindl, Yann Sommer oder Matthias Ginter müssen neue Reize bekommen, um sie jeden Spieltag zu fordern.
Der Status Quo der Spiel-Garantie muss aufgebrochen werden, eventuell auch durch unangenehme Verkäufe. Allerdings tat sich dahingehend bislang wenig auf dem Transfermarkt, die in Leverkusen erlittene Verletzung des umworbenen Thuram kommt zudem zur absoluten Unzeit.
Scally und Netz müssen es richten - Verletzte auch aufgrund fehlender Spannung?
Dass mit Thuram, Ginter, Lainer und Plea gleich vier Spieler verletzungsbedingt das Feld in Leverkusen räumen mussten, war nicht nur der harten Gangart der Werkself geschuldet. Thurams Knieprobleme wurden von Jonathan Tah sicherlich genauso in die Realität getreten, wie Stevie Lainers vermuteter Knöchelbruch die Folge der Proleten-Mentalität eines Mitchel Bakkers ist.
Matthias Ginter (Erkältungsfolgen) und Alassane Plea (blieb im Rasen hängen) nahmen sich in erster Linie selbst aus der Partie, wie mit dem Schlusspfiff auch Ramy Bensebaini, der noch einen Schlag abbekam.
Doch - Achtung: nächste Phrase! - jeder, der mal selbst gespielt hat, kennt diese Momente. Verletzungen passieren oft dann, wenn man über-motiviert zu Werke geht. Da man diesen Umstand für das Spiel in Leverkusen ausschließen kann, bleibt noch das andere Extrem.
Denn von Beginn an suchte man vergeblich eine offensive Körperspannung oder die nötige Haltung - bei nahezu jedem Spieler der Borussia. Sommers Hinterherschauen und Nicht-Reagieren beim ersten Gegentor war sinnbildlich für den gesamten Auftritt der Mannschaft.
Allerdings hilft es nicht, nun ausschließlich die Gründe für die Verletzungen suchen. Die Borussia muss in den kommenden Wochen damit umgehen.
"Bei Stevie Lainer sieht es nach einem Knöchelbruch aus, aber es müssen natürlich noch Untersuchungen gemacht werden. Es war ein sehr böses Foul, wie ich finde. Marcus Thuram und Alassane Plea haben sich wahrscheinlich beide am Knie verletzt", gab Sportdirektor Max Eberl nach dem Spiel zu Protokoll.
Demnach wird Lainer wohl ziemlich sicher in den nächsten Wochen oder Monaten fehlen. Der eigentlich als Vertreter für Linksverteidiger Bensebaini integrierte Joe Scally wird nun nach seiner unfreiwilligen Lehrstunde gegen Moussa Diaby als gesetzter Rechtsverteidiger in die kommenden Spiele gehen.
Ginter sollte nicht länger ausfallen, könnte aber durch Jordan Beyer ersetzt werden, der bislang zweimal ohne Einsatz im Bundesliga-Kader der laufenden Saison stand.
Bensebaini kam gerade erst aus einer längeren Verletzung zurück und musste früh für Lainer eingewechselt werden - eventuell zu früh. Sollte auch der Algerier nicht zur Verfügung stehen, müsste mit Neuzugang Luca Netz, der in Leverkusen sein Debüt für die Borussia gab, ein dritter Youngster in die Verantwortung genommen werden.
Thuram zog sich bei Tahs Frontalangriff scheinbar eine Außenband-Verletzung im Knie zu, bei Plea wartet man noch auf eine genauere Diagnose. Da sich auch Breel Embolo weiterhin im Aufbau befindet, könnte im zentralen Angriff sogar ein viertes Talent wichtig werden - wenn auch "nur" als Ersatz für Stindl.
In der Vorbereitung spielten sich hier Conor Noß, der eher als hängende Spitze agiert, oder auch Mika Schroers in den Fokus.
Scheinbar hat Eberls Ankündigung, in dieser Spielzeit vermehrt auf die Jugend setzen zu wollen, eine eher unfreiwillige Initialzündung bekommen. Auch wenn das Integrieren von Talenten in ein konstant performendes Grundgerüst leichter fallen würde.