Fußballerinnen wechseln nach Saudi-Arabien - ein Widerspruch in sich oder nachvollziehbar?

Frauenfußball ist nicht nur in Europa und den USA auf dem Vormarsch, sondern auch in Saudi-Arabien. Vor wenigen Wochen wurde der Wechsel von Sara Björk Gunnarsdóttirin in die Wüste bekannt - das löste negative Diskussionen darüber aus, ob auch Spielerinnen immer mehr ihren männlichen Kollegen nach Saudi-Arabien folgen werden. Ist es moralisch vertretbar, in ein Land zu wechseln, in dem Frauen noch immer unterdrückt werden und nicht alle Menschenrechte gelten? Viele Fans haben dazu eine klare Meinung.
Fußball wird in Saudi-Arabien immer beliebter.
Fußball wird in Saudi-Arabien immer beliebter. / ABDULLAH ALFALEH/GettyImages
facebooktwitterreddit

"Der Beitritt zu einem saudischen Verein ist ein einzigartiger und aufregender Schritt in meiner Sportkarriere.“ Das sagte Fußballprofi Sara Björk Gunnarsdóttir über ihren Wechsel zum saudischen Verein Al-Qadsiah laut der Tageszeitung "Saudi Gazette“.

Weiter fügte die mehrfache isländische Fußballerin des Jahres in geradezu enthusiastischem Ton hinzu: "Die reiche Kultur und die große Leidenschaft für den Sport hier sind erstaunlich, und ich freue mich darauf, mit meinen Teamkollegen zusammenzuarbeiten und mein Bestes zu geben, um gemeinsame Erfolge zu erzielen. Diese neue Herausforderung bringt grenzenlose Möglichkeiten mit sich, und ich freue mich darauf, diese bemerkenswerte Reise zu beginnen."

Dass es bekannte männliche Fußballspieler nach Saudi-Arabien zieht, ist längst keine Überraschung mehr. Nach oft erfolgreichen Karrieren auf den größten Bühnen, die der Weltfußball zu bieten hat, folgt – zumeist kurz vor dem Karriereende - der lukrative Schritt nach Saudi-Arabien. Spieler werden mit unvorstellbaren Summen in die Wüste gelockt, und immer mehr von ihnen nehmen diese Angebote an. Viele Fußballfans in Europa sehen das kritisch und meinen, der Fußball und seine Tradition rückten in den Hintergrund, und es gehe nur noch um Geld. 

Neu ist, dass nun in Saudi-Arabien nicht nur die Liga der Männer, sondern auch die der Frauen gestärkt werden soll - in einem Land, in dem Frauen noch immer weniger Rechte als Männer haben und in vielerlei Hinsicht unterdrückt werden. In Saudi-Arabien entscheidet oft noch ein männlicher Vormund, was eine Frau darf und was nicht. Aktivistinnen, die sich für Frauenrechte einsetzen, landen oft hinter Gittern und müssen mit Folter rechnen. Regimekritikerinnen und -kritiker leben gefährlich.

Frauenfußball wird in Saudi-Arabien beliebter, doch die Lage im Land ist für Frauen oft noch sehr schwierig

Bis 2018 war es Frauen in Saudi-Arabien untersagt als Zuschauerinnen ins Stadion zu gehen, die aktive Ausübung des Sports in der Öffentlichkeit war ihnen erst recht verboten. Doch die Situation hat sich inzwischen dramatisch verändert: Seit zwei Jahren gibt es eine Frauen-Nationalmannschaft, eine landesweite Frauenliga, Spiele werden live übertragen. Auch in Parks darf nun gespielt werden. 

Diese Entwicklung ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung. Aber bis zur Gleichberechtigung ist es noch ein weiter Weg. Lina Al-Hathloul, die seit Jahren im Exil lebt und sich für Frauenrechte einsetzt, sieht die neue Begeisterung für Frauenfußball in ihrem Land kritisch. Gegenüber dem ARD-Magazin "Weltspiegel“ sagte sie über ausländische Profis, die in Saudi-Arabien spielen: "Wenn sie ruhig bleiben, akzeptieren sie, die saudische Regierung zu repräsentieren. Und sie alle schauen weg, wenn es um die Unterdrückung in Saudi-Arabien geht. Keiner will wissen, was wirklich passiert.“ Andere Stimmen heben dagegen hervor, welche ermutigende Wirkung das Vorbild von Profi-Fußballerinnen auf junge Mädchen in Saudi-Arabien hat, ihren eigenen Weg zu gehen. Wie das Erlebnis, in einer Mannschaft zu spielen, Freundschaften entstehen lässt. Wie die gemeinsame körperliche Anstrengung Energien auch für andere Lebensbereiche freisetzt.

Fußballerinnen, die sich mit einem Angebot für einen Wechsel nach Saudi-Arabien konfrontiert sehen, müssen sich also zwischen gegensätzlichen Argumenten entscheiden: Signalisieren sie mit einem Wechsel ihr stillschweigendes Einverständnis mit einem Regime, das wichtige Menschrechte nicht achtet? Oder unterstützen sie umgekehrt einen Wandel, der die Situation der Frauen schon verbessert hat und in Zukunft noch viel stärker verbessern könnte?

Die Lage ist so kompliziert, dass man sich vor einfachen Antworten hüten sollte. Die Entwicklung im saudischen Fußball ist Teil der umfassenden Bemühungen der Staatsführung, dem Land ein modernes Image zu geben. Saudi-Arabien will die Weltmeisterschaft der Männer im Jahr 2030 ausrichten und kann sich dabei auf die Unterstützung von FIFA-Präsident Gianni Infantino verlassen. Auch als Gastgeber einer Frauen-WM hat sich das Land schon ins Spiel gebracht, auch das sicherlich zum Wohlgefallen von Infantino, der sich gern als Förderer des Frauenfußballs inszeniert. Man mag das als Opportunismus abtun, doch profitiert der Frauenfußball von den Initiativen des als korrupt und machtbesessen verschrienen Infantino tatsächlich.

Bei der Abwägung ist auch zu berücksichtigen, dass der Frauenfußball in Europa noch vor wenigen Jahrzehnten starken Restriktionen unterworfen war. Und auch heute ist man in Europa noch längst nicht so weit, dass Fußballerinnen der gleiche Respekt entgegengebracht würde wie ihren männlichen Kollegen. Noch immer werden Spielerinnen auch hierzulande sexualisiert, regelmäßig mit sexistischen Kommentaren konfrontiert, und ihre sportlichen Leistungen werden nicht als gleichwertig mit jenen der Männer angesehen. 

Um die Motive der einzelnen Spielerinnen zu beurteilen, muss man auch aufs Geld schauen, das in Saudi-Arabien zu verdienen ist. Wie hoch die Summen sind, mit denen Saudi-Arabien Fußballerinnen ins Land zu locken versucht, ist nicht im Detail bekannt. Gerüchten zufolge soll es sich um bis zu eine Million Euro im Jahr handeln. Das ist weit mehr, als Spitzenclubs in Europa und in den USA zahlen, auch wenn hier wie dort die Gehälter gerade für die besten Spielerinnen in letzter Zeit deutlich gestiegen sind. In Saudi-Arabien wird damit jedenfalls erstmals im Frauenfußball eine finanzielle Dimension erreicht, die der einzelnen Spielerin den Aufbau von erheblichen Rücklagen für die Zeit nach der aktiven Karriere erlaubt. Das kann den Wechsel für die betreffenden Frauen im Einzelfall noch attraktiver machen als für die Männer, die zumeist ohnehin schon ausgesorgt haben. 

Sara Björk Gunnarsdóttir ist eine große Nummer im Frauenfußball, sie spielte unter anderem für den VfL Wolfsburg, Olympique Lyon und zuletzt für Juventus Turin. Sie wird damit gerechnet haben, dass die Reaktionen in den sozialen Netzwerken auf ihren Wechsel sich nicht groß von jenen negativen Kommentaren unterscheiden würden, mit denen ihre männlichen Kollegen klarkommen mussten.

Wie viele Spielerinnen dem Beispiel Gunnarsdóttir folgen und nach Saudi-Arabien gehen werden - in ein Land, in dem sie nicht umfassend respektiert werden, in ein Land, in dem Frauen und Mädchen sich Männern und Jungen in vielerlei Hinsicht unterordnen müssen, in ein Land, in dem wichtige Menschenrechte  nicht gelten – bleibt abzuwarten. Auch unter den Männern haben viele Stars geradezu unmoralische Angebote abgelehnt und sich für einen Verbleib in den sportlich interessanteren Ligen in Europa entschieden.

Am Ende ist es eine individuelle Entscheidung: Jede Spielerin hat nur eine Fußballkarriere, und jede Spielerin muss für sich selbst entscheiden, wie diese Jahre aussehen sollen. Gunnarsdóttir hat ihre Entscheidung getroffen – sie ist zu respektieren, aber es ist auch das Recht der Anhänger des Sports, einen bitteren Nachgeschmack zu empfinden.

Frauenfußball / Homepage / VfL Wolfsburg


feed