Frust und Fragen: Der merkwürdige Transfersommer des FC Bayern

Mit der Kaderplanung kann Bayern-Trainer Hansi Flick nicht zufrieden sein
Mit der Kaderplanung kann Bayern-Trainer Hansi Flick nicht zufrieden sein / Alexander Hassenstein/Getty Images
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Der FC Bayern geht auf dem Transfermarkt ein großes Risiko ein. Seit der Verpflichtung von Leroy Sané hat der Triple-Sieger keinen Neuzugang mehr präsentiert, den Kader stattdessen noch mehr ausgedünnt. Aus Fan-Sicht ist die Kaderplanung noch frustrierender als im vergangenen Jahr und es kommen noch mehr Fragen auf.

Während andere Vereine ihre Hausaufgaben frühzeitig erledigen und beinahe mit dem kompletten Kader in die Saisonvorbereitung einsteigen können, wartet der FC Bayern im zweiten Jahr in Folge bis zum Deadline-Day des Transferfensters, um eine oder mehrere Lücken zu besetzen. Das lag im vergangenen Jahr vornehmlich an den ewigen Verhandlungen mit Manchester City über einen Transfer von Leroy Sané, ehe dieser platzte und Philippe Coutinho und Ivan Perisic kurzerhand als Leihspieler präsentiert wurden. In diesem Jahr hingegen macht die Corona-Pandemie den Münchner Bayern einen Strich durch die Rechnung.

"Uns fehlen pro Heimspiel mehr oder weniger vier Millionen an Ticketing, an Essen, Trinken und Catering", sagte Vereinspräsident Herbert Hainer laut Spox bei einem PR-Termin der FC Bayern Basketballer. "Wenn wir alles zusammenrechnen, dann fehlen uns Pi mal Daumen 100 Millionen. Und dem müssen wir auch Rechnung tragen." Auch Sportvorstand Hasan Salihamidzic und Vorstandsvorsitzender Karl-Heinz Rummenigge hatten in den vergangenen Wochen und Monaten betont, dass der in diesem Jahr herrschende Ausnahmezustand auch für den FC Bayern eine Last sei. Gefühlt wird der Mannschaftskader deswegen allerdings vernachlässigt.

Dass Thiago verkauft wurde, ist ob dessen Wechselwunsch nachvollziehbar. Doch sowohl stilistisch als auch für die Breite braucht es nun einen weiteren Mittelfeldspieler. Dass solch einer kommt, darf jedoch stark angezweifelt werden. Vielmehr sollte Mickael Cuisance an Leeds United verkauft werden, Javi Martinez könnte nach Informationen von Sky zudem ablösefrei gehen. Würden beide Transfers über die Bühne gehen, stünden nur noch Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Corentin Tolisso und Adrian Fein zur Verfügung. Vier zentrale Mittelfeldspieler für eine gestauchte Saison, die den Spielern in zahlreichen englischen Wochen samt Länderspielpausen alles abverlangt? Das reicht im Leben nicht.

Allerdings ist Cuisance laut The Athletic durch den Medizincheck beim Premier-League-Aufsteiger gefallen, weshalb zumindest der Franzose bleiben könnte. Das Potenzial ist ihm nicht abzustreiten, bisher reichte es aber nur für 328 Pflichtspielminuten. Ein Durchbruch ist besonders nach den jüngsten Geschehnissen kaum zu erwarten.

Die heißeste Spur führt zu Hudson-Odoi

Ein neuer Mittelfeldspieler ist insofern Pflicht, lässt aber ebenso auf sich warten wie ein Backup für Benjamin Pavard. Zwar kann Nachwuchsspieler Chris Richards den Weltmeister entlasten, bei einem längeren Ausfall müsste voraussichtlich aber wieder Joshua Kimmich in der Viererkette aushelfen - und dann haben die Bayern wieder einen Mittelfeldmann weniger und zudem den wichtigsten Strategen auf der falschen Position.

Statt auf diesen Positionen nachzulegen, soll mit Callum Hudson-Odoi stattdessen Flügelspieler Nummer vier kommen. Laut Sky und Sport Bild sollen sich die Gespräche in der entscheidenden Phase befinden, dem britischen Guardian zufolge dränge Hudson-Odoi jedoch nicht auf einen Abschied vom FC Chelsea, der den Bayern wie im Vorjahr eine Abfuhr erteilen könnte.

Bei einer Einigung mit den Londonern würde Salihamidzic seinen nächsten Wunschspieler erhalten. Im Verhältnis zum Mittelfeld und der Defensive hätte die offensive Außenbahn aber nicht oberste Priorität besitzen sollen (wenngleich wegen Sanés Verletzung schon jetzt der Schuh drückt).

Es ist ein Dilemma: Der FC Bayern braucht neue Spieler, nur ein Neuzugang reicht aber nicht aus. Doch die Zeit ist zu knapp, um alle Positionen angemessen zu besetzen. Daher sollte eigentlich der Posten Vorrang haben, der am dringendsten Verstärkung benötigt. Im Verhältnis ist diese Notwendigkeit auf den Außenbahnen nicht gegeben.

Viele Fragen, keine Antworten

Das Transferfenster wirft ohnehin viele Fragen auf: Wieso wurde angekündigt, dass der Kader breiter werden soll, obwohl er de facto immer dünner wird? Wieso hält man sich in Sachen Ausgaben zurück, ist dann angeblich aber dazu bereit, Martinez ablösefrei ziehen zu lassen und einen Großteil von Sven Ulreichs Gehalt nach dessen anvisiertem Wechsel zum Hamburger SV zu übernehmen, wie Sport1 berichtet? Wieso werden eklatante Schwächen in der Breite des Kaders nicht oder erst zu spät erkannt? Und warum wird nun wieder über Leihgeschäfte mit Kaufoption spekuliert?

Sollte letzteres wie schon im Vorjahr Salihamidzics Mittel der Wahl sein, werden die Probleme im kommenden Jahr noch größer, denn dann laufen nach aktuellem Stand die Verträge von Martinez, Jerome Boateng und David Alaba aus. Gemäß dem Fall, dass ein etwaiger Neuzugang wie Hudson-Odoi nicht fest verpflichtet wird und auch im Winter nur Leihgeschäfte an der Tagesordnung stehen, müsste umso mehr Geld auf dem Transfermarkt investiert werden, da dann ein Flügelspieler, mindestens ein Mittelfeldspieler, ein Rechtsverteidiger und mindestens ein Innenverteidiger verpflichtet werden müssten.

Selbstverständlich könnte auch der ein oder andere Nachwuchsakteur einen dieser Plätze besetzen. Nur auf die Campus-Talente zu bauen, wäre jedoch fahrlässig. Nicht jeder von ihnen hat das Zeug, sich auf Profi-Niveau durchzusetzen. Jamal Musiala, Joshua Zirkzee und Chris Richards zeigen vielversprechende Ansätze, je nach Entwicklung kommen womöglich auch ein Oliver Batista Meier oder Sarpreet Singh in Betracht. Doch es braucht einen Plan B in der Hinterhand, sollte das Experiment mit dem Nachwuchs nicht klappen. Ein solcher wird aber schon jetzt vermisst; wobei eher das Gefühl aufkommt, dass nicht einmal Plan A existiert.