Frauen-WM 2023 - England gegen Spanien: Das können wir von dem Finale erwarten
Von Helene Altgelt
Im WM-Finale (20.8., 12 Uhr) trifft England auf Spanien. Im Turnierverlauf haben sich beide Teams gesteigert, aber sich selten in Topform gezeigt. Es ist ein Duell der Imperfekten, ohne einen großen Favoriten. Das können wir von dem Finale erwarten.
England: Knapp das Aus abgewendet, im Halbfinale abgeliefert
Keira Walsh kennt den spanischen Spielstil gut. Die Engländerin spielt seit einem Jahr beim FC Barcelona, mit ihrem Wechsel nach Katalonien wurde sie zur teuersten Fußballerin der Welt. In Barcelona spielt sie an der Seite von Aitana Bonmatí im Mittelfeld, jetzt hat Walsh die Aufgabe, Spaniens beste Spielerin so wenig wie möglich zur Entfaltung kommen zu lassen.
Das Turnier von Walsh schien eigentlich in der Vorrunde schon beendet. In der 38. Minute gegen Dänemark verletzte sich die 26-Jährige am Knie, musste vom Platz getragen werden. Die Befürchtung war auf die Gesichter von ihr, ihren Teamkolleginnen und Sarina Wiegman geschrieben: Kreuzbandriss.
Fortuna meinte es gut mit Walsh, und so konnte sie schon nach einem Spiel zurückkehren. Es war nicht das erste Mal im Turnier, dass England von Glück reden konnte. Der Achtelfinal-Sieg im Elfmeterschießen gegen Nigeria war schmeichelhaft, nur ein strammer Schuss von Chloe Kelly verhinderte das frühe Aus.
So bekam England nach einer unauffälligen Vorrunde und einem schwachen ersten K.o.-Spiel eine zweite Chance, und die haben die Lionesses genutzt. England hat sich seit dem Nigeria-Spiel gesteigert, auf einen Arbeitssieg gegen Kolumbien folgte eine souveräne Vorstellung gegen Australien.
Wiegman erneut im Finale - Spanien schon bei der EM ein harter Test
Sarina Wiegman stand schon einmal nach einer WM mit Höhen und Tiefen im Finale: 2019 traf sie mit den Niederlanden auf die USA. Das Endspiel hat die Niederländerin in schlechter Erinnerung, ihr Team verlor klar. Ihr Co-Trainer von damals sagte ggenüber The Athletic, sie habe das Finale danach viermal analysiert. Gegen Spanien will die akribische 53-Jährige noch besser vorbereitet sein. Das wird auch nötig sein, Spanien war bei dem englischen EM-Sieg der härteste Test.
Die Rollen sind dieses Mal anders verteilt. Mit den Niederlanden war Wiegman zwar amtierender Europameister, aber gegen die dominanten USA doch Underdog. Auch jetzt ist sie wieder Europameisterin, die USA sind aber längst ausgeschieden. Und die USA-Besiegerinnen, Schweden, sind auch raus – im Halbfinale gegen den Endspiel-Gegner, Spanien.
Spanien: Japan-Schlappe gut weggesteckt
Bei der dritten WM-Teilnahme ist Spanien der ersehnte Erfolg gelungen. Es schien bei der Masse an Talent nur wie eine Frage der Zeit, bis die Titel regnen würden, wie sie das längst auch schon in den U-Nationalteams tun. Aber bei der WM 2019 scheiterte Spanien an den späteren Siegerinnen, genau wie bei der EM im letzten Jahr. Das war sicherlich Pech, aber auch spielerisch war das Team weniger reif als heute.
In jedem Spiel hatte Spanien bisher mehr Ballbesitz als die Gegnerinnen, optisch war La Roja immer überlegen. Bei dem 0:4 gegen Japan nutzten alle Pässe nichts, weil Spanien überhaupt keine Gefahr ausstrahlte. Aber von solch einer Demütigung zurückzukommen und am Spielstil weiter festzuhalten, wenn auch in verfeinerter Form, spricht für Spanien. In der K.o.-Runde sind sie stets verdient weitergekommen, auch wenn sie sich oft das Leben mit schlechter Chancenverwertung selbst schwer machten.
Beide Teams hatten damit einen Schockmoment bei der WM, von dem sie zurückgekommen sind. Beide wurden abgeschrieben, kamen zurück, nicht immer in Bestform, aber sie stehen im Finale. Die WM widerlegt alle Gesetze der Logik. Das spielerisch beste Team flog im Viertelfinale raus, die Titelverteidigerinnen noch früher. Kein Team hat sich konstant von Spiel zu Spiel gesteigert, auch die beiden Finalistinnen nicht.
Wichtige Duelle auf den Flügeln
Bei beiden stehen noch Fragezeichen: Wird Spanien erneut anrennen und anrennen, ohne wirklich große Chancen zu kreieren? Werden sie die Phasen ihrer Dominanz ausnutzen? Und bei England: Können sie die Effizienz des Halbfinales aufrechterhalten? Wie bauen sie auf, falls Spanien wie erwartet das Mittelfeld dominiert und Keira Walsh nicht zu ihren Zuckerpässen kommt?
Die zweite Option für England ist das Spiel über die Flügel: Mit Rachel Daly und Lucy Bronze haben die Lionesses zwei sehr offensiv agierende Flügelspielerinnen. Gegen Australien war der Aufbau asymmetrisch, Bronze verlegte sich mehr auf das Verteidigen als sonst. So ähnlich könnte es auch gegen Spanien aussehen, die Außenverteidigerinnen von Jorge Vildas Team rücken gerne hoch auf und lassen viel Platz hinter sich.
Das weiß Lucy Bronze sehr gut: Wie auch Walsh ist sie im letzten Jahr von der Insel nach Barcelona gewechselt. Ab dieser Saison spielt sie dort mit Ona Battle zusammen, im Finale könnte es eins der Schlüsselduelle werden.
Vilda versus Wiegman - Kontrast auf der Trainerbank
Das wichtigste Duell findet aber wohl an der Seitenlinie statt. Jorge Vilda gegen Sarina Wiegman, zwei komplett unterschiedliche Trainer-Typen. Mehr im Bezug auf das Zwischenmenschliche als auf das Taktische: Wiegmans Spielstil wurde eindeutig von Spanien und Johan Cruyff geprägt, sie spielt ein intensives, teils überfallartiges Pressing und setzt auf schnelle Kombinationen.
Beide zählen auf Übersicht und Pässe in die Tiefe, und der verstärkte Fokus darauf kann auch teilweise die Leistungssteigerung von Spanien und England erklären. Die Finalistinnen spielten teils zu umständlich, aber im Halbfinale entdeckten sie effektivere Methoden, um Chancen zu kreieren. Spanien suchte immer wieder Alba Redondo in den Halbräumen, bei England kombinierten Russo und Hemp ansehnlich mit kurzen Pässen.
Spanien hat diesen Spielstil sicherlich mehr perfektioniert als England, sie haben die feinere Technik und die größere Ballsicherheit. England hat dafür die Effizienz und die stärkere Defensive, gerade physisch, auf seiner Seite. Und dazu noch etwas, das bei allen taktischen Diskussionen nicht ausgeklammert werden kann.
Der Zusammenhalt als Team sei es, der England ausmache, meinte Lucy Bronze vor dem Finale. Als Barcelona-Spielerin hat sie wohl noch besser mitbekommen, wie die Stimmung bei den Gegnerinnen ist. Die Spanierinnen hätten sich während des Spiels von ihrem Trainer alleine gelassen gefühlt, berichteten die Medien nach dem Japan-Debakel. Vielleicht kann Spanien daraus aber auch Stärke ziehen und mit einer "Jetzt-erst-recht-Haltung" zusammen stärker werden. Das sagt Tanja Pawollek in der neuesten 90min-WM-Kolumne auch.
Die Vorwürfe gegenüber dem Trainer überschatten aus spanischer Sicht das Finale, gerade weil mit Sarina Wiegman der Gegenpol zu Vilda an der Seitenlinie steht. Wiegman ist für ihre offene Kommunikation bekannt, die Spielerinnen loben sie in den höchsten Tönen. Als Trainerin konnte sie bisher noch nicht auf voller Linie überzeugen, wartete teils sehr lange mit Umstellungen und Wechseln. Aber für Spanien kann Ähnliches gesagt werden, gegen eine gut sortierte Defensive sucht Vildas Team noch immer nach alternativen Lösungen.
Das Finale ist ein Duell der Imperfekten, der Steigerungen und der Enttäuschungen, ein Duell ohne weiße Westen und perfekte Geschichten. Damit könnte es zu einem passenden Ende dieser WM der Überraschungen werden.