"It‘s showtime" - Wie die UEFA die EM vermarktet
Von Alina Ruprecht
In Sachen Zuschauerzahlen ist die EM 2022 ein überaus erfolgreiches Turnier. Während der Spiele wurden mehrere Rekorde gebrochen und die UEFA vermeldete jüngst, dass 369.314 Fans die Gruppenphase live in den Stadien verfolgte. Betrachtet man die Abläufe und Gestaltung an einem EM-Spieltag wird jedoch auch klar, dass den Veranstaltern vor allem wichtig ist, WER in den Zuschauerrängen Platz nimmt.
Es sind sonnige Tage in England und regelmäßig machen sich zahlreiche Fans auf ins Stadion, um die Top-Teams Europas anzufeuern. Schon auf dem Weg zu den Austragungsorten fällt auf, dass besonders viele Familien mit jüngeren Kindern unterwegs sind.
Im Allgemeinen lässt sich durchaus sagen, dass die Atmosphäre bei Frauenfußball-Spielen wesentlich familienfreundlicher ist. Das hat unlängst die UEFA erkannt und aufgegriffen. An sich stellt der Fokus auf eine jüngere Zielgruppe kein Problem dar. Richtet man sich während der EM gezielt an sie, so kann man die zukünftige Fans und ZuschauerInnen hinzugewinnen.
So bietet die UEFA besonders günstige Tickets für unter 16-jährige an, die sich in der Preisspanne von £5 bis £25 bewegen. Sie sind damit auch um die Hälfte billiger als die Eintrittkarten für Erwachsene. Die günstigen Ticket-Preise bringen sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Das Turnier wird durch sie für viele Menschen zugänglicher, da man sich mit niedrigerem Einkommen eine Karte leisten kann. Zudem bietet die EM mit den günstigen Preisen eine gute Einstiegsmöglichkeit in den Frauenfußball. Nicht nur die UEFA hofft, dass möglichst viele der ZuschauerInnen auch nach dem Turnier weiterhin ihre Nationalmannschaften verfolgen und auch größeres Interesse an den europäischen Ligen zeigen werden.
Die niedrigen Ticket-Preise schaffen jedoch auch weniger Anreiz, dem jeweiligen Spiel auch tatsächlich beizuwohnen. Manche Fans können kleine Geldbeträge verschmerzen, sollten sie aus verschiedenen Gründen doch nichts ins Stadion können oder wollen. Auf Social Media blüht der Handel mit übrigen Karten, die teilweise verschenkt werden, damit nicht alle Plätze leer bleiben. Zwar sind fast alle EM-Spiele bisher ausverkauft, jedoch kam zu keiner Partie wirklich jeder Fan, der eine Karte erworben hatte.
Das Eröffnungsspiel im Old Trafford verdeutlicht dies. Schon Wochen im Voraus waren keine Tickets mehr für England gegen Österreich erhältlich. Das berühmte Theatre of Dreams hat eine Kapazität von etwa 77.000 Plätzen. Die Veranstalter träumten von einer Rekordkulisse, die es dann auch gab, jedoch nicht in vollem Ausmaß. Rekordverdächtigte 68.871 ZuschauerInnen nahmen an dem Abend in den Rängen Platz, während sich die UEFA die Frage stellen musste, was mit den übrigen 9.000 Tickets passiert war.
Dieses Bild der ausverkauften Spiele in nicht voll besetzten Stadien zieht sich bislang wie ein roter Faden durch die EM. Für zukünftige Turniere wäre es durchaus sinnvoll, die Ticket-Preise zu erhöhen. So könnten die Veranstalter einen größeren Anreiz für die ZuschauerInnen schaffen, auch wirklich ins Stadion zu gehen.
Aufgrund der günstigen Eintrittskarten und des Drumherums an den Spieltagen werden bereits Stimmen laut, die die EM als „cheap day out with the kids“ beschreiben. In der Tat fühlt sich die Atmosphäre vor Ort phasenweise mehr nach Vergnügungs-Event als seriösem Fußball-Turnier an.
Vor Anpfiff der Spiele, sowie in den Halbzeit-Pausen wird in den Stadien ein regelrechtes Unterhaltungsprogramm geboten. Sobald die Spielerinnen nach dem Aufwärmen zurück in die Kabinen gegangen sind, wird die „Show your heart“-Kampagne gestartet. Auf den großen Stadion-Bildschirmen werden die anwesenden Fans aufgefordert, ihre Unterstützung für eines der Nationalteams zu demonstrieren. Die Kameras fangen dabei fast ausschließlich jüngere Kinder ein, die ausgelassen winken oder mit ihren Händen ein Herz formen.
Im Anschluss daran startet die Stadion-Regie die „Dance Cam“. Wie bei einem Basketballspiel in den USA werden die Kameras auf einzelne Fans in der Menge gezoomt, die dann zu fetziger Pop-Musik ihre „Moves“ präsentieren sollen. Auch in diese Unterhaltungsaktion werden hauptsächlich die jungen Fans eingebunden. Manch erwachsene*r ZuschauerIn sitzt man dabei im Publikum und hofft, dass dieser Kelch bloß an einem selbst vorbei geht.
Die Dance Cam feiert ihre Rückkehr stets in den Halbzeitpausen. Spielstatistiken werden nur kurz auf den großen Bildschirmen eingeblendet und unkommentiert gelassen. Teilweise ersetzt die „Caraoke Cam“ die Tanzeinlagen der Fans. Die Songtexte, u.a. zu Oasis‘ Klassiker „Wonderwall“, werden dabei gut lesbar auf die Leinwände geworfen, während die Kameras die singenden Fans auf den Rängen filmen.
Auch im Verlauf der Spiele kommt es zu Szenen, in denen das Publikum auf unterhaltsame Weise aktiv werden soll. Findet eine Partie am Abend statt, so werden häufig Handys mit angeschalteten Lichtern auf den Zuschauerrängen geschwenkt. Besonders die „Mexican waves“, ohne die bisher kaum ein Spiel auskam, sind ein großer Streitpunkt für viele Fans. Jüngere UnterstützerInnen springen begeistert von ihren Plätzen und reißen die Arme in die Luft, sobald die Welle an ihnen vorrüber geht. Viele Erwachsene bleiben jedoch genervt sitzen und verfolgen die Geschehnisse auf dem Platz kurzzeitig mit eingeschränkter Sicht.
Grundsätzlich ist das Ziel der UEFA, junge Fans langfristig für den Frauenfußball zu begeistern wichtig und richtig. Jedoch lenken all die Unterhaltungsangebote an den Spieltagen vom eigentlichen Inhalt der EM ab: die mitreißenden und kompetitiven Fußballspiele auf dem höchsten Niveau. Zudem verleihen Dance-Cams und Co. den Events eine unnötig unseriöse Atmosphäre. Da gerade der Frauenfußball noch immer um breite Anerkennung in der Gesellschaft zu kämpfen hat, ist diese Marketingstrategie der UEFA keineswegs förderlich.
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