Kritik an Nagelsmann-Taktik: Alibi oder berechtigt?

Ändert Julian Nagelsmann zu häufig die Ausrichtung des Teams?
Ändert Julian Nagelsmann zu häufig die Ausrichtung des Teams? / Eurasia Sport Images/GettyImages
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Woran hat es gelegen?

Diese Frage stellen sich aktuell viele rund um den FC Bayern. Der Rekordmeister steuert zwar auf die zehnte Meisterschaft in Serie zu, im DFB-Pokal setzte es allerdings das frühe Aus. In der Champions League musste man sich im Viertelfinale gegen Underdog Villarreal geschlagen geben.

Für die Bayern ist ein solches Saison-Abschneiden längst nicht mehr genug. Vor allem das Aus in der Königsklasse schmerzt den Klub. Und lässt viele Fragen und Zweifel aufkommen.

Kritik trifft auch Trainer Nagelsmann

Diese betreffen auch Trainer Julian Nagelsmann, der im vergangenen Sommer als Flick-Nachfolger und Wunsch-Trainer von Hasan Salihamidzic verpflichtet wurde.

An der Außendarstellung des immer noch erst 34-Jährigen liegt das nicht. Nagelsmann beeindruckt mit seiner Eloquenz und moderierte im Saisonverlauf die Themen rund um den Klub stark. Einzig seine öffentliche Kritik gegen den Freiburger Einspruch war vielleicht etwas zu viel des Guten. Dennoch: Nagelsmann erledigt seine Aufgaben abseits des Platzes richtig gut - ohne sonderlich viel Unterstützung der Klubbosse zu erfahren (vor allem von Oliver Kahn nicht).

Mannschaft diskutiert über taktische Ausrichtung

Kritisch betrachtet wird dagegen seine Taktik. Laut der Sportbild soll es mannschaftsintern Diskussionen über die Ausrichtung und die Umstellungen des Trainers geben. Anders als Vorgänger Hansi Flick und der erfolgreichen Zeit unter Jupp Heynckes setzt Nagelsmann nicht stur auf das Bayern-typische 4-2-3-1-System.

Doch sind seine Änderungen der Grundformation verantwortlich für das schwache Abschneiden in den Pokal-Wettbewerben - oder liefern sie der Mannschaft lediglich ein willkommenes Alibi?

Begründete Kritik an Nagelsmann oder Alibi? Es gibt keine einfache Antwort!

Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es nicht! Zunächst muss man festhalten, dass man eine flexible Ausrichtung bei Nagelsmann erwarten konnte. Mit dieser Art des Coachings wurde er in Hoffenheim groß und arbeitete erfolgreich bei RB Leipzig. Gerade Nagelsmanns Anpassungen während der Spiele war ein Grund, warum er zu einem der begehrtesten jungen Trainer in Europa wurde und schließlich in München landete.

Begründet liegen die Umstellungen auch an der Personalsituation. Vor allem der längere Ausfall von Alphonso Davies wog schwer. Der Kanadier war von Beginn an ein Schlüsselspieler im System. Als nomineller Linksverteidiger rückte Davies in Ballbesitz auf die Linksaußen-Position. Die Bayern agierten offensiv so mit einem Dreier-Aufbau, zwei Außenstürmern und zwei Spielmachern.

Mit Davies-Ausfall folgten die Probleme

Über weite Teile der Saison war diese Ausrichtung extrem erfolgreich und zielführend. Die Offensiv-Maschinerie des Rekordmeisters rollte. Nach dem Davies-Ausfall konnte Nagelsmann daran aber nicht festhalten. Immer häufiger bot er schon zu Beginn der Partie eine nominelle Dreierkette auf, die Außenstürmer Kingsley Coman und Serge Gnabry wurden zu Schienenspielern. Oder "Jokern" - wie Nagelsmann diese Positionen bezeichnet. Vor allem Gnabry aber tat sich schwer mit dieser Rolle und wirkte unzufrieden.

Etwas unzufrieden soll zuvor auch schon Robert Lewandowski gewesen sein. Der Torjäger bemängelte, dass ihm mit der Nagelsmann-Taktik zu viele Räume genommen werden, da sich zu viele Offensiv-Spieler auf engem Raum tummelten. Anhand seiner weiterhin starken Treffer-Ausbeute war das aber nicht wirklich abzulesen.

Defensive Anfälligkeit: Bayern unter Nagelsmann zu offensiv?

Auch die defensive Stabilität wurde im Saisonverlauf immer wieder angeprangert. Einigen Bayern-Spielern soll die Ausrichtung zu offensiv gewesen sein. Nagelsmann setzte nach dem Davies-Ausfall häufig auf eine Formation mit Coman, Sané, Müller, Gnabry und Lewandowski - und mit nur einem echten Sechser.

Stichhaltig sind die vielen kritischen Tönen an der FCB-Defensive nur bedingt. Zumindest, wenn man den Vergleich zur Vor-Saison zieht. Auch unter Hansi Flick kassierten die Bayern viele Treffer - was analog zur aktuellen Saison an der sehr offensiven Ausrichtung lag. Ob im fixen 4-2-3-1 oder im flexibleren Nagelsmann-System spielte dabei keine wirkliche Rolle. Auch die Abgänge von Alaba und Boateng und teils schwankende Leistungen vor allem von Dayot Upamecano lassen sich nicht als Hauptgrund für zu viele Gegentore aufführen.

Es ist einfach so, dass dominant und sehr offensiv auftretende Bayern große Räume hinter der Abwehr geben. Ein zwangsläufiges Übel der Ausrichtung, das mit enorm vielen eigenen Toren mehr als nur aufgefangen werden konnte - meistens zumindest. Über einen Großteil der Spielzeit sorgten die Bayern jedenfalls regelmäßig für Spektakel, viele Tore und gute Ergebnisse.

Kritik an Nagelsmann teilweise berechtigt

Ganz rausnehmen kann man Nagelsmann aus den jüngsten Rückschlägen dennoch nicht. Innerhalb der Mannschaft gab es in den vergangenen Wochen kaum mehr einen Spieler, der sich in Bestform zeigte. Inwieweit das zu steuern ist, bleibt offen. Fest steht jedoch, dass man eine Mannschaft, die sich nicht in Bestform zeigt, mit Umstellungen zusätzlich verunsichern kann.

In diesem Fall wäre es vielleicht tatsächlich besser gewesen, Nagelsmann hätte auf ein eingespieltes System vertraut, in dem Automatismen besser greifen können. Teilweise hat er das offensive Risiko auch auf die Spitze getrieben. Gegen Villarreal musste Hernandez kurz vor Schluss verletzt raus. Statt Innenverteidiger Nianzou wechselte Nagelsmann Außenverteidiger Davies als linken Part der Dreierkette ein. Beim entscheidenden 1:1 hob der Kanadier durch einen Stellungsfehler das Abseits auf (auch wenn sich seine Mitspieler ebenfalls nicht taktisch perfekt verhielten).

Fazit: Nagelsmann muss aus Fehlern lernen

Was bleibt am Ende festzuhalten? Ja, Nagelsmann hat Fehler gemacht und sollte in Zukunft in manchen Situationen auf eine eingespielte Ausrichtung vertrauen. Aber: Nagelsmann ist und bleibt mit seinen 34 Jahren ein sehr junger Trainer in seiner ersten Saison bei einem Weltklub wie dem FC Bayern. Fehler muss man ihm daher zugestehen - solange er daraus die richtigen Schlüsse zieht.

Dass er das tut, ist anzunehmen. Zu hoch ist der Fußball-IQ des 34-Jährigen. Dass er aber in Zukunft auf eine starre Grundformation á la Flick oder Heynckes setzt, ist nicht anzunehmen. Vielmehr sollten nun die Klub-Bosse gefragt sein, Nagelsmann einen Kader an die Hand zu geben, mit dem er wichtige Ausfälle besser auffangen kann. Ein ähnlicher Spielertyp wie Davies auf der rechten Abwehrseite würde dem FCB-Coach die Arbeit schon deutlich erleichtern.

An die Nase packen müssen sich vor allem auch die Spieler. Topform hat in der entscheidenden Saisonphase kaum einer erreicht. Stattdessen scheint bei vielen die offene Vertragsfrage wie eine schwere Last auf den Schultern zu wiegen. Diskussionen über Taktik und Ausrichtung sind zwar erlaubt, am Ende hatten das schwache Pokal-Abschneiden aber hauptsächlich die Spieler selbst zu verantworten!


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