EM-Auftakt gegen Frankreich: 6 Schlüssel für einen erfolgreichen Start der DFB-Elf
Von Dominik Hager
Das EM-Fieber steigt, je näher die mit Spannung erwartete Partie gegen Frankreich rückt. Während manche Fans dem Auftakt gegen den Weltmeister mit Respekt oder gar Angst entgegenblicken, freuen sich andere auf den Kracher zu Beginn. Damit der erste EM-Auftritt von Jogis Jungs auch zum Erfolg wird, muss das Team jedenfalls einiges beachten. Die Franzosen sind schließlich das auf dem Papier stärkste Team des Turniers und besitzen vor allem in der Offensive enorm gefährliche Waffen.
Die sechs wichtigsten Punkte, die das DFB-Team gegen Frankreich beachten muss:
1. Die Dominanz im Mittelfeld
Spitzenspiele, so sagt man, entscheiden sich meist im Mittelfeld. Eine Position auf der die Franzosen mit N'Golo Kanté, Paul Pogba und Corentin Tolisso/Adrien Rabiot extrem stark besetzt ist. Die Équipe Tricolore agiert meist im 4-3-3 System, wodurch im Mittelfeld drei zentrale Figuren für eine Überzahl sorgen können. Ob das von Löw wohl angepeilte 3-4-2-1 System das dazu passende ist, bleibt fraglich.
Demnach würden schließlich die zentralen Mittelfeldspieler Toni Kroos und İlkay Gündoğan auf drei Franzosen treffen, die zudem auch noch körperlich stärker sind. Zweikampfhärte und Schnelligkeit sind jedenfalls keine sonderlichen Stärken des deutschen Duos.
Allerdings muss es das Team unbedingt verhindern, dass Mbappé, Griezmann und Co zu oft und zu einfach so durchs Mittelfeld pflügen. Insbesondere der pfeilschnelle Pariser muss so oft es geht aufgehalten werden, bevor er auf die letzte Reihe zu rennt, wo mit Hummels und Ginter nicht unbedingt die schnellsten Verteidiger warten.
Demnach lautet die Devise "gegenseitig helfen und Zentrum dicht machen". Kimmich und Gosens dürfen sich nicht zu weit auf der (ballfernen) Seite aufhalten, sondern müssen in der Rückwärtsbewegung auch das Zentrum im Auge behalten. Ein kleiner Trumpf dabei ist, dass zumindest die beiden französischen Außenverteidiger Benjamin Pavard und Lucas Hernández, ihre Stärken eher in der Defensive haben. Je besser Kimmich und Gosens zentral mithelfen können, desto seltener muss ein Verteidiger aus der Dreierkette rausrücken und das Mittelfeld-Duo unterstützen.
Genau dieses Rausrücken der Innenverteidiger ist gefährlich, zumal sich daraus häufig Lücken ergeben. Mbappé ist bekannt dafür in diese sofort zu stoßen. Kommt der Steilpass dann perfekt, ist er auf dem Weg zum Tor nicht aufzuhalten. Steht die Dreierkette hinten kompakt, bleibt zumindest für jeden französischen Angreifer ein Gegenspieler. Im Optimalfall empfängt man die französischen Angriffe in eigener Überzahl.
2. Respekt ja, Angst nein!
Es dürfte lange her sein, dass die DFB-Elf bei einem großen Turnier zuletzt der klare Außenseiter war. Aufgrund der schwachen letzten Jahren und der französischen Mega-Truppe befindet sich Deutschland aber nun mal wieder in dieser Position.
Demnach ist es auch völlig richtig, wenn die DFB-Elf vor den Franzosen Respekt hat. Ein rein offensiver Hurra-Stil wird gegen den starken Gegner nicht möglich sein. Defensives Denken und ausreichende Absicherungen werden also durchaus verlangt sein.
Dabei sollte das Team die Außenseiter-Rolle nutzen, um sich mal zurückzuziehen und auf Konter zu warten. Jeder weiß, dass die Franzosen, trotz ihrer Erfolge, selbst gerne auf dieses Stilmittel setzen und gar kein so großes Interesse daran haben, selbst das Spiel zu machen. Manchmal wirkt Frankreich gar ein wenig destruktiv.
Dadurch darf sich die deutsche Elf jedoch nicht in Sicherheit wiegen, zumal Mbappé und Co innerhalb von Sekunden explodieren können. Dagegen erscheint es durchaus sinnvoll, die Franzosen ein wenig aus der Komfort-Zone zu bringen und sie mit ihren eigenen Waffen zu überrumpeln.
All das wird jedoch nicht über 90 Minuten funktionieren. Demnach darf das Team von Joachim Löw nicht zu sehr auf den Gegner schauen, sondern sollte auch auf die eigenen Stärken setzen. Die drohende Kontergefahr darf die eigenen Offensivbemühungen nicht vollständig lähmen.
Immerhin ist das DFB-Team kein kompletter Underdog, sondern immer noch ein top besetztes Team. Selbstvertrauen ist demnach absolut erlaubt und auch wichtig. Zu große Bedenken muss man dabei eigentlich gar nicht haben. Die deutschen Spieler sind allesamt Stammspieler bei europäischen Top-Klubs, wie dem FC Bayern, Manchester City, FC Chelsea oder Real Madrid. Duelle mit großen Gegnern kennt demnach jeder Spieler auf dem Platz.
Dies ist auch wichtig, um mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in die schwere Aufgabe zu gehen. Es wird wichtig sein, den selbstbewussten Franzosen mit breiter Brust entgegenzutreten. Allerdings darf die DFB-Elf dabei selbstredend nicht die Stärke des Gegners unterschätzen und naiv an die Sache herangehen. Letztendlich ist das eine Frage der richtigen Balance.
3. Manuel Neuer in Top-Form
Stars wie Kilian Mbappé, Karim Benzema oder Antoine Griezmann kann kein Team der Welt völlig ausschalten. Früher oder später werden sich die Top-Spieler vor Manuel Neuer in guten Schusspositionen wiederfinden. Der 35-Jährige steht demnach ganz besonders im Fokus.
Die bevorstehende Partie ist eines dieser Spiele, bei denen es sich einfach lohnen muss, den Welttorhüter im Kasten stehen zu haben. Die drei Top-Torjäger wissen um die Klasse des Bayern-Keepers, zumal sie allesamt schon in wichtigen Spielen das ein oder andere Mal vor ihm standen und gescheitert sind.
Für das deutsche Team wäre es eklatant wichtig, wenn Neuer einen Großteil seiner Duelle mit den französischen Angreifern gewinnt. Zudem wird auch sein Timing eine wichtige Rolle spielen, da Frankreich immer wieder mit Steilpässen agiert. Eine erstklassige Entscheidungsfindung ist daher absolut nötig. Deutschland ist bekannt für starke Torhüter-Leistungen. Am Dienstag könnte es wieder einen echten Hexer im Kasten brauchen.
4. In der Abwehr die passenden Matchups finden
Die deutsche Abwehr ist von ihren Spielertypen ähnlich unterschiedlich, wie der französische Angriff. Von daher wird es entscheidend sein, die passenden Matchups zu finden.
Aus der deutschen Abwehrkette ist Antonio Rüdiger mit deutlichem Abstand am schnellsten. Demnach macht es natürlich Sinn, dass sich der Chelsea-Star besonders stark mit Kilian Mbappé auseinandersetzt. Rüdiger wird in vielen Szenen die Möglichkeit erhalten, den PSG-Star abzulaufen, in denen Ginter und Hummels nur noch die Rücklichter sehen werden.
Die beiden Letztgenannten haben jedoch andere Qualitäten. Mats Hummels lebt von seiner enormen Zweikampf- und Kopfballstärke und besitzt viel Erfahrung. Demnach passt er ideal zum noch ein wenig älteren Karim Benzema. Der Real-Angreifer kommt kaum über Sprintschnelligkeit, wodurch er die Tempo-Defizite von Hummels nicht so gut ausnutzen kann. Der 33-Jährige lebt von seiner Technik, seinem Körper und seiner Abschlussstärke per Kopf und per Fuß und setzt seine Fähigkeiten am liebsten in der Box ein. Dort fühlt sich jedoch auch der Borusse absolut zu Hause und kann körperlich voll dagegenhalten.
Bliebt letztlich noch Antoine Griezmann für Matthias Ginter. Griezmann ist ein starker Techniker, ein absolutes Schlitzohr und ein kompletter Fußballer. Allerdings ist er nicht so schnell wie Mbappé und körperlich schwächer als Benzema. Daher passt er gut zu Ginter, der ebenfalls ein kompletter Verteidiger und zumindest etwas schneller und beweglicher als Hummels ist.
Klar ist aber auch, dass diese Matchups nichts über 90 Minuten hinweg immer nur die gleichen bleiben und jeder Verteidiger auf jeden Angreifer treffen wird. Generell kann das Team jedoch gewisse Duelle häufiger erzwingen.
5. Das offensive Positionsspiel muss stimmen
Gänzlich unüberwindbar ist die Defensive der Franzosen nicht. In der abgelaufenen Saison haben sich schließlich Pavard, Kimbembe oder Varane auch nicht unbedingt fehlerfrei präsentiert. Offensiv hat Deutschland demnach durchaus eine Chance, heftige Nadelstiche zu setzen.
Allerdings gilt es zu bedenken, dass die DFB-Elf ohne echter Spitze aufläuft. Wie die Vergangenheit gezeigt hat, kann das funktionieren oder aber auch ordentlich in die Hose gehen.
Das deutsche Angriffs-Trio, Müller, Havertz und Gnabry, zeichnet sich vor allem im Spiel ohne Ball aus. Alle drei glänzen mit klugen Laufwegen und einem geschickten Positionsspiel, durch das sie immer wieder in gefährlichen Situationen auftauchen.
Alle drei Spieler sind keine Fußballer, die mit langen Solo-Läufen das gegnerische Tor attackieren. Dafür haben sie jedoch Stärken im Kombinations- und Zusammenspiel. Gegen Frankreich muss die deutsche Offensive perfekt harmonieren und aufeinander abgestimmt sein, um für ordentlich Wirbel zu sorgen. Dabei darf auch kein Spieler statisch auf seiner Position verweilen, sondern muss ständig rotieren und nach Freiräumen suchen.
Elementar ist dabei zudem, dass der Strafraum regelmäßig besetzt ist und nicht zu viel um die Box herumgespielt wird. Die Spieler müssen sich gute Positionen in der gefährlichen Zone suchen, zumal dank Kimmich und Gosens starke Flanken von außen vorprogrammiert sind. Gerade Müller und Havertz besitzen auch die Größe und Kopfballstärke, um das ausnützen zu können.
Entscheidend über den Ausgang der Partie könnte dann die Chancenverwertung werden. Der letzte Test gegen Lettland hat gezeigt, dass die deutsche Mannschaft in dieser Konstellation durchaus effektiv sein kann. Eine Qualität die Jogis Jungs lange vermissen ließen.
6. Standards nutzen
Standardsituationen werden im Fußball mitunter noch immer unterschätzt. Allerdings werden gerade die großen und engen Duelle häufig genau dadurch entschieden. Beim Aufeinandertreffen in Brasilien 2014 war es beispielsweise Mats Hummels, der die Viertelfinal-Partie nach einem Kroos-Freistoß per Kopf entscheiden konnte.
Es ist definitiv nicht undenkbar, dass auch am Dienstag wieder eine Standardsituation über Sieg oder Niederlage entscheidet. Mit Toni Kroos und Antonie Griezmann haben beide Nationen Spezialisten, die sowohl direkt, als auch als Vorlagengeber entscheidende Standards ausführen können.
In puncto Kopfballstärke nehmen sich die Teams nicht wirklich viel. Auf deutscher Seite ist die komplette Innenverteidigung, bestehend aus Hummels, Ginter und Rüdiger kopfballstark. Zudem sind auch Gosens, Müller und Havertz deutlich über 1,80 Meter groß. Für Kopfballtore kommen vor allem Hummels, Ginter und Müller infrage.
Frankreich selbst hat mit Benzema und Pogba zwei starke Waffen für den Offensiv-Kopfball. Für die Viererkette gilt das nicht unbedingt, jedoch ist das Quartett ebenfalls defensiv stark in der Luft.
Nach Standardsituationen werden demnach einige spannende Schlachten geschlagen werden. Hiervon muss das Team von Joachim Löw die Mehrzahl gewinnen. Gut, dass das auch Löw erkannt zu haben scheint. In der Vorbereitung standen Standars auf dem Trainingsplan. Das war bei den Turnieren davor nicht immer der Fall...