EM-Euphorie "völlig losgelöst" - Die Gewinner und Verlierer beim DFB-Team
- Viele Gewinner bei den Siegen gegen Frankreich und der Niederlande
- Nagelsmann scheint die richtige Mischung gefunden zu haben
- Vor allem die Nicht-Nominierten gehören zu den Verlierern
Von Simon Zimmermann
"Im Kontrollzentrum, da wird man panisch. Der Kurs der Kapsel, der stimmt ja gar nicht" - heißt es im neuen Kult-Song der deutschen Nationalmannschaft. Ähnlich wie bei 'Major Tom' schien auch das DFB-Team völlig vom Kurs abgekommen zu sein.
Doch dann kamen der März und die beiden Siege gegen Frankreich und die Niederlande. Plötzlich passen die Song-Zeilen "Die Erdanziehungskraft ist überwunden. Alles läuft perfekt, schon seit Stunden" und "Effektivität bestimmt das Handeln. Man verlässt sich blind auf den andern" deutlich besser.
"Völlig losgelöst" ist die EM-Euphorie nach den Auftritten am vergangenen Samstag und Dienstag. Nachdem sich ein ganzes Land bereits von seiner wichtigsten Fußball-Mannschaft abgewendet zu haben schien, herrscht jetzt wieder Hoffnung und Mut. Da geht doch was bei der Heim-EM im Sommer!
Bundestrainer Julian Nagelsmann scheint endlich die richtige Mischung gefunden zu haben. Lothar Matthäus drückte schon vor dem 2:1 gegen Oranje auf die Euphorie-Tube und forderte - halb ernst, halb im Scherz - den EM-Titel.
Es brauch wenig Phantasie um zu erkennen, dass diese beiden EM-Härtetests viele Gewinner hervorgebracht haben. Doch wo Licht ist, ist auch Schatten - und damit einige Verlierer. Oder frei nach 'Major Tom': Akteure, die vom Kurs abgekommen sind.
Die Gewinner im DFB-Team
Toni Kroos
Steilpass- statt Querpass-Toni! 266 Ballkontakte verteilt auf zwei Spiele, ein Assist nur sieben Sekunden nach dem Comeback und absolute Chef-Leistungen. Keine Frage: Diesen Toni Kroos hat Deutschland schmerzlich vermisst. Der 34-Jährige ist sofort wieder der Anführer im deutschen Team geworden und hat deutlich gemacht, dass seine Rückkehr die goldrichtige Entscheidung war.
Schön zu sehen, dass Kroos spät in seiner Karriere endlich auch in der Heimat die Anerkennung erfährt, die er verdient hat.
Maximilian Mittelstädt
Wer vor einem Jahr darauf gewettet hätte, dass Maxi Mittelstädt als Stamm-Linksverteidiger zur EM fährt, der hätte viel Geld verdienen können. Im Sommer 2023 stieg der 27-Jährige mit Jugendklub Hertha BSC ab und war dabei nicht mal unangefochtener Stammspieler. Es folgte der Wechsel zum VfB und eine Leistungsexplosion, die kaum jemand erwartet hatte.
Julian Nagelsmann bezeichnete ihn bei der Nominierung als aktuell einen der besten Linksverteidiger Europas. In beiden Spielen stand Mittelstädt in der Startelf und dürfte nun auch für die EM als erste Wahl eingeplant sein.
Defensiv zeigte der VfB-Verteidiger zwar einige Schwächen, im Spiel nach vorne hatte er aber tolle Aktionen. Höhepunkt war natürlich sein Traumtor zum 1:1 gegen Oranje. Dass Mittelstädt seinen Debüt-Treffer nur wenige Minuten nach seinem Fehler zum 0:1 erzielte, spricht für seinen Charakter.
Insgesamt scheint er gut zur neuen, selbstbewussten Ausrichtung zu passen. Seine Unbekümmertheit und Ballsicherheit tun dem deutschen Offensivspiel gut. Steigert er sich defensiv noch ein wenig, gibt es hinten links mit Blick auf die EM keine Probleme mehr.
Jonathan Tah und Antonion Rüdiger
Vor den Härtetests machte Nagelsmann deutlich, dass Tah und Rüdiger als gesetztes Innenverteidiger-Duo in die Spiele gehen. Beide haben diesen Status eindrucksvoll untermauert. In Frankreich spielte Deutschland endlich mal wieder zu Null. Und auch gegen Oranje zeigten sich beide zweikampfstark und aufmerksam. Gerade bei Abwehrchef Rüdiger war das im DFB-Trikot zuvor nicht immer der Fall.
Bleiben Tah und Rüdiger in Form, haben wir wieder ein stabiles Abwehrzentrum!
Robert Andrich
Pascal Groß oder Robert Andrich hießen im Vorfeld die Kandidaten für die Rolle neben Kroos auf der Doppelsechs. Der Leverkusener bekam schließlich in beiden Spielen den Vorzug. Vor allem in Frankreich war Andrich neben Kroos überragend und harmonierte richtig gut mit dem Real-Star. Ganz so überragend war Andrich dann gegen die Niederlande zwar nicht, dennoch zeigte er erneut eine mehr als ordentliche Vorstellung. Seine Mentalität und seine Intensität in den Zweikämpfen tun dem DFB-Team gut. Und auch mit dem Ball kann sich Andrich nahtlos ins Kombinationsspiel einfügen. Gegen Oranje kamen alle seiner 48 Pässe an!
"Wirtziala"
Dass Florian Wirtz und Jamal Musiala offensiv unsere größten Hoffnungsträger sind, war schon lange klar. Doch vor allem bei Wirtz machte es im DFB-Dress noch nicht so richtig "klick". Nach wenigen Sekunden in Lyon schien der Ballast vom Leverkusener Jungstar abgefallen zu sein. Erleichtert freute er sich im Anschluss über seinen ersten A-Länderspiel-Treffer.
Auch Jamal Musiala spielte gegen Les Bleus stark. Die wichtigste Erkenntnis: Wirtz und Musiala zusammen - das funktioniert. Das Zusammenspiel der beiden sollte in Richtung EM eher noch besser werden. Gegen Oranje spielten zwar beide eher unglücklich. Die Edeltechniker hatten aber auch mit dem "katastrophalen Rasen" (O-Ton Nagelsmann) zu kämpfen.
Ganz klar: Vor "Wirtziala" fürchtet sich jeder Gegner!
Julian Nagelsmann
Die beiden Spiele haben natürlich weitere Gewinner hervorgebracht. Kai Havertz etwa hat sich erstmal die Rolle als Nummer eins im Sturm gesichert. Auch einige Joker konnten Pluspunkte sammeln.
Insgesamt kann aber der Bundestrainer als der wohl größte Gewinner bezeichnet werden. Er hat in seinem März-Kader bewusst auf eine Mischung aus formstarken Spielern und Akteuren, die ohne Murren in die zweite Reihe gehen, gesetzt.
Heraus kam eine Zusammenstellung, bei der man das Gefühl hat, dass alle endlich wieder an einem Strang ziehen. Mit diesem Kader kann die EM-Euphorie wieder wachsen.
Zwar machte Nagelsmann die EM-Tür für die Nicht-Nominierten noch nicht zu. Viel wolle er aber nicht mehr ändern, betonte der Bundestrainer. "Wenn alle fit sind, dann werden wir im Sommer keine zehn Spieler austauschen. Auch keine fünf. Vielleicht nur ein bis zwei."
Die beiden erfolgreichen Spiele geben ihm Recht!
Die Verlierer im DFB-Team
Marc-André ter Stegen
Aus ter Stegens Sicht ist es zum Haareraufen (von denen er viele hat - aber das ist ein anderes Thema). Konstant Weltklasse bei Barça, konstant hinter Neuer im DFB-Team. Das ist das Los des 31-jährigen Keepers. Gegen Frankreich und die Niederlande präsentierte sich MAtS wieder stark. An seiner Rolle als Nummer zwei bei der EM wird das aber nichts ändern. Nagelsmann hat seine Entscheidung getroffen!
Kevin Trapp
Mit Kevin Trapp zählt auch ein Torhüter zu den Verlierern, der gar nicht im Kader stand. Eigentlich hätte man fest davon ausgehen können, dass der Eintracht-Kapitän in der Rangordnung hinter Neuer und ter Stegen die klare Nummer drei ist. Dass Nagelsmann trotz des Heim-Länderspiels in Frankfurt auf Trapp verzichtet, ist ein klarer Fingerzeig. Nach den beiden erfolgreichen Tests wird der Bundestrainer kaum geneigt sein, im Sommer nochmals zu wechseln. Zumal die Nummer drei vorrangig dafür da ist, das Trainingsniveau hochzuhalten und für gute Stimmung zu sorgen.
Den dritten Torhüter-Platz bei der EM dürften Oliver Baumann und Bernd Leno unter sich ausmachen.
Der BVB-Block
Mit Niclas Füllkrug stand nur ein Spieler von Borussia Dortmund im Aufgebot. Während sich "Lücke" vorerst mit der Joker-Rolle abfinden muss und das augenscheinlich auch tut, schauten Hummels, Süle, Schlotterbeck, Can, Brandt und Adeyemi die Spiele im TV.
Schwer vorstellbar, dass sich das im Sommer ändern wird. Es bräuchte schon überragende Leistungen der nicht nominierten Dortmunder bis Saisonende. Und ein gleichzeitiges Schwächeln der Konkurrenten um die Kaderplätze.
Leon Goretzka
Ähnliches gilt auch für Leon Goretzka. Der Verzicht auf den Bayern-Star wurde zunächst viel kritisiert. Schließlich zeigte Goretzka im Vorfeld aufsteigende Form. Die Frage nach den beiden März-Länderspielen ist jetzt: Wo ist für Goretzka überhaupt noch Platz?
Kroos ist fest gesetzt. Daneben haben Andrich und Groß die Nase vorn. Offensiver setzt Nagelsmann auf Kapitän Gündogan. Mit Leroy Sané wird noch ein weiterer Offensivspieler hinzukommen. In der Rangordnung ist Goretzka sogar noch hinter Teamkollege Aleksandar Pavlovic gefallen, der wegen einer Mandelentzündung passen musste.
Mit Blick auf die Zusammenstellung und Rollenverteilung im Kader scheint für Goretzka schlicht kein Platz!
Jan-Niklas Beste
Der 25-Jährige war eine der dicken Überraschungen im März-Kader, musste allerdings früh verletzt abreisen. Mutmaßlich wäre es die eine große Chance für den Heidenheimer-Shootingstar gewesen, sich ernsthaft um ein EM-Ticket zu empfehlen.
Nach den beiden Spielen muss man sich aber fragen: Bekommt Beste diese Chance nochmal? Vor und für die EM eher nicht. Mit Mittelstädt, Raum und Henrichs hat Nagelsmann drei Linksverteidiger-Kandidaten. Offensiv ist Wirtz gesetzt, Führich der erste Backup - und Sané kommt auch noch dazu.
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