Road to EM 2020: Was macht Jogi Löw mit Ilkay Gündogan?
Von Dominik Hager
Spieler des Monats im Januar, Spieler des Monats im Februar und zwölf Premier-League-Saisontore sprechen eine klare Sprache: Ilkay Gündogan spielt eine absolut überragende Saison für Manchester City. Als Spielgestalter, Passgeber und mittlerweile auch als Torjäger ist er unverzichtbar für das Team von Pep Guardiola. Wer für vielleicht beste Team der Welt unverzichtbar ist, sollte dies ja eigentlich auch für die taumelnde DFB-Elf sein. So einfach ist es jedoch beileibe nicht.
90min wirft während der Länderspielpause einen ausführlichen Blick auf den aktuellen Kader der deutschen Nationalmannschaft und stellt die einzelnen Spieler in einer kleinen Serie vor. Dabei betrachten wir die bisherigen Erfolge und ordnen die Chancen der Profis in Bezug auf eine Teilnahme an der EM 2020 ein.
Die deutsche Nationalmannschaft leidet an einer enorm ungleichmäßigen Verteilung an Topspielern. Während Joachim Löw im Sturmzentrum, auf den beiden Außenverteidigerpositionen und (selbstverschuldet) auch in der Innenverteidigung internationale Topspieler fehlen, gibt es im Mittelfeld zu viele davon. Zu nennen wären hier in erster Linie Toni Kroos, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, aber auch ein Florian Neuhaus, Kai Havertz und womöglich auch wieder Thomas Müller. Wo bleibt da also Platz für Ilkay Gündogan?
Führt an Kimmich, Goretzka und Kroos überhaupt ein Weg vorbei?
Vergessen wir erst einmal die Offensivspieler Kai Havertz und Thomas Müller, die wohl nur in einem 4-2-3-1-System infrage kommen und bewerten die Situation in einem 4-3-3-System. Hier gaben in der Nationalmannschaft zuletzt Toni Kroos, Joshua Kimmich und Leon Goretzka den Ton an. Prinzipiell aus gutem Grund. So ergänzen sich die drei Mittelfeldspieler perfekt.
Als Dirigent Toni Kroos, der mit seiner Spielintelligenz und Passstärke aus der Zentrale die Fäden zieht. Als Gegenpart dazu Leon Goretzka, der als Box-to-Box-Spieler die Wege geht, die der weniger dynamische Kroos nicht gehen kann und will. Mit seiner Athletik, Torgefahr und Zweikampfstärke bringt er weitere gefragte Qualitäten ins Mittelfeld, die ohne ihm fehlen würden. Hinzu käme mit Joshua Kimmich einer der stärksten Mittelfeldspieler der Welt, der bei den Bayern glänzend mit Goretzka harmoniert und einen echten Allrounder abgibt.
Kurzum: Ein Mittelfeld, bestehend aus Kimmich, Goretzka und Kroos ist eigentlich im Weltfußball kaum zu toppen. So präsentierte sich auch der häufig kritisierte Kroos zuletzt in guter Form und ist bei Löw ohnehin gesetzt.
Überangebot im Mittelfeld: Rückt Kimmich wieder in die Abwehrkette?
Im 4-3-3 gäbe es für Gündogan also nur eine Chance, wenn Kimmich auf die Position des Rechtsverteidigers rutscht. Zwar hat Löw eigentlich längst klargemacht, dass er den Bayern-Star im Mittelfeld sieht, so könnte der überragende Gündogan dies aber nochmal ändern. Klar ist jedenfalls, dass die Nationalelf keinen Rechtsverteidiger im Kader hat, der annähernd so gut ist wie Kimmich auf dieser Position. Umgekehrt betrachtet, ist der Bayern-Spieler zwar im Mittelfeld wohl noch wichtiger als Gündogan, jedoch ist der ManCity-Star fast auf Augenhöhe.
Dass Kimmich als Außenverteidiger und Goretzka im Mittelfeld mit einem spielstarken Partner funktioniert, haben wir bereits beim Champions-League-Triumph der Bayern gesehen. Ein Unterschied wäre da aber doch. So sind die derzeitigen Optionen in der linken Verteidigung mit Robin Gosens und Phillip Max defensiv anfällig. Zwar gilt auch Alphonso Davies bei den Bayern als eher offensiv orientiert, dennoch kann er dank seiner Schnelligkeit den einen oder anderen Stellungsfehler ausbügeln.
Demnach funktioniert das Duo Kimmich und Davies zwar bei den Bayern, so könnte eine Kombination aus Gosens und Kimmich aber entschieden zu defensivschwach sein. Besser wäre es also, als Counterpart von Kimmich einen defensivstarken Außenverteidiger zu haben. Rüdiger, Süle und Ginter könnten das machen, sind jedoch allesamt Rechtsfüße.
Einen Tod muss Joachim Löw also ohnehin sterben. Fragt sich nur, welcher der angenehmste ist.
Fragezeichen um Thomas Müller: Er könnte die Rolle von Gündogan gefährden
Werfen wir mal das 4-3-3 über Bord und betrachten ein mögliches 4-2-3-1-System. Dies ist eigentlich unwahrscheinlich, zumal im zentralen Mittelfeld die Kombination einerseits Kimmich & Goretzka lauten müsste, andererseits Toni Kroos aber gesetzt ist. Hier wäre also anzunehmen, dass entweder Goretzka oder Kroos auf die Zehnerposition rücken würde. Doch in dieser Rolle wäre man geneigt zu sagen, dass ein Ilkay Gündogan tatsächlich sowohl stärker als Goretzka als auch stärker als Kroos ist. Da allerdings keiner der drei Stammspieler auf der Bank sitzen dürfte, bestände nur wieder die Möglichkeit, Kimmich nach rechts hinten zu ziehen.
Doch während sich Gündogan im Falle eines 4-3-3 als sicherer Stammspieler betrachten könnte, tauchen hier zwei weitere Namen auf. Diese lauten Kai Havertz und Thomas Müller. Während das Duell mit Kai Havertz, aufgrund dessen mäßiger Saison, an Gündogan gehen dürfte, ist die Sachlage in Bezug auf Müller komplizierter. Dieser spielt eben auch eine ganz starke Saison und inzwischen gehen auch die meistern davon aus, dass der 31-Jährige in die Nationalelf zurückkehren wird. Vermutet wird zudem, dass er in diesem Fall einen Stammplatz inne hat - für einen Bankplatz muss man ihn schließlich nicht zurückholen.
Die im Verein funktionierende Dreierreihe, bestehend aus Gnabry, Müller und Sané, auseinanderzureißen, scheint ohnehin wenig sinnvoll. Allerdings darf man nicht vergessen, dass es in der Nationalelf keinen Robert Lewandowski gibt. Demnach könnte Müller also sogar ganz nach vorne rücken und Platz für einen Mittelfeldspieler machen. Auch wenn der 31-Jährige eigentlich kein Mittelstürmer ist, so gilt auch hier das Prinzip "einen Tod muss man sterben".
Die deutsche Nationalmannschaft strotzt also nur so vor Luxusproblemen, aber eben auch Schwachstellen. Einen Ilkay Gündogan im Kader zu haben, kann da sicherlich nicht schaden. Ob er dann auch von Beginn an spielt, muss Joachim Löw entscheiden. Zu beneiden ist er hierfür nicht.
Ilkay Gündogans bisherige Erfolge im Überblick:
- deutscher Double-Gewinner mit dem BVB 2012
- zweifacher englischer Meister mit Manchester City
- FA-Cup-Sieger 2019 mit Manchester City
- 42 Länderspiele für Deutschland