Der Tag ist gekommen: Lasset die Spiele beginnen

Ganz so voll wird es heute leider nicht
Ganz so voll wird es heute leider nicht / Ian MacNicol/Getty Images
facebooktwitterreddit

In den mittlerweile Jahrzehnte zurückliegenden Tagen meiner Kindheit gab es ganz bestimmte Tage, an denen ich morgens schon ganz anders aus dem Bett stieg, als an anderen. Da wäre natürlich der persönliche Ehrentag, qua Geburt, zu nennen. Oder auch der 24. Dezember, an dessen Morgen sich die Perspektive einer vorabendlichen Geschenkeflut (neben dem tollen Essen!) eröffnete. Auch der erste Ferientag war immer etwas Besonderes.

Doch während diese Tage wohl auch bei den meisten meiner Altersgenossen, egal ob Männlein oder Weiblein, sehr hoch im Kurs standen, gab es für mich noch zusätzlich zwei besondere Daten.

Besonders waren sie schon allein deshalb, weil sie immer nur im zweijährlichen Wechsel daherkamen. Es waren dies die Tage des Eröffnungsspiels einer Welt- oder (wie jetzt!) Europameisterschaft.

Nachdem man sich wochenlang über die diversesten Sonder-Hefte mit Informationen über das jeweilige Starterfeld des Turniers versorgt hatte, hatte der Eröffnungstag diesen quasi-feierlichen Charakter einer Ankunft nach langer Suche.

Dabei ging es mit selbigem ja erst richtig los. Doch vorbei waren nunmehr die ganzen Theorien und Prognosen: ab dem Tag X galten nur noch die Geschehnisse auf dem Rasen. Und die wichen nicht selten von den Einschätzungen der sogenannten Experten ab.

Tage mit Überraschungspotential

Wie in meinem ganz persönlichen Fall. Mein "erstes Mal" war die WM 1982 in Spanien. Wie bei allen World Cups zuvor, begann auch dieses Turnier mit dem ersten Gruppenspiel des Titelverteidigers, der damals Argentinien hieß und von einem Wunderkind namens Diego Armando Maradona (selig möge er ruhen!) angeführt wurde.

Und schon dieser Auftakt (im Nou Camp zu Barcelona) sollte eine Sensation bringen, als die nur unter "ferner liefen" gehandelten Belgier durch einen Treffer von Erik Vandenbergh den haushohen Favoriten mit 1:0 bezwangen.

Bei der WM 1990 sollte die Südamerikaner (diesmal gegen Kamerun) dasselbe Schicksal ereilen, wie auch zwölf Jahre später das gegenüber der Heim-WM vier Jahre zuvor gealterte und in sich zerstrittene Frankreich (gegen Senegal).

Dieser Übergang von abstrakter Erwartungshaltung, basierend auf Vorhersagen der einschlägigen Fachpresse, in die faktischen Gegebenheiten der Realitäten auf dem grünen Rasen, war es, der den Tag eines Eröffnungsspiels charakterisierte, ihn zu etwas Besonderem machte.

Und man konnte diesen besonderen Status sogar auf alle Starter des Turniers ausweiten. Somit gab es eigentlich in der ersten Woche so viele "Eröffnungsspiele" wie es teilnehmende Nationen gab.

Heute, drei Jahre nach dem letzten Eröffnungsspiel eines großen Fußball-Turniers (zwischen Russland und Saudi-Arabien bei der WM 2018), ist wieder so ein Tag. Und tatsächlich fühlt er sich, trotz Corona und seiner Folgen, wieder ein bisschen so an, wie früher.

Wenn der erste Ferientag erreicht war. Oder der Geburtstag. Oder halt eine WM oder EM ihren Auftakt nahm.

Und auch heute könnte eine der beiden Mannschaften, die ab 21.00 Uhr im Stadio Olimpico in Rom aufeinandertreffen, wieder für eine erste Überraschung sorgen. Denn eigentlich gelten die Italiener, zumal mit dem Heimvorteil im Rücken, gegen die Türkei als klarer Favorit. Auch eingedenk ihrer beeindruckenden Serie von zuletzt 27 Spielen in Folge (!) ohne Niederlage.

Doch die Squadra Azzurra sei gewarnt. Die Vergangenheit hat es gezeigt: der Tag eines Turnierauftaktes birgt nicht selten Überraschungen. Genau deshalb ist er ja ein ganz besonderer Tag.