Aus im Achtelfinale: Fünf Gründe für das erneute Scheitern der DFB-Elf
Von Dominik Hager
Viel früher als erwartet und erhofft muss sich das DFB-Team nach dem verlorenen Achtelfinale gegen England vom EM-Turnier verabschieden. Nach der verpatzten WM 2018 gelang es Joachim Löw und seinem Team nicht, die Lücke zu den Top-Nationen zu schließen. Dieses Unternehmen scheiterte insbesondere an diesen fünf Punkten.
1. DFB-Elf weder mutig noch besonnen
Hansi Flick fuhr beim FC Bayern mit seinem Team stets eine klare Linie. Das Spiel war stets auf Angriff und auf das Tore schießen ausgerichtet, während man gegen den Ball mit einem geschlossenem und aggressivem Pressing auf frühe Ballgewinne setzte.
Joachim Löw hätte diese Taktik 1:1 übernehmen können, zumal er Pressing-Leader Thomas Müller und sieben weitere Münchner im Kader hatte, die diese Spielweise perfekt beherrschen. Insbesondere gegen die Engländer war hiervon aber gar nichts zu sehen. Eine klare taktische Herangehensweise war generell überhaupt nicht zu erkenn.
Das DFB-Team spielte weder wirklich offensiv noch defensiv. Es gab kein wirkliches Pressing, jedoch hat man sich auch nicht hinten eingeigelt und auf Konter gesetzt. Nichts Halbes und nichts Ganzes also, oder besser gesagt eine "Wischi-Waschi-Taktik", wie sie im Buche steht. Löw hat hier schlichtweg keine klare Linie gewählt.
Entweder hätte er, wie Hansi Flick, Mut zeigen müssen und sein Team offensiv ausrichten sollen, oder aber in konservativer und ergebnisorientierter Southgate-Manier den Laden hinten dicht machen müssen. Mit insgesamt sieben Gegentoren klappte letzteres schließlich auch nicht.
2. Löw bleibt stur beim 3-4-3-System
Bereits vor der EM konnte die DFB-Elf im 3-4-3-System nur bedingt überzeugen. Joachim Löw ließ sich jedoch nicht davon abringen, die Formation bis zum Ende durchzuziehen. Ein Umstand, der Bild-Redakteur Christian Falk böse aufgestoßen ist.
"Man hat zähneknirschend mit einem System gespielt, dass die Mannschaft nie angenommen hat. Das war eine Idee von Joachim Löw. Da war er stur und da wollte er nicht raus und die Spieler haben es akzeptiert. Es war immer im Hinterkopf, dass es sein letztes Turnier war und dann eh Hansi Flick kommt, weshalb es keine Revolte gab. Wenn man aber ein wenig reingehört hat, spielt ein Kimmich dort ungern und warum lässt man einen Müller nicht dort spielen, wo er bei Bayern geglänzt hat", wundert sich Falk.
Natürlich ist es grundlegend schon mal schlecht, wenn ein Team nicht hinter einer vom Trainer angedachten Formation steht. Noch schwieriger wird es, wenn die Akteure zum Teil falsch eingesetzt werden. Thomas Müller besitzt einfach nicht das Skill-Set für halblinks und diese Spielphilosophie.
Zudem hat der 31-Jährige seine Stärken eindeutig in einem Pressing-System. Löw hat Müller jedoch so eingesetzt, dass ihm viele Stärken genommen wurden. Hinterher kann man sagen, dass Löw Müller entweder wie bei den Bayern hätte einsetzen müssen oder ihn gar nicht zurückholen hätte sollen.
Joshua Kimmich wurde auf der rechten Seite komplett verschenkt, weil die gegnerischen Teams, abgesehen von den Portugiesen, den deutschen Schienenspielern gar keinen Platz gelassen haben. Auch hier hat es Löw verpasst, entscheidend einzugreifen. Wenn, wie im England-Spiel, klar zu sehen war, dass das gegnerische Team Kimmich und Gosens nicht zum Zug kommen lässt, dann benötigt es einen Plan B.
Dieser wäre eine Umstellung vom 3-5-2 auf ein 4-3-3 oder 4-2-3-1 gewesen. Hierzu hätte man lediglich einfach und unkompliziert Kimmich ins Mittelfeld und Ginter in die Rechtsverteidigung ziehen können.
3. Lediglich Havertz überzeugt: Deutsche Offensive zum Teil ein Totalausfall
Abgesehen vom Portugal-Spiel war die Offensiv-Leistung des deutschen Teams mau. Gelungene Dribblings oder Kombinationen waren fast über die gesamte Turnierdauer nicht zu sehen. Oftmals wirkten die Spieler ein wenig verloren gegen zum Teil tief stehende Gegner und wussten gar nicht, wohin mit ihren Läufen.
Doch neben dem taktischen Aspekt gilt es hierbei auch die Spieler zu kritisieren. Der einzige überzeugende Offensiv-Akteur war eigentlich Kai Havertz. Der Chelsea-Star hatte Selbstvertrauen und war an nahezu jeder gefährlichen Aktion beteiligt.
Bei Werner, Müller, Gnabry und Sané lief aber praktisch gar nichts zusammen. Während es bei den beiden Erstgenannten mehr (aber nicht nur) eine Systemfrage war, haben Gnabry und Sané in erster Linie individuell enttäuscht.
Beide agierten in ihren Aktionen extrem ungenau und blieben im Eins-gegen-Eins völlig wirkungslos. Letztlich stimmten Form und Selbstvertrauen bei beiden Kickern nicht. Demnach hätte Joachim Löw mehr auf Jamal Musiala setzen müssen, zumal es schlichtweg Spieler braucht, die auch erfolgreich zwei, drei Gegenspieler stehen lassen können.
4. Das warten auf den neuen Miroslav Klose: Die Nummer 9 fehlte mal wieder
Das Dilemma der fehlenden klaren Spitze begleitet uns inzwischen locker seit vier, fünf Jahren. Genauso lange ist die DFB-Elf auch weitgehend erfolglos unterwegs. Miroslav Klose konnte in all den Jahren niemand ersetzen. Selbst Mario Gomez fehlt dem Team als gefährlicher Torjäger und präsente Nummer 9.
Leider gibt es tatsächlich keinen wirklich geeigneten Spieler für die Sturmspitze, weshalb man diesbezüglich wohl auf Youssoufa Moukoko hoffen muss. Bei der EM stand zumindest Kevin Volland im Kader, der jedoch erstaunlicherweise in seinen wenigen Minuten über die Außenbahn kam.
Die schwachen individuellen Offensivleistungen lagen sicherlich auch an der fehlenden klaren Spitze, da die Räume dadurch kleiner und die Anspieloptionen weniger werden. Selbst wenn ein Stürmer das ganze Spiel nicht in Erscheinung tritt, ist er oftmals wichtig, weil er einfach Gegenspieler auf sich zieht.
Dies macht beim FC Bayern Robert Lewandowski, weshalb sich Müller und Gnabry besser entfalten können. Es ist Löw kein so großer Vorwurf zu machen, da hierzulande einfach kein Stürmer zu finden ist, der nur ansatzweise über die Fähigkeiten des Weltfußballers verfügt. Eine Erklärung für das frühe Aus ist es dennoch.
5. Harmlose Standards
Was im Jahr 2014 noch so gut funktioniert hat und uns 2018 zumindest gegen Schweden rettete, klappte bei dieser EM überhaupt nicht mehr. Unter dem Strich traf die DFB-Elf kein einziges Mal nach einem Standard und wurde auch kaum einmal gefährlich. Dies gilt sowohl für die direkten, als auch für die indirekten Situationen.
An guten Positionen hätte es eigentlich nicht gemangelt. Im Achtelfinalspiel gegen England hatte die DFB-Elf gleich zwei Freistöße in absoluter Tor-Nähe. Gerade in Spielen, in denen der Gegner wenig zulässt, müssen solche Situationen auch mal ausgenutzt werden.
In der abgelaufenen Bundesliga-Saison haben Werder Bremen und der SC Freiburg laut Kicker-Angaben 50 Prozent ihrer Tore nach Standards erzielt. Werte, die zeigen, wie effektiv ruhende Bälle im Fußball sein können. Alles weitere ist eine Frage der Ausführung und diese war beim DFB-Team fast immer schlecht.