Gut für Deutschland? Die EM startet in der K.o.-Phase neu
Von Stefan Janssen
Die erste Hälfte des Achtelfinals der Euro 2020 ist gespielt und an zwei Beispielen lässt sich wieder besonders gut erkennen: Die Gruppenphase bedeutet nach dem Weiterkommen gar nichts mehr. Das könnte für Deutschland eine gute Nachricht sein.
Was haben uns die Italiener in der Gruppenphase nicht begeistert! Mit 3:0 wurden die Türken und Schweizer aus dem Stadio Olimpico geschossen, danach folgte zum Abschluss ein 1:0 gegen Wales mit besserer B-Elf. Italien brillierte mit mutigem Offensivfußball und aggressivem Verhalten gegen den Ball. Von Catenaccio keine Spur. Dazu diese Inbrunst bei der Hymne - herrlich.
Doch im Achtelfinale erinnerte lediglich noch das Vortragen der Hymne an die Gruppenphase der Italiener, das Spiel gegen Österreich dagegen eher weniger. Der Außenseiter wurde mit zunehmender Dauer immer stärker und verpasste nur um ein paar Zentimeter Abseits den Sieg nach 90 Minuten. Nach Verlängerung gewann dann doch Italien, doch der haushohe EM-Favorit nach den ersten drei Spielen ist erst einmal wieder ein wenig heruntergeholt worden.
Die Niederlande stürzt völlig ab
Ähnlich erging es den Niederländern, doch mit weitaus dramatischerem Ausgang. Während Italien im Viertelfinale steht, fährt Oranje nach Hause. Die Niederlande hatte in der Gruppenphase ebenfalls überzeugt, alle ihre Spiele gewonnen, gegen die vor allem defensiv eingestellten Ukrainer, Österreicher und Nordmazedonier acht Tore geschossen und vor allem im Angriffsspiel brilliert. Ja, es waren nicht die stärksten Gegner, dennoch war es sehr ansehnlich.
Im Achtelfinale gegen Tschechien dann? Nichts mehr davon zu sehen. Die Elftal versprühte kaum Offensivgeist, fand gegen defensiv stark arbeitende Tschechen anders als noch in der Gruppenphase keine Lösungen und kam kaum zu Torchancen. Plan B? Fehlanzeige. Nach der Roten Karte gegen Matthijs de Ligt ging es dann komplett dahin, nun sind die Niederländer draußen.
Was sagt uns das? Die Gruppenphase hat für den weiteren Verlauf des Turniers keinerlei Bedeutung. Es geht einzig und allein ums Weiterkommen, bestenfalls verschafft man sich damit sogar noch eine gute Ausgangsposition für die K.o.-Phase. Womit wir bei der deutschen Mannschaft wären, die gleich beides geschafft hat: In der "Todesgruppe F" wurde sie Zweiter und landete so im auf dem Papier leichteren Turnierbaum, in dem es jetzt nur ein einziges Spitzenteam gibt: England, den Gegner im Achtelfinale.
Wir alle kennen diesen Mythos von der "Turniermannschaft", aber er ist eben auch wahr. Das zeigt auch die Historie: Schaffte die DFB-Elf in diesem Jahrtausend den Sprung in die K.o.-Phase, ging es danach immer mindestens ins Halbfinale.
Deutschland: Hauptsache im Achtelfinale
Es war mehr schlecht als recht, was Deutschland in der Gruppe gezeigt hat und es hätte gegen Ungarn auch schief gehen können. Doch das alles zählt jetzt nicht mehr, entscheidend ist, dass es am Ende gereicht hat. Und jetzt gibt es nur noch Alles oder Nichts, gewinnen oder ausscheiden. K.o.-Modus eben, ein völlig anderes Turnier, die EM ist quasi mit 16 Teams neu gestartet.
"Wir sind einfach nur erleichtert, dass wir es als Gruppenzweiter geschafft haben, uns zu qualifizieren. "
- Manuel Neuer
Das soll nicht heißen, dass man erwarten sollte, dass Deutschland am Dienstag bereits den schönsten Fußball aller Zeiten zeigt. Es kann aber heißen, dass die Mannschaft jetzt ins Rollen kommt, weil die größte Blamage abgewendet wurde. Vielleicht löst sich eine gewisse Verkrampfung, vielleicht ist man auch einfach für die K.o.-Phase gemacht.
Eines dürfen wir dabei aber nicht vergessen: Auch England würgte sich mehr oder weniger durch die Gruppe und hat erst zwei Tore geschossen. Auch für die Three Lions ist es am Dienstag ein Neuanfang. Für einen der beiden ist es aber gleichzeitig auch das frühe Ende eines neuen Turniers.