Ein Wechselbad der Gefühle: Der VfL Wolfsburg im Umbruch
Von Adriana Wehrens
Schiebt der Verein die Notwendigkeit auf Veränderung dadurch nur auf oder erwarten uns im Sommer womöglich noch weitere Überraschungen? Nach der mittlerweile so gut wie abgeschriebenen Meisterschaft in dieser Saison liegt es nun am VfL, zu alter Stärke zurückzufinden und den Vormarsch des FC Bayern zu stoppen.
Ein Wechselbad der Gefühle - so könnte man wahrscheinlich treffend die Gefühlslage eines jeden Wolfsburg-Fans während der letzten paar Wochen und Monate beschreiben. Mit dabei waren Höhen wie der Einzug in das DFB-Pokalfinale, die Vertragsverlängerungen von gestandenen Spielerinnen und die Verpflichtung von neuen Akteurinnen als Perspektive für die Zukunft. Dem gegenüber stehen - wenn nicht sogar signifikantere - Tiefen: Die so gut wie hergegebene deutsche Meisterschaft, der Abgang von Starspielerin Lena Oberdorf zum großen Konkurrenten und nun soll es auch noch Toptorschützin Ewa Pajor nach Spanien ziehen.
Ein Tiefschlag nach dem anderen
Die Saison 2023/24 stand für die Wölfinnen schon von Beginn an unter keinem guten Stern. In der Champions-League-Qualifikation scheiterte die Mannschaft von Tommy Stroot an Überraschungsteam Paris FC und verpasste dementsprechend den Einzug in die Gruppenphase - und das, obwohl man einige Monate zuvor noch im Finale gegen den FC Barcelona aufgelaufen war. Gefolgt ist eine nicht gerade konstante Hinrunde, in der man sich im November dem direkten Konkurrenten aus München knapp mit 1:2 geschlagen geben musste.
Und auch wenn der VfL nach der Winterpause spielerisch besser zu überzeugen wusste, folgte am 15. Februar die Nachricht, die ganz Fußball-Deutschland in Aufregung versetzte: Leistungsträgerin Lena Oberdorf wird sich ab der kommenden Saison dem FC Bayern München anschließen. Dass diese Ankündigung ein herber Schlag für den Verein war, ist da noch untertrieben. Denn Oberdorf ist nicht nur im zentralen Wolfsburger Mittelfeld immer gesetzt, sondern die 22-Jährige hat sich über die vergangenen Jahre zu einer Spielerin mit Weltformat entwickelt, die als eines der populärsten Gesichter des deutschen Fußballs gilt.
Im direkten Duell mit ihrem neuen Arbeitgeber verloren Oberdorfs Wölfinnen erneut. Auch wenn der 0:4-Endstand den eigentlichen Spielverlauf nicht ganz abbildet, waren es doch wieder die Bayern, die sich durchsetzen konnten und die Meisterschaft dadurch so gut wie entschieden haben. Die nächste (und vorerst letzte) Hiobsbotschaft folgte in Form von Ewa Pajor. Die polnische Angreiferin, die derzeit die Torschützenliste der Frauen-Bundesliga anführt, soll im Sommer nach Informationen der AZ/WAZ einen Wechsel zum FC Barcelona anpeilen. Ganz überraschend kommt diese Nachricht nicht, denn Pajor war zuvor schon mehrfach in Verbindung mit einem Transfer ins Ausland gebracht worden. Hinzu kommt der Abschied von Verteidigerin Dominique Janssen, die es in der kommenden Saison nach England zieht.
Zwischen Umbruch und Festhalten an alten Strukturen
Hervorgehend aus diesen Entwicklungen machte der Begriff "Wachablösung" die Runde, denn nach Jahren der Dominanz im deutschen Fußball - sieben Meisterschaften und zehn DFB-Pokalsiege in den letzten elf Jahren - sieht es derzeit nicht mehr allzu rosig in Wolfsburg aus. Auch wenn die Wölfinnen im vergangenen Jahr das Finale der Königinnenklasse erreichten und den Pokal gewannen, beendete Stroots Team die Saison auf Platz zwei. Ein ähnliches Schicksal droht auch in dieser Spielzeit, denn aktuell liegt der VfL mit ganzen sieben Punkten Abstand hinter den Bayern.
Dass man jetzt schon von einem Machtwechsel in Form einer Wachablösung sprechen kann, erscheint etwas verfrüht. "Ich hasse dieses Wort, ganz ehrlich", erklärte Wolfsburg-Kapitänin Alexandra Popp beim Finalistentalk vor dem Pokalfinale. "Eine Wachablösung ist erst dann eine Wachablösung, wenn du über Jahre konstant Titel holst. Das haben wir geschafft." Und doch kündigt sich der Beginn ebendieser an, sollte der VfL jetzt nicht handeln.
Während bei den Münchnerinnen seit Neuestem in Top-Transfers investiert wird und sich die spielerische Ausrichtung unter Trainer Alexander Straus weiterentwickelt hat, sind beide Aspekte bei Wolfsburg eher eine Fehlanzeige. Zwar kann man sich regelmäßig die Dienste von aufstrebenden Spielerinnen der Bundesliga-Konkurrenten sichern - siehe z.B. Chantal Hagel, Vivien Endemann und neuerdings auch Janina Minge (SC Freiburg) - und doch bleiben die ganz großen Coups aus. Das Geld dafür wäre ja eigentlich vorhanden, denn häufig wechseln die Spielerinnen ablösefrei in die Autostadt. Hinzu kommen hohe Transfererlöse aus den vergangenen Jahren, etwa für Pernille Harder, Jill Roord bzw. in diesem Sommer für Oberdorf und Pajor.
Ein weiterer unter den Fans stark verbreiteter Kritikpunkt betrifft die Spielweise der Wölfinnen unter Stroot. Demnach habe die Mannschaft über die vergangenen Saisons keine allzu große Entwicklung durchlaufen und sich stattdessen auf die altbewährten Stärken verlassen. Gerade in der Verteidigung des VfL sind deutliche Defizite zu erkennen, wenn es gegen stärkere Gegnerinnen auf internationalem Niveau geht. Der Gegenüber ist mittlerweile in der Lage, die Mannschaft leichter auszurechnen.
Ein weiterer Kritikpunkt beinhaltet, dass einige der jungen Spielerinnen zu wenig zum Zug kommen. So haben Neuzugänge wie Fenna Kalma oder Riola Xhemaili lange keine große Rolle gespielt, erst seit den letzten Spieltagen kommen die jungen Wilden zu mehr Spielzeit. Um solche Spielerinnen nachhaltig zu integrieren, benötigen sie ebendiese Einsätze, um den Übergang in Zukunft flüssiger gestalten zu können.
Lichtblicke? - Verlängerungen und Neuverpflichtungen
Bei all der Schwarzmalerei gab es vor kurzem aber auch positive Nachrichten bei Wolfsburg. Sowohl Svenja Huth als auch Marina Hegering - beides Leistungsträgerinnen mit viel Erfahrung auch auf internationaler Ebene - verlängerten beim VfL um ein Jahr. Es kommt hinzu, dass Spielerinnen wie Endemann und Brand mittlerweile voll integriert sind und langsam aber sicher ihr ganzes Potenzial ausschöpfen können, was auch für die Wolfsburger Offensive der Zukunft essentiell sein wird.
Zudem konnte man bereits Janina Minge für das zentrale Mittelfeld gewinnen. Und auch Caitlin Dijkstra, die derzeit noch an Twente Enschede ausgeliehen ist, wird die Wolfsburger Verteidigung verstärken. Es kommt hinzu, dass in dieser Spielzeit weiterhin die Chance auf eine Trophäe besteht. Im DFB-Pokalfinale am 9. Mai werden die Wölfinnen erneut auf den FCB treffen und erhalten die Möglichkeit, die Kritiker zum Schweigen zu bringen.
Trotz allem bleibt ein Fragezeichen hinter einigen Personalien, spätestens zum Sommer 2025. Denn dann laufen bei einer ganzen Reihe an Spielerinnen die Vertragspapiere ab, darunter Popp, Hegering, Huth, Hendrich, Frohms, Wilms, Lattwein, Jónsdóttir und mehr. Vor allem bei den älteren Akteurinnen scheint es unwahrscheinlich, dass sie im Anschluss noch ein Jahr dranhängen, sondern den Verein in anderer Funktion weiterbegleiten werden. Demnach muss sich vor allem in der Verteidigung etwas tun.
Die Wölfinnen haben in diesem Sommer und über die kommende Saison die Chance, den Umbau voranzutreiben, um auf diese Weise weiterhin als Topklub zu gelten. Geschieht das nicht, könnte schon bald die Quittung kommen.
Die Wölfinnen der Zukunft
Denn an junger Qualität fehlt es im Wolfsburger Kader nicht, allerdings muss die Integration rechtzeitig und nachhaltig betrieben werden. Für die Defensive stehen Camilla Küver, Janina Minge sowie Caitlin Dijkstra auf dem Papier. Bei der Offensive hat die Inkludierung von Lena Lattwein, Vivien Endemann, Jule Brand und Sveindis Jonsdottir bereits gut geklappt. Hinzu kommen Riola Xhemaili und Fenna Kalma. Die größte Herausforderung wird es werden, diese Charaktere zu einer neu erstarkten Einheit zusammenzubauen.
So könnte sich Wolfsburg nach einem Umbruch aufstellen
Tor: Merle Frohms
Verteidigung: RV Lynn Wilms, IV Camilla Küver, IV Caitlin Dijkstra, LV Nuria Rábano
Mittelfeld: RZM Lena Lattwein, ZM Janina Minge, LZM Riola Xhemaili
Angriff: RS Jule Brand/Vivien Endemann, ST Fenna Kalma, LS Sveindís Jónsdóttir