"Diebstahl" in der Champions League: VAR-Diskussionen reißen nicht ab - Deutsche im Fokus
Von Guido Müller
Auch mehr als drei Jahre (hierzulande) nach seiner Einführung leidet der VAR (bzw. seine korrekte Anwendung) weiterhin an Kinderkrankheiten. Zwei Beispiele dafür gab es in den in dieser Woche gespielten Hinspielen im Champions-League-Achtelfinale. In beiden Fällen standen deutsche Schiedsrichter-Gespanne im Blickpunkt.
Zum einen war da das Tor von Olivier Giroud beim Gastspiel des FC Chelsea in Budapest (das als Ausweichstandort für das für Briten mit einem Einreiseverbot belegte Madrid herhalten musste) gegen Atlético Madrid.
Nach einem Zweikampf im Atlético-Strafraum zwischen Hermoso und Mount kam der Ball zu Giroud, der den in der Luft schwebenden Ball per sehenswertem Fallrückzieher ins Gehäuse von Jan Oblak schoss. Tolles Tor! Führung der Gäste! Oder doch nicht?
Denn schon bald darauf bekam Platzschiedsrichter Felix Brych eine Meldung aus dem VAR-Keller. Marco Fritz hatte seine Bedenken. Bald stellte sich heraus, dass es nur darum gehen konnte, ob nun Mount oder Hermoso vor Oliviers Kunstschuss als Letzter am Ball gewesen war.
Viel zu viel Zeit für Entscheidungsfindung
So weit, so gut. Das Protokoll war in Gang gesetzt und die 22 Spieler auf dem Platz sowie die Millionen Fans vor den Bildschirmen warteten auf die sicher bald feststehende Entscheidung der Unparteiischen.
Doch weit gefehlt: eine Minute ging ins Land, eine weitere verstrich, Brych machte, Kopf nach unten und Finger am Headset, einen Schlenker hier hin, einen anderen da hin. Noch eine Minute ging vorüber - und über die Außenmikrophone wurde der Ärger wohl aller Beteiligten nun immer hörbarer.
Warum dauert das bloß so lange? Auch die Spieler wurden immer unruhiger, blickten flehentlich auf den Referee, der mit dem VAR-Keller irgendwie nicht zu einer Einigung kam.
Dann wurde das Tor doch gegeben - und relativ schnell war auch Sky mit geeignetem Bildmaterial zur Stelle. Selbst bei flüchtiger Betrachtung wurde eigentlich sehr schnell deutlich, dass nur Hermoso den Ball gespielt hatte. Warum nun ein Sachverhalt, der nach wenigen Sekunden zu klären gewesen wäre, mehrere Minuten Zeit in Anspruch genommen hat, dürfte das Geheimnis von Fritz und Brych bleiben.
Warum schritt der VAR in Bergamo nicht ein?
Noch ärgerlicher, wenn auch aus anderen Gründen, wurde es am Tag darauf beim Spiel Atalanta Bergamo gegen Real Madrid. Ein Pass in die Tiefe, ein Laufweg Mendys, der in den Strafraum eindringen will und ein regelwidriges Einschreiten des Atalanta-Spielers Freuler kurz vor dem Strafraum.
Das war die Ausgangslage. Warum nun Tobias Stieler, zufälligerweise auch Deutscher, daraus eine Letzte-Mann-Situation und aus dem Foul eine mit Rot zu ahndende Notbremse machte, erschloss sich selbst nach der fünften Wiederholung nicht.
Denn Mendys Laufweg war eher nach außen gerichtet, also vom Tor weg, als er sich den Ball vorlegte und unmittelbar darauf von Freuler unsanft zu Boden gebracht wurde. Fast auf selber Höhe Freulers waren zudem noch zwei weitere Atalanta-Verteidiger zugegen.
Es wurde hier also keine klare Torchance (regelwidrig) verhindert, und es gab auch keine Notbremse (oder Letzter-Mann-Situation), wie sie Stieler gesehen haben will. Gelbe Karte, Freistoß für Real - das wäre die einzig richtige Entscheidung gewesen.
Doch fast noch unverständlicher ist die nachgelieferte Begründung (für das Nicht-Einschreiten des VAR), dass es sich ja nicht um eine klare Fehlentscheidung gehandelt habe. Nach 17 Minuten in einem Champions-League-Achtelfinale numerisch in Unterzahl zu sein, ist eine genau so große Benachteiligung wie ein zu unrecht aberkanntes Tor (oder anerkanntes Gegentor).
Und somit analog als klare Fehlentscheidung zu werten. Jede nicht geahndete Abseitsposition, selbst im Nanobereich, wird regeltechnisch als klare Fehlentscheidung gewertet. Warum dann nicht auch eine solch offensichtlich falsche Einschätzung des Feldschiedsrichters wie in dieser Szene in Bergamo?
Das Spiel war danach jedenfalls stark beeinträchtigt. Schade um ein schönes Fußballspiel. Das es hätte werden können, wenn sowohl Stieler Fingerspitzengefühl hätte walten lassen als auch Video-Schiedsrichter Bastian Dankert seiner Teilaufgabe, Ungerechtigkeiten zu verhindern, nachgekommen wäre.
Nach diesen Vorkommnissen muss man leider konstatieren, dass auch mit dem VAR Schiedsrichterentscheidungen weiter für viel Diskussionsstoff sorgen. In Italien sprechen sie, freilich etwas über das Ziel hinausschießend, sogar von Diebstahl.