Die Unter-Performer von der BayArena!
Von Guido Müller
Wieder einmal scheint die Saison für Bayer Leverkusen nicht den erhofften Verlauf zu nehmen. Mittlerweile muss man konstatieren, dass dies unter dem Bayer-Kreuz zur Gewohnheit wird. Woran liegt es?
kicker-Sonderheft Saison 2017/18: "Im weiterhin weit überdurchschnittlichen Kader liegt hohes Offensivpotential." Die Bayer-Elf wird am Ende Fünfter.
kicker-Sonderheft Saison 2018/19: "Der Kader hat an Breite gewonnen und stellt bereits ein Team dar." Mit diesem breiteren Kader reicht es am Ende mit Ach und Krach zum vierten Rang und der Qualifikation für die Champions League.
kicker-Sonderheft Saison 2019/20: "Gewinnt der Kader gegenüber dem Trainingsauftakt noch an Breite und gelinge es Bosz, die Ajaxierung seiner Mannschaft fortzuführen, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Vierte der Vorsaison für noch mehr Furore sorgt." Am Ende kommt Bayer wieder nicht über den einen fünften Rang hinaus.
Geschäftsführer Carro de Prada vor der laufenden Saison: "Ich will regelmäßig um Titel spielen." Aktuell liegen die Werkskicker auf dem sechsten Rang, den heißen Atem von Klubs wie Union Berlin und Freiburg (die am Sonntag in Leverkusen 2:1 gewannen) im Nacken.
Vier Zitate, drei von der Fachpresse, eines von einem der Vereinsverantwortlichen - und viermal konnte die spätere Entwicklung nicht mit den Prognosen und Zielsetzungen mithalten.
Titel-Träume für diese Saison schon wieder vorzeitig ausgeträumt
Von den Titel-Träumen haben sie sich auch in dieser Spielzeit mal wieder vorzeitig verabschiedet. Die Meisterschale ist in etwa so weit entfernt, wie der 1.FC Kaiserslautern von der Rückkehr in die Bundesliga, und die Titel, um die man in dieser Saison hätte spielen können (DFB-Pokal und Europa League) wurden durch indiskutable Auftritte gegen Rot-Weiss Essen und Young Boys Bern einfach weggeworfen.
Doch passieren tut rund um die BayArena - nichts! Keine aufweckende Brandrede irgend eines Verantwortlichen, keine verbale Reaktion vonseiten der Spieler. Wobei: deren Glaubwürdigkeit würde angesichts der zuletzt dargebotenen Leistungen auf dem Feld auch auf fast schon satirische Weise konterkariert werden. Vielleicht ist es momentan tatsächlich besser, den Mund zu halten.
Denn regelmäßig vom Ankündigungs-Riesen zum Umsetzungs-Zwerg zu mutieren, stärkt natürlich nicht die eigene Glaubwürdigkeit.
Einen neutralen Beobachter muss die ganze Gemengelage rund um den 1904 gegründeten Klub mittlerweile stark an abschreckende Beispiele wie den besagten FCK oder auch den Hamburger SV oder - ganz aktuell - Schalke 04 erinnern.
Auch diese mittlerweile in die unteren Gefilde des deutschen Vereinswesens abgerutschten Klubs verharrten (oder verharren) zu lange in der eigenen, sich selbst nährenden Blase - und vergaßen darüber offensichtlich die Entwicklungen links und rechts von sich.
Wohlfühloase Bayer Leverkusen?
Das Stichwort: Wohlfühloase - es dürfte nun auch im Umfeld von Bayer Leverkusen zu einem Schlagwort werden, mit dem der Versuch unternommen wird, dieses Phänomen der Diskrepanz zwischen eigenem Anspruch und faktischer Ausbeute irgendwie zu erklären.
Wie man es auch dreht und wendet: die Ausbeute, was Titel betrifft, ist bei Bayer Leverkusen seit dem Jahr 1993 absolut unbefriedigend. Man staunt geradezu, dass der letzte Triumph dieses Klubs aus einer Zeit stammt, in der die neugestaltete Champions League gerade ihre ersten Schritte unternahm und Mannschaften wie Wattenscheid 09, 1. FC Saarbrücken, Bayer Uerdingen und Kaiserslautern (da sind sie wieder!) die Bundesliga bevölkerten.
Bezeichnenderweise bekleckerten sich auch damals, im Mai 1993, die kickenden Bayer-Angestellten nicht gerade mit Ruhm, um der bis dato einzigen Trophäe im Vereinsmuseum (der UEFA-Pokal von 1988) eine weitere (DFB-Pokal) hinzuzufügen. Mit Mühe und Not gewann der Bundesligiste gegen die Amateure von Hertha BSC mit 1:0. Der Schwatte hatte mal wieder die Kastanien aus dem Feuer geholt.
Seit 28 Jahren ohne Titel!
Schon bald, in nur zwei Jahren, jährt sich dieses Datum zum 30. Mal. Ein Drittel eines Jahrhunderts ohne jeden Titel. Fünf Vize-Meisterschaften in diesem Zeitraum (1997, 1999, 2000, 2002 und 2011) sprechen zwar von einer gewissen Klasse - doch alle, die noch die Bilder von Unterhaching 2000 oder Nürnberg 2002 im Kopf haben, wissen: nicht die Konkurrenten aus München oder Dortmund haben diese Meisterschaften gewonnen, sondern Bayer sie verloren.
Der Begriff "Vize-Kusen" macht seitdem die Runde. Und hat auch im Jahr 2021 nichts von seiner Gültigkeit verloren. Wobei: was würden sie in diesem Jahr wohl dafür geben, wenigstens the best from the rest zu sein? Aus dem ehemaligen Schmäh-Wort ist mittlerweile ein Traum geworden, dem man mit jährlich größer werdendem Abstand hinterherhechelt.
Man hat den Eindruck, dass sie sich in Leverkusen mittlerweile komfortabel eingerichtet haben in einer Mischung aus einem gewissen sportlichen Anspruch, genügend vorhandenen finanziellen Ressourcen und einer immer wiederkehrenden Bequemlichkeit, die sich von der Führungsetage bis auf den Platz zieht.
Auch die laufende Spielzeit wird Bayer ohne Titel beenden. Und das trotz Transferausgaben von über 140 Millionen Euro allein in den letzten beiden Sommer-Transferfenstern. Ob es nur an der schier endlosen Verletzungsmisere liegt?