Die Schalke-Saison im Rückblick: Von Euphorie über große Sorgen - Momente, Spiele, Neuanfang
Von Yannik Möller
Eine Saison für Schalke, die schlussendlich fast so zermürbend war, wie die vorige Spielzeit inmitten des Abstiegskampfes. Bemerkenswert, dass über nicht allzu kleine Phasen sogar von der Champions League gesprochen wurde. Dieser Zwiespalt definiert die abgelaufene S04-Saison, auf die wir durch verschiedene Kategorien einen genauen Blick werfen.
Wer hoch fliegt, kann tief fallen. Die ersten Münzen wandern schon früh ins Phrasenschwein, wenn der Rückblick auf die Saison aus den Augen des FC Schalke 04 bemüht wird. Im Erfolg und Misserfolg spaltet sich diese Spielzeit ebenso wie in Hinrunde und Rückrunde, genauso wie in Euphorie und Unmut.
Der Saisonbeginn: Typische Schalke-Euphorie, aber tatsächlich begründet
Geht man einen chronologischen Schritt durch die Saison, wird logischerweise am für Königsblau positiven Start begonnen. Nach einem 0:0-Unentschieden gegen Borussia Mönchengladbach und einem schlussendlich ärgerlichen 0:3 gegen den FC Bayern kam keine Unruhe auf, sondern Mut und vorsichtiger Optimismus. Das lag nicht an den bis dato fehlenden Punkten, sondern an den mutigen und engagierten Auftritten der Mannschaft unter dem neuen Trainer David Wagner.
Was sich angesichts der beiden Ergebnisse komisch anhört, war ein Fakt: Das Team erarbeitete sich zunächst Sicherheit und Stabilität, erlangte zudem das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten wieder, nachdem sich die vorige Saison durch Unsicherheit und Angst ausgezeichnet hatte. Was folgte, war eine erste Erfolgsserie aus vier Siegen, u.a. gegen den damaligen Tabellenführer RB Leipzig - und das sogar relativ ungefährdet, überzeugend und verdient.
Einen ersten Knackpunkt bekam die S04-Saison durch ein 0:0-Remis im Derby gegen Borussia Dortmund, nachdem man zuvor zwei Spiele nicht gewonnen hatte. Die Dortmunder boten sich als ein extrem ungefährlicher Gegner für leicht eingeknickte Schalker an, die dieses nette Angebot nicht annehmen konnten. Neben etwas Fortüne in so manchen Aktionen fehlte schlussendlich vor allem eins, gegen einen wirklich sehr schwachen BVB: Die klaren Torchancen. Ein Thema, das sich wiederholen und eine eigene Linie werden sollte - doch dazu später mehr.
Nach dem Derby konnten die Knappen zwar noch glücklich gegen den FC Augsburg gewinnen, aber auch nur dank Standard-Situationen und einer starken Einzelaktion von Amine Harit, der zu diesem Zeitpunkt regelrecht aufblühte. Mit ihm folgte später eine enorm wichtige Vertragsverlängerung. Der Rest der Hinrunde war zwar rein punktemäßig noch erfolgreich; spielerisch hingegen war bereits ein deutlicher Bruch zu erkennen. Überzeugend und allzu sicher waren die Auftritte nicht mehr.
Eine Rückrunde zum Vergessen: Der totale Schalke-Absturz mit vielen Gründen
Die Rückrunde mitsamt dem katastrophalen und gar historischen Absturz lässt sich trotz der Komplexität vergleichsweise einfach und schnell erklären. Nach dem erfolgreichen 2:0-Auftakt gegen harmlose Gladbacher herrschte erneut Euphorie, die jedoch sehr bald durch ein altes wie regelmäßiges Problem beim S04 eingefangen wurde: Viele Verletzte, die ungewöhnlich lange fehlten.
Salif Sané und Benjamin Stambouli verletzten sich bereits in der zweiten Hälfte der Hinrunde, konnten jedoch nicht zur frühen Rückrunde - wie zunächst erwartet - wieder einsteigen. Über die weiteren Wochen fielen auch die sehr wichtigen Suat Serdar und Omar Mascarell aus, zwischendurch noch Amine Harit, Ozan Kabak oder Weston McKennie - nicht nur oder erst zur Rückrunde, aber einen erheblichen Teil dieser zweiten Saisonhälfte.
Schnell wurde damit einhergehend der Fokus auf Safety First gelegt: David Wagner sicherte selbst gegen stark verunsicherte Teams wie Fortuna Düsseldorf nur noch ab, die Offensive, die ohnehin schon sehr große Probleme hatte, Torchancen zu erspielen, kam quasi komplett zum Erliegen. Junge, unerfahrene Spieler, die zuvor wenig Spielpraxis erhalten hatten, leisteten sich Fehler, die nicht kompensiert werden konnten. Michael Gregoritsch als Verstärkung funktionierte nicht, Jean-Clair Todibo musste das ein oder andere Spiel aussetzen.
Wagner geriet Woche für Woche, Spiel für Spiel, aber auch Pressekonferenz für Pressekonferenz in die Kritik. Viele Fans konnten es nicht leiden, dass der Coach seine Mannschaft als "nicht konkurrenzfähig" betitelte, sich regelmäßig selbst aus der Schusslinie nahm, und die wirklich schwierige Verletztenmisere als nahezu einzigen Grund für schlechte Spiele erklärte. Die 16 Spiele ohne Sieg sind eine außergewöhnliche Negativserie.
Saison-Fazit: S04 ohne Europa-Ziel - Spielidee-Entwicklung aber verpasst
Trotz der an Punkten gemessenen erfolgreichen Hinrunde war die Champions League oder die Europa League nie das klar von oben kommunizierte Ziel. Natürlich liebäugelte so mancher Spieler damit, auch einige Fans hätten das europäische Geschäft - nicht zuletzt wegen finanzieller Vorzüge - gerne mitgenommen.
Das grundlegende Ziel für die erste Saison unter Wagner als Coach, eine gefestigte und zu Schalke passende Spielidee zu entwickeln und diese zu etablieren, ist in der Gesamtbetrachtung fehlgeschlagen - das Ziel wurde nicht erreicht, die Rückrunde wurde zur reinen Frustration. Viel wird sich seitens des Trainers und auch von Sportvorstand Jochen Schneider auf die gute Hinrunde verlassen, als die Mannschaft noch beinahe geschlossen zur Verfügung stand. Ein Ansatz, der mutig ist und eventuell belohnt wird - aber auch einer, der früh in der nächsten Saison in die Hose gehen kann.
Weitere Nebenkriegsschauplätze wie die Kapitäns-Diskussion um Alex Nübel, dessen Abgang oder die desaströse Kommunikation in der Coronakrise könnten ein eigenes Buch schreiben. Insgesamt machten sie die Stimmung nur noch kritischer.
Die Auszeichnungen der S04-Saison
1. Das beste Spiel
Viele Fans sind der Meinung, dass die Hinrunden-Partie gegen RB Leipzig das beste Spiel der Saison war. Der 3:1-Sieg war, wie bereits erwähnt, ein verdienter und auch taktisch erarbeiteter Erfolg. Schalke war in den Zweikämpfen präsent, ließ Leipzig kaum zu Chancen oder Räumen kommen, und nutzte das eigene Umschaltspiel sehr gut aus.
Das Ecken-Tor war einstudiert, der Elfmeter durch Willen und Gier gewonnen, der dritte Treffer perfekt eingeleitet durch Suat Serdar, souverän ausgespielt von Amine Harit und Rabbi Matondo.
2. Das schönste Tor
In der Schlussphase gegen Mainz 05 stand es 1:1, Schalke drängte vor heimischem Publikum auf den Sieg. Viel sprach für ein Unentschieden, auch, weil Königsblau nicht mehr allzu gefährlich in den gegnerischen Sechzehner dringen konnte.
Harit war es schlussendlich, der durch ein starkes Dribbling in die passende Position für einen sehr gut getroffenen Außenrist-Schuss kam. Diesen setzte er, für drei wichtige Punkte, in die linke Ecke. David Wagner jubelte so sehr, dass er zunächst in die falsche Richtung lief.
3. Der beste Neuzugang
Das mutige Investment von 15 Millionen Euro in Ozan Kabak hat sich definitiv ausgezahlt. Der junge Innenverteidiger gilt als eines der größten Abwehr-Talente seiner Generation - warum das so ist, hat er schon häufig unter Beweis stellen können.
Sein abgeklärtes, ruhiges und zweikampfbetontes Spiel sorgte oft für Freude. In der Regel gab es an dem 20-Jährigen kein Vorbeikommen. Durch eine hohe Ausstiegsklausel wird Schalke definitiv einen guten Gewinn mit ihm erzielen, auch wenn er gerne noch länger bleiben dürfte.
4. Erst unterschätzt, dann gewertschätzt
Als klar wurde, dass Schalke den Briten Jonjoe Kenny ausleihen würde, sahen so manche Fans eher einen Backup hinter Daniel Caligiuri in ihm. Schon in der Saisonvorbereitung zeichnete sich ab, dass der junge Rechtsverteidiger zum Stammpersonal gehören würde. Diesen Status konnte er beibehalten: 31 von 34 Spielen konnte er in der Liga absolvieren.
5. Das schmerzhafteste Spiel
Im Verlauf der Rückrunde gab es zahlreiche negative, schmerzhafte und sogar peinliche Momente. Das 0:3 gegen den 1. FC Köln hingegen war gefühlt ein weiterer Einschnitt in dieser Abwärtsspirale. Zuvor war der S04 zwar schon gegen Leipzig unter die Räder geraten (0:5), aber gegen den Effzeh dermaßen ohne Gegenwehr abgefertigt zu werden, hat allen weh getan. Nübel stand mit seinem Riesen-Patzer im Fokus.
6. Die Debütanten der Saison
Wenn man sich auf Schalke auf einen positiven Aspekt in jeder Saison verlassen kann, dann ist es das Nachrücken diverser junger Talente aus der Knappenschmiede. Fünf Youngster (Bozdogan, Becker, Mercan, Hofmann, Thiaw) kamen darüberhinaus zu ihren Bundesliga- und damit Profi-Debüts. Besonders Can Bozdogan hinterließ als Spielmacher einen guten Eindruck aus Ballgefühl, Selbstbewusstsein und Technik. Er wird in der kommenden Saison im Profi-Kader stehen.