Die besten Teams der EM-Geschichte seit 2000 - Griechenland bei der EM 2004
- Die EM 2004 ist erst die dritte Turnier-Teilnahme einer griechischen Mannschaft
- Otto Rehhagel führt die Mannschaft zum sensationellen Triumph
- Auf dem Weg zum Titel Frankreich, Tschechien und Portugal besiegt
Von Hendrik Gag
Bereits die Qualifikation für die Europameisterschaft 2004 war für die griechische Nationalmannschaft ein Riesenerfolg. Es war überhaupt erst das dritte Mal, dass die Südeuropäer an einem Turnier teilnahmen, zuvor erreichte die Mannschaft nur die Endrunde der EM 1980 und der WM 1994. Die Bilanz: Ein Punkt aus sechs Spielen, ein Torverhältnis von 1:14.
Entsprechend fuhren die Griechen als klarer Außenseiter nach Portugal. Die Mannschaft hatte zwar eine überzeugende Qualifikation gespielt und ihre Gruppe sogar vor Spanien gewonnen, dennoch war für die meisten Experten klar: Auch beim dritten Turnier ist nach der Vorrunde Schluss. Es sollte jedoch ganz anders kommen.
In der 90min-Serie 'Die besten EM-Teams seit 2000' blicken wir auf insgesamt acht Mannschaften, die im neuen Jahrtausend die Geschichte der Europameisterschaft geprägt haben. Welche Nation hatte die beste Mannschaft auf dem Platz - unabhängig davon, ob es am Ende für den Titel gereicht hat?
Griechenland bei der EM 2004 - Die Sensation
Nach der verpassten Qualifikation zur WM 2002 verpflichtete der griechische Verband einen neuen Trainer: Otto Rehhagel. Der Deutsche konnte auf eine ruhmreiche Karriere zurückblicken. 14 Jahre lang (1981-1995) war er Trainer von Werder Bremen gewesen. Mit den Grün-Weißen wurde er zweimal deutscher Meister (1988, 1993) und holte 1992 den Europapokal der Pokalsieger.
Anschließend ging er zum FC Bayern. In München scheiterte Rehhagel jedoch, nicht einmal eine ganze Saison saß er auf der Bayern-Bank. Zur Saison 1996/97 übernahm er den 1. FC Kaiserslautern. Eine überraschende Entscheidung, die Pfälzer waren gerade aus der Bundesliga abgestiegen. Rehhagel führte die Mannschaft zum direkten Wiederaufstieg und holte in der ersten Saison im Oberhaus sensationell die Meisterschaft.
Im September 2000 folgte jedoch sein Rücktritt. Anschließend wurde über sein Karriereende spekuliert, Rehhagel war mitterweile 62 Jahre alt. Anstatt in den Ruhestand ging es für Rehhagel jedoch nach Griechenland.
Der griechische Verband sah in ihm den perfekten Nationaltrainer. Seit Jahren kämpfte die Nationalmannschaft mit dem Einfluss der drei rivalisierenden Hauptstadtklubs Panathinaikos, AEK und Olympiakos Piräus. Nur ein erfahrener, ausländischer Trainer sei in der Lage, sich davon freizumachen und das Bestmögliche aus den Spielern zu holen, so die Meinung der Bosse.
Rehhagel gab seinen Spielern das Motto mit, dass die Nationalmannschaft an erster Stelle stehen müsse. Bei der EM setzte er auf insgesamt 15 Spieler der drei Athener Klubs. Komplettiert wurde das Aufgebot von acht Legionären.
Der Kader Griechenlands 2004
Tor
- Antonios Nikopolidis (Panathinaikos)
- Konstantinos Chalkias (Panathinaikos)
- Fanis Katergiannakis (Olympiakos Piräus)
Abwehr
- Georgios Seitaridis (Panathinaikos)
- Stylianos Venetidis (Olympiakos Piräus)
- Nikos Dabizas (Leicester City)
- Traianos Dellas (AS Rom)
- Panagiotis Fyssas (Benfica Lissabon)
- Ioannis Goumas (Panathinaikos)
- Michalis Kapsis (AEK Athen)
Mittelfeld
- Angelos Basinas (Panathinaikos)
- Theodoros Zagorakis (AEK Athen)
- Stelios Giannakopoulos (Bolton Wanderers)
- Vasilios Tsiartas (AEK Athen)
- Pantelis Kafes (Olympiakos Piräus)
- Georgios Georgiadis (Olympiakos Piräus)
- Giorgos Karagounis (Inter Mailand)
- Konstantinos Katsouranis (AEK Athen)
- Vassilis Lakis (AEK Athen)
Sturm
- Angelos Charisteas (Werder Bremen)
- Demis Nikolaidis (Atletico Madrid)
- Zisis Vryzas (AC Florenz)
- Dimitrios Papadopoulos (Panathinaikos)
Der Weg bei der EM
Bei der EM war Griechenland direkt zu Beginn gefordert, die Mannschaft bestritt das Eröffnungsspiel des Turniers gegen Gastgeber Portugal im Estadio do Dragao in Porto. Das Team um Luis Figo und den 19-jährigen Cristiano Ronaldo galt zu diesem Zeitpunkt als die talentierteste Mannschaft der portugiesischen Geschichte, vor eigenem Publikum sollte endlich der erste Titel her. Die Griechen zogen der Euphorie jedoch schnell den Stecker. In der siebten Minute traf Giorgos Karagounis zum 1:0, in der 51. Minute legte Angelos Basinas per Elfmeter nach. Auch der erste Turniertreffer von Cristiano Ronaldo in der Nachspielzeit konnte nichts mehr am Ausgang der Partie ändern.
Trotz des sensationellen Auftaktsieges stand das Weiterkommen anschließend noch einmal auf der Kippe: Es folgten ein 1:1 gegen Spanien und eine 1:2-Niederlage gegen Russland. Portugal gewann seine zwei verbleibenden Spiele und wurde Gruppenerster, Griechenland und Spanien waren punktgleich und hatten beide ein Torverhältnis von 0. Da die Griechen jedoch vier Treffer erzielten und Spanien nur zwei, stand die Mannschaft von Otto Rehhagel im Viertelfinale.
Dort wartete Frankreich. Der Titelverteidiger war wild entschlossen, die Schmach der WM 2002, als die Mannschaft nach der Gruppenphase ausschied, wiedergutzumachen. Besonders offensiv brachte die Equipe Tricolore eine Qualität mit, die ihresgleichen suchte. Superstar Zinedine Zidane zeigte sich auch im Herbst seiner Karriere immer noch in beeindruckender Verfassung, in der Gruppenphase bog er einen 0:1-Rückstand gegen England im Alleingang mit zwei Treffern in der Nachspielzeit zu einem 2:1-Sieg um. Stürmer Thierry Henry hatte in der abgelaufenen Premier-League-Saison satte 30 Treffer erzielt und mit dem FC Arsenal ungeschlagen den Titel gewonnen.
Rehhagels Antwort: Voller Fokus auf die Defensive. Zidane und Henry wurden in Manndeckung genommen, die Null sollte stehen. Vorne lag die Hoffnung auf Standardsituationen und vereinzelten Nadelstichen. Mit Erfolg: Die griechische Defensive nervte die französischen Superstars. Bis zur 65. Minute stand es 0:0, dann brach Theodoros Zagorakis auf dem rechten Flügel durch und brachte eine punktgenaue Flanke auf den Kopf von Angelos Charisteas. Der köpfte ein, es sollte das einzige Tor des Tages bleiben. Griechenland hatte tatsächlich Frankreich aus dem Turnier geworfen!
Im Halbfinale lautete der Gegner Tschechien. Die Osteuropäer waren die bis dato beste Mannschaft des Turniers und spielten einen beeindruckenden Offensivfußball. In der Gruppenphase hatte die Mannschaft spektakulär mit 3:2 nach 0:2-Rückstand gegen die Niederlande gewonnen, im Viertelfinale wurde Dänemark mit 3:0 nach Hause geschickt.
Rehhagel setzte erneut auf die Defensivtaktik, die bereits gegen Frankreich funktioniert hatte. Der Plan schien jedoch zu Beginn nicht erneut aufzugehen, die Tschechen fuhren einen gefährlichen Angriff nach dem anderen - nur, um am Ende am überragenden Keeper Antonios Nikopolidis zu scheitern. Nach rund 40 Minuten kam der Bruch im Spiel: Der amtierende Ballon d'Or-Sieger Pavel Nedved verdrehte sich bei einem Schussversuch das Knie und musste ausgewechselt werden. Die tschechische Offensive kam zum Erliegen, es ging mit 0:0 in die Verlängerung.
Dort schlug die Stunde des Traianos Dellas. Der 1,97m große Innenverteidiger stieg in der Nachspielzeit der ersten Hälfte bei einer Ecke am höchsten und bezwang Petr Cech per Kopf. Da die EM 2004 mit Silver Goal gespielt wurde, war der Treffer gleichbedeutend mit der Entscheidung. Griechenland stand im Finale!
Im Endspiel kam es zum Re-Match gegen Portugal. Der Gastgeber hatte sich von dem frühen Schock erholt und England und die Niederlande auf dem Weg ins Finale ausgeschaltet. Erneut waren die Portugiesen der klare Favorit, erneut rührte Otto Rehhagel den Beton an. Und erneut war es eine Standardsituation, die das Spiel entschied. In der 57. Minute machte der Bremer Angelos Charisteas die Sensation perfekt. Nach einer Ecke von Basinas war Charisteas vor dem herausstürmenden portugiesischen Keeper Ricardo am Ball und köpfte ins leere Tor ein. Portugal startete anschließend Sturmlauf um Sturmlauf, jedoch ohne Erfolg, Nikopolidis zeigt sich einmal mehr in einer bärenstarken Verfassung und wurde zum Helden. Erneut waren die portugiesischen Fans und die gesamte Fußball-Welt geschockt. Griechenland war Europameister!
Die Topelf Griechenlands bei der EM 2004
TW: Antonios Nikopolidis - Einer der Schlüsselspieler beim Titelgewinn. Sorgte mit zahlreichen überragenden Paraden dafür, dass in jedem K.o.-Spiel die Null stand. Vor der EM hatte er sich kontroverserweise für einen Wechsel zu Olympiakos Piräus entschieden. Zuvor hatte er 15 Jahre lang für Panathinaikos gespielt. Die Panathinaikos-Fans booten ihn bei der Meisterschaftsfeier aus.
RV: Georgios Seitaridis - Nur auf dem Papier war Seitaridis der griechische Rechtsverteidiger. Damit, wie die Position im modernen Fußball gespielt wird, hatte seine Rolle in der K.o.-Phase jedoch wenig zu tun. Er nahm meist einen gegnerischen Stürmer in Manndeckung und beteiligte sich kaum an den Angriffen seiner Mannschaft.
IV: Michalis Kapsis - Auch Kapsis wurde regelmäßig mit Manndecker-Aufgaben beauftragt. Zeigte besonders im Finale eine überragende Leistung, wo er dem Kicker zufolge der Spieler auf dem Platz war. Wechselte nach der EM von AEK Athen zu Girondis Bordeaux. Nach nur einer Saison in Frankreich kehrte er nach Griechenland zurück, zu Olympiakos Piräus.
IV: Traianos Dellas - Der 1,96m große Dellas spielte bei der EM einen Ausputzer, wie er im modernen Fußball komplett aus der Mode gekommen war. Hinter drei Manndeckern war er das freie Element, das alles abräumte. Sein Treffer gegen Tschechien ist das einzige Silver Goal der EM-Geschichte. Spielte von 2002 bis 2005 bei der Roma, dann kehrte er zu AEK Athen zurück.
LV: Panagiotis Fyssas - Auch Fyssas verdiente sein Geld im Ausland. Seit 2003 spielte er bei Benfica Lissabon. Beim portugiesischen Traditionsverein war er jedoch kein Stammspieler und kam in zwei Saisons nur auf 30 Ligaeinsätze. Für Griechenland war er jedoch ein integraler Teil der Defensive, die den Titel sicherte.
ZM: Kostas Katsouranis - Katsouranis spielte die tiefe Rolle vor der Abwehr und war einer der Schlüsselspieler im griechischen Defensivblock. Wechselte 2006 von AEK zu Benfica Lissabon. 2009 wurde er als Kapitän der Mannschaft portugiesischer Meister, für seine Leistungen wurde er zudem zum Spieler der Saison gewählt.
ZM: Theodoros Zagorakis - Der Kapitän wurde von der UEFA zum Spieler des Turniers und zum Man of the Match im Finale gewählt. Beim Triumph gegen Frankreich schlug er die Flanke zum entscheidenden Tor von Charisteas. Nach dem Turnier ging es nach Italien zum FC Bologna. Nach nur einer Saison kehrte er zurück zu PAOK Saloniki.
ZM: Angelos Basinas - Trat im Finale die Ecke, die den Siegtreffer brachte. Zuvor war er beim Auftaktspiel gegen Portugal vom Punkt erfolgreich. Wechselte 2005 nach zehn Jahren bei Panathinaikos zum RCD Mallorca. Insgesamt kommt er auf genau 100 Länderspiele.
RA: Angelos Charisteas - Der Bremer fuhr als amtierender deutscher Meister und Pokalsieger zur EM. Bei Werder gab er meist den Joker, für die Nationalmannschaft war er ein absoluter Schlüsselspieler. Drei Tore erzielte er im Verlaufe des Turniers, sein Treffer im Finale wird in Griechenland für immer unvergessen bleiben.
LA: Giorgos Karagounis - Der einzige Grieche, der vor dem Turnier bei einem absoluten Top-Klub unter Vertrag stand. Bei Inter Mailand blieb Karagounis jedoch meistens nur Reservist. Kurios: Bei jedem seiner Einsätze sah er die Gelbe Karte, wodurch er gleich zwei Spiele gelbgesperrt verpasste, unter anderem das Finale.
ST: Zisis Vryzas - Der 1, 90m große Stürmer saß im Viertelfinale gegen Frankreich noch 90 Minuten lang auf der Bank. Im Halbfinale und Finale stand er hingegen wieder in Startelf. Seine Aufgabe war sich fallen zu lassen, um lange Bälle festzumachen und die Räume für den abschlussstärkeren Charisteas zu öffnen.
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