Nach dem Nations-League-Start: Die Gewinner im DFB-Team
Von Martin Bytomski
Zunächst Italien, dann England: Das Gegner-Duo zum Auftakt der Nations League für die deutsche Nationalmannschaft hatte es in sich. Die beiden Duelle galten als hervorragende Standortbestimmung für die Mannschaft von Bundestrainer Hansi Flick mit Blick auf die Winter-WM in Katar. Wer hat sich bewährt? Wer konnte bei Flick punkten? Das sind die Gewinner der ersten beiden Duelle:
Antonio Rüdiger
Mit Antonio Rüdiger, Niklas Süle und Nico Schlotterbeck verfügt Hansi Flick über drei starke Innenverteidiger. Schlotterbeck besitzt riesiges Potenzial, doch dem zukünftigen Dortmunder ist die mangelnde Erfahrung auf internationalem Spitzenniveau noch anzumerken. Niklas Süle löste seine Aufgabe gegen Italien ordentlich. Doch herausragend gegen die Squadra Azzurra und England war Antonio Rüdiger. Der 29-Jährige kann auf die Erfahrung von Profieinsätzen in der Bundesliga (VfB Stuttgart), Serie A (AS Rom) und zuletzt in der Premier League beim FC Chelsea zurückgreifen. Vor allem bei den Blues reifte der lange zwar als talentiert, aber zu impulsiv auftretende Rüdiger enorm und weiß seine Wucht mittlerweile perfekt dosiert einzusetzen. Dazu ist er ein wichtiger Lautsprecher, dem angesichts seiner Vita auch zugehört wird - der jetzt folgende Wechsel zu Real Madrid dürfte das nur weiter verstärken.
Aber nicht nur in der Binnen-Kommunikation, sondern auch als Gallionsfigur taugt Rüdiger ganz hervorragend. Er stellt sich vor seine Mitspieler, wirkt auf die Schiedsrichter ein und giftet gegen den Gegner. Somit dürfte er als Abwehrchef zur WM fahren.
David Raum
Eher ein laues Lüftchen wehte die linke Verteidigerseite bei der Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren. Schon Joachim Löw bekannte freimütig, sich keinen Linksverteidiger schnitzen zu können. Das wäre jetzt auch nicht mehr nötig. Denn mit David Raum kehrte gegen England hinten links endlich wieder Leben zurück. Raum spulte sein Pensum nicht souverän ab, sondern ging mit einem langvermissten Furor in die Partie gegen die Three Lions, der begeisterte. Defensiv hart gegen den Gegner, auch Grätschen gehören zu seinem stilistischen Baukasten. Noch euphorischer gerieten seine Vorträge in die gegnerische Hälfte: Wieder und wieder brach er über links durch brachte die rechte englische Defensive um Kyle Walker in Verlegenheit. Dabei variierten seine Hereingaben: Mal scharf und flach von der Grundlinie, mal kurz zum besser postierten Mitspieler, mal vertikal aus dem Halbfeld.
Mit seinen 24 Jahren gehört Raum, sofern er dieses Level halten kann, die Zukunft. Einen besseren Linksverteidiger hätte sich auch Löw nicht schnitzen können.
Joshua Kimmich
Neben dem Ballvirtuosen Gündogan stach Joshua Kimmich vor allem mit seiner giftigen Art heraus. Er ging in jeden Zweikampf, pflügte gegen England auch tief in der zweiten Halbzeit den Platz mit Grätschen an der Seitenauslinie um. Doch bei aller Liebe zum direkten Duell vergaß er dabei nicht, Angriffe mit cleveren Pässen einzuleiten. Sein tiefer Ball auf Jonas Hofmann vor dem 1:0 gegen die Three Lions war nahezu perfekt. Der 27-Jährige erkannte die Situation blitzgescheit und steckte sofort auf den Gladbacher durch, der dank Kimmichs Handlungsschnelligkeit die entscheidenden Augenblicke für seinen Treffer hatte. Es scheint so, als würde Kimmich nach seiner Corona-Erkrankung wieder zur alten Form finden.
Aktuell bietet der Bayern-Profi das kompletteste Paket im deutschen Mittelfeld und fährt als Mittelfeld-Anführer zur WM in Katar.
Jamal Musiala
Jamal Musiala war gegen England kaum zu stoppen. Zwar ist er mit 1,83 Metern zumindest mit Blick auf seine Länge kein klassischer Tempodribbler, doch dank seines niedrigen Körperschwerpunkts in Verbindung mit seiner herausragenden Technik war der zeitweise in England aufgewachsene Offensivspieler kaum zu bändigen. Dazu verfügt er über eine nur äußerst begrenzt zu erlernende Fähigkeit: die Intuition. Musiala fühlt richtige Augenblicke, spürt es, wenn der Gegner ihm den Ball stibitzen will. Das mündet in häufig richtigen Entscheidungen im letzten Moment.
Es würde arg verwundern, fände Flick für den gerade einmal 19 Jahre alten Instinktfußballer keinen Platz in der WM-Mannschaft. Zumal Musiala variabel auf allen Positionen im Zentrum und auf den Außen spielen kann.
Kai Havertz
Eine Neun mit Killerinstinkt im Stile eines Harry Kane wird Kai Havertz wahrscheinlich nicht mehr. Deshalb lohnt sich das weitere Casting nach einem klassischen Mittelstürmer trotz seiner guten Leistung gegen England. Doch der Chelsea-Profi hat gezeigt, dass er das Angriffszentrum mit spannenden Facetten besetzen kann: Fleiß, Anspielbereitschaft und Ideenreichtum. So füllte Havertz die Rolle als verkappter Stoßstürmer mit seinen Möglichkeiten bestmöglich aus. Dank seiner Unberechenbarkeit stiftet er Unruhe und schafft Räume, in die seine Angriffskollegen stoßen können. Dazu verfügt der frühere Leverkusener über eine Premier-League-gestählte Körperlichkeit, einen guten Abschluss und einen starken Kopfball.
Auch wenn er dank seiner Spielintelligenz eher auf der Zehn beheimatet ist: In Ermangelung an Alternativen und dank seiner vielseitigen Fähigkeiten ist Havertz aktuell die beste deutsche Option auf der Neun.