Eine Reise nach Reykjavik - 18 Jahre nach Völlers Wutausbruch!
Von Guido Müller
Am Mittwochabend (20.45 Uhr) muss die deutsche Fußball-Nationalmannschaft zum WM-Qualifikationsspiel nach Reykjavik, der Hauptstadt Islands. Da werden natürlich sofort Erinnerungen wach an einen legendären TV-Auftritt von Rudi Völler.
Co-Protagonist damals, vor 18 Jahren, war ARD-Moderator Waldemar Hartmann. In Nebenrollen: Gerhard Delling und Günter Netzer.
Diese beiden Letztgenannten, der eine als sogenannter Field Reporter, der andere als TV-Experte, hatten, noch aus der unmittelbaren emotionalen Reaktion auf die zuvor gesehenen neunzig Minuten der deutschen Mannschaft heraus (das Spiel endete 0:0) recht harsche Kritik am einfallslosen Spiel der DFB-Kicker geübt.
Die legendäre "Weißbier-Rede"!
Was wiederum Rudi Nazionale so gar nicht gefiel. Der minutenlange Monolog des ob der harten Worte völlig entrüsteten Bundestrainers, unterbrochen nur von einigen Zwischenkommentaren eines ziemlich verdutzt wirkenden Studio-Moderators, ist auf Youtube noch heute eines der meist angeklickten Videos. Prädikat: absolut sehenswert.
Doch im Kern ging es Völler um ein absolut berechtigtes Anliegen: nämlich der Forderung, eine Analyse unter Einbeziehung aller Umstände vorzunehmen. Dem kamen Delling und Netzer, in Völlers Augen zumindest, an diesem Abend in der isländischen Hauptstadt nur bedingt nach.
Völlers Kritik - im Kern durchaus berechtigt!
Man müsse doch mal, so Völler, "vom hohen Ross" runter, auf dem sich Fußball-Deutschland, trotz der Schüsse vor den Bug bei der EURO2000 und trotz eines, statistisch gesehen zwar akzeptablen, sportlich aber überschaubaren WM-Turniers (das dank Oliver Kahn als Vize-Weltmeister abgeschlossen wurde) gut ein Jahr zuvor, wohl immer noch wähnte.
Dass auf der Atlantik-Insel zum Zeitpunkt des Spiels gegen die Deutschen schon ein Plan in den Hinterköpfen der Verbands-Offiziellen steckte, um den Fußball in dem damals knapp 300.000 Einwohner zählenden Land auf eine professionellere Ebene zu hieven, wurde geflissentlich ausgeklammert.
Als Maßstab galten die Ergebnisse der vorherigen Vergleiche beider Länder - auch wenn diese zum Zeitpunkt der Weißbier-Rede Völlers auch schon mehrere Jahrzehnte zurücklagen. Doch die von allen äußeren Entwicklungen abgeschottete Nabelschau des deutschen Fußballs war damals immer noch der status quo im Medienbetrieb der Republik.
Arroganz war somit immer noch ein prägendes Merkmal. Immerhin war man ja der dreifache Weltmeister. Dass der sich auch 2003 (der World Cup 2002 war letztlich nur ein ergebnistechnischer Ausrutscher nach oben) noch in einer profunden Identitätskrise befand - geschenkt.
EM-Debakel von 2004 wie eine Bestätigung Völlers
"Rumpelfußballer" - dieser von der Bild-Zeitung geprägte Begriff machte just zu Völlers Zeiten im Amt des Bundestrainers seine Runde. Zu recht! Wie zur Bestätigung vergeigte das Team dann ja auch, neun Monate später, die EURO2004 in Portugal recht sang- und klanglos.
Und Völler durfte sich nach dem (neuerlichen) EM-Debakel am südlichen Westzipfel Europas irgendwie bestätigt fühlen.
Knapp zwei Dekaden später steht der isländische Fußball stärker da, als je zuvor in seiner Geschichte. Selbst die aktuellen negativen Vorkommnisse (Gerüchte über sexuellen Missbrauch inklusive) rund um den isländischen Verband können daran nichts ändern.
Was den ganzen Skandal um Verbandschef Gundi Bergsson allerdings auch keinen Deut positiver erscheinen lässt.
Island mittlerweile in der Mittelklasse angekommen
Rein sportlich gesehen ist Island jedenfalls in der Mittelklasse der europäischen Fußball-Nationen angekommen. Bisheriger Höhepunkt: der sensationelle Achtelfinal-Erfolg der "Wikinger" gegen England (2:1, nach frühem 0:1-Rückstand) bei der EURO2016.
Wer es also schafft, sich für ein Viertelfinale einer Europameisterschaft zu qualifizieren, braucht sich den mitleidigen Blick der vermeintlich Großen im Konzert nicht mehr gefallen zu lassen.
Das sollte allen, die es mit der DFB-Auswahl halten, klar sein: ein locker-leichtes Schweben über den Platz wird es am Mittwoch nicht geben. Wer eine Fortsetzung der Armenien-Gala erwartet, läuft Gefahr von der Realität eines Besseren belehrt zu werden.
Die RTL-Kommentatoren Marko Hagemann und Steffen Freund deuteten es am Sonntag, beim 6:0 gegen Mkhitaryan und Co, schon an. Der Heimvorteil wird wegfallen. Auch die Beschaffenheit des Rasens (auf Island wird aufgrund der klimatischen Bedingungen fast ausschließlich auf Kunstrasen oder in Hallen gekickt) wird ein anderer sein.
Hinzu kommt das wohl zu erwartende, traditionell eher bescheidene Wetter auf der windumtosten Insel. Regengüsse nicht ausgeschlossen. Eigentlich eine perfekte Möglichkeit für Hansi Flick, den wahren Grad der Bereitschaft seiner Elf, ihren inneren Schweinehund zu überwinden, zu messen.
Für den Fall der Fälle sollte RTL vielleicht trotzdem dafür sorgen, dass seinem Personal am Mittwoch keine Weizenbiere zur Verfügung stehen. Man kann ja nie wissen...