DFB-Team: 4 Erkenntnisse zum Zitter-Auftritt gegen Ungarn
Von Simon Zimmermann
Aus dieser deutschen Nationalmannschaft wird man einfach nicht schlau. Oder wie es Michael Ballack bei Magenta TV ausdrückte: "Wir sind nach der Gruppenphase genauso schlau, wie vor dem Turnier." Nach Gruppenplatz zwei und einem Zitter-Remis gegen Ungarn bleiben große Zweifel auch vor dem prestigeträchtigen Achtelfinal-Duell gegen England. Jogis Jungs sind die Pralinenschachtel-Mannschaft dieser EM: Man weiß nie, was man bekommt.
Die Erkenntnisse zum 2:2 gegen Ungarn:
1. Defensiv-Verhalten wirft viele Fragen auf
Die Ungarn boten den erwartet schwer zu knackenden Abwehr-Riegel auf. Mit einer Fünferkette, drei zentralen Mittelfeldspielern und dem Bundesliga-Stürmer-Duo Szalai/Sallai, machten die Magyaren die Räume gekonnt eng. Gekonnt war auch der ein oder andere Konter des Außenseiters. So wie bei den beiden Führungstreffern.
Auf der anderen Seite offenbarte das DFB-Team wieder einmal große Schwächen in der sog. 'Restverteidigung'. Die Konter-Absicherung funktioniert im deutschen Team bislang überhaupt nicht gut. Bei jedem Ballverlust muss man Angst haben, dass es klingelt. Der Gegentreffer direkt nach dem 1:1 war ebenfalls bezeichnend. Denn neben der miesen Absicherung muss man festhalten, dass sich das Team recht schwach im defensiven Zweikampfverhalten präsentiert.
Das 0:1 resultierte aus einer Fehlerkette: Ballverlust Ginter, Kroos läuft den Flankengeber überhaupt nicht an, in der Mitte spielen Hummels und Ginter zwar 2 gegen 1 mit Szalai, keiner der beiden ist aber eng am Mittelstürmer dran. Im Strafraum eine Todsünde!
Beim 1:2 wurde offensichtlich, wie schwer sich die deutsche Defensive im direkten Duell bei weiten Bällen tat. Der Mainzer Szalai wirkte fast wie Romelu Lukaku und konnte viele Bälle trotz Bedrängnis fest machen, prallen lassen oder verlängern.
2. Gegenpressing war nicht vorhanden
Im Spiel gegen den Ball war gegen Ungarn auch extrem auffällig, wie schwer sich Deutschland tat, die tiefstehenden Ungarn anzulaufen. Was gegen Portugal noch gut klappte, funktionierte gegen Ungarn überhaupt nicht. Nach Ballgewinn war es für den Gegner viel zu einfach, sich zu befreien. Die Abstände waren häufig zu groß, das Sturmtrio lief nicht konsequent an, Kroos und Gündogan waren zu weit weg. Schnelles Gegenpressing und Ballgewinne nah am ungarischen Tor gab es so kaum. Im Gegenteil: Häufig sah man, wie ein deutscher Spieler mindestens einen Schritt zu spät kam, um in den Zweikampf zu kommen.
3. Gündogan ein Totalausfall
Was hat dieser Ilkay Gündogan nicht für eine bockstarke Premier-League-Saison bei Manchester City gespielt? Plötzlich mutierte der 30-Jährige bei den Sky Blues zum Knipser!
Im DFB-Dress ist von dieser Torgefahr bei der EM überhaupt nichts zu sehen. Ein Grund dafür: das deutsche System mit nur zwei zentralen Mittelfeldspielern. Während sich Gündogan bei Man City meist im Zehnerraum aufhalten konnte, muss er für Deutschland mehr auf die Absicherung achten.
Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Dazu gehört auch, dass Gündogan es überhaupt nicht schafft, Läufe in die Tiefe zu starten, sich im gefährlichen Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld freizulaufen und dazu viel zu viele Fehler macht. Gegen Ungarn war das gravierend. Kaum einen Ball konnte Gündogan kontrollieren - meist bediente er sich ohnehin der Variante "Sicherheit" und ließ Bälle sofort wieder zurückprallen. Raumgewinn? Gleich null!
Ein Gündogan in dieser Form hemmt das deutsche Spiel ungemein. Es braucht einen Leon Goretzka, der für all das steht, was Gündogan in dieser Gruppenphase nicht liefern konnte. Bezeichnend, dass der Bayern-Star nach seiner Einwechslung das Weiterkommen sicherte!
4. Löw braucht Mut bei Personalentscheidungen in der Offensive
Leroy Sané hat seine Chance von Beginn an bekommen und durfte 90 Minuten auf dem Feld bleiben. Genutzt hat er sie - mal wieder - nicht. "Wenn er seine Fähigkeiten ausspielen kann, ist er Weltklasse", erklärte der Bundestrainer. Lieber Jogi, Sané kann es im Moment aber nicht. Bitte einsehen! Heißt im Umkehrschluss: bei dieser EM sollte der Außenstürmer keine große Rolle mehr spielen. Klingt hart, muss man aber so formulieren.
Ebenfalls außer Form ist Bayern-Kollege Serge Gnabry. Viel zeigen konnte er als nomineller Mittelstürmer bislang nicht. Dennoch dürfte Gnabry gesetzt bleiben. Löw sollte sich dann zumindest mit ihm, Müller und Havertz auf eine Stamm-Dreierreihe festlegen.
Aus der Not brachte Löw gegen Ungarn dann auch Jamal Musiala in die Partie. Das Offensiv-Juwel zeigte eine Klasse am Ball, die die anderen Offensivkollegen derzeit schlicht nicht haben. Im Eins-gegen-Eins ist Musiala der beste deutsche Spieler dieses EM-Kaders! Vielleicht sollte Löw mal nachdenken, den 18-Jährigen früher zu bringen (von Beginn an?)...