DFB-Kader im Check: Wer hat seinen EM-Platz sicher, wer muss zittern?
Von Jan Kupitz
Es ist Länderspielpause - und mal wieder sorgt das DFB-Team (und allen voran der mittlerweile sehr umstrittene Jogi Löw) für Aufsehen. Nach dem 3:3 gegen die Türkei gab es ein mühsames 2:1 gegen die Ukraine. In dieser Form wird Deutschland bei der auf den kommenden Sommer verschobenen EM kaum zum engen Favoritenkreis zählen.
Doch wie ist aktuell überhaupt der Stand des Aufgebots? 90min nimmt die Kandidaten unter die Lupe und checkt, wer sein EM-Ticket schon jetzt sicher hat, wer zittern muss - und wer zur Überraschung werden könnte.
1. Die Unantastbaren
Manuel Neuer: Unangefochtene Nummer eins. Kapitän. Neuer ist zu 100% mit dabei - selbst wenn er (wie 2018) nicht komplett fit sein sollte.
Marc-André ter Stegen: Hinter Neuer gibt's ebenfalls kein langes Überlegen. MAtS wäre bei den meisten anderen Nationalmannschaft klarer Stammkeeper - der DFB hat den Luxus, ihn sogar "nur" als Nummer zwei mitzunehmen.
Toni Kroos: Das Herzstück von Jogis Elf. Der Mittelfeldstratege ist unverzichtbar.
Joshua Kimmich: Kroos' Partner im Mittelfeld. An Kimmich führt schon seit längerem kein Weg mehr dran vorbei.
Serge Gnabry: Egal ob im Zentrum oder auf der Außenbahn - Gnabry liefert ab und erzielt Tore am Fließband. Der Bayern-Star ist in der Offensive absolut gesetzt.
Timo Werner: Nach dem Karriereende vom "besten deutschen Angreifer" Sandro Wagner, ist Werner in Deutschland der einzige gelernte Mittelstürmer, der internationales Niveau besitzt. Daher gibt es keine zwei Meinungen, dass der neue Chelsea-Star sein EM-Ticket sicher hat.
Leon Goretzka: Der Bayern-Profi hat in den vergangenen Monaten eine unfassbare Entwicklung hingelegt - und zwar nicht nur optisch (mit seinem Hulk-Bizeps), sondern eben auch leistungstechnisch. Vor allem seine Torgefahr als Mittelfeldspieler imponiert.
Matthias Ginter: Da Löw weiterhin stur ohne Hummels und Boateng plant, ist Ginter im Abwehrzentrum unverzichtbar. Ohnehin würde der 26-Jährige in der Öffentlichkeit wohl besser wegkommen, wenn er für einen "größeren" Klub als die Gladbacher Borussia spielen würde.
Niklas Süle: Nach seiner Kreuzbandverletzung ist Süle wieder fit - beim FC Bayern aber noch nicht gesetzt. Das dürfte allerdings nur herzlich wenig daran ändern, dass der Verteidiger seinen Platz im DFB-Team sicher hat.
Leroy Sané: Auch Sané hat seinen Kreuzbandriss aus der Vorsaison überwunden - aktuell wird er allerdings von einer Kapselverletzung im Knie ausgebremst. Bis der neue Bayern-Star seine Topform erreicht, wird es somit wohl noch etwas dauern. Löw wird aber so oder so auf Sané bauen, sein Tempo und seine Fähigkeit im Eins-gegen-eins sind zu wichtig, als dass man darauf verzichten könnte. (insert: Erinnerung an WM 2018)
2. Spieler mit guten Chancen
Lukas Klostermann: Gute Außenverteidiger sind in Deutschland rar. Klostermann ist aber so einer und hat daher sehr gute Karten, bei der EM im Kader zu stehen. Pluspunkt: Zudem kann der Leipziger auch als Innenverteidiger in einer Dreierkette verteidigen.
Marcel Halstenberg: Das gleiche wie bei Vereinskollege Klostermann gilt auch für Halstenberg. Nur eben für die linke Seite.
Ilkay Gündogan: Einen Stammplatz hat Gündogan im DFB-Team vermutlich nicht, trotzdem bleibt der ManCity-Star ein von Löw sehr geschätzter Profi, dessen Qualitäten bei einer EM auf keinen Fall fehlen dürfen.
Kai Havertz: Mit dem Schritt zum FC Chelsea hat Havertz eine neue, große Herausforderung in seiner Karriere gesucht. Langfristig werden er und das DFB-Team davon definitiv profitieren.
Emre Can: Sein Wechsel zum BVB hat sich für Can als goldrichtig herausgestellt - auch dank seiner Flexibilität in der Defensive ist mit dem Dortmunder zu rechnen.
Robin Gosens: Lange hat es gedauert, bis Gosens sein Debüt für die deutsche Nationalmannschaft feiern durfte - doch schon jetzt ist er nicht mehr wegzudenken. Dank seiner Dynamik und Ausdauer ist er (sofern Löw mit Fünferkette spielt) auf der linken Außenbahn quasi gesetzt.
Julian Draxler: Dass Draxler außerordentlich gute Chancen hat, auf den EM-Zug aufzuspringen, ist eher weniger seinen Leistungen bei PSG zu verdanken, sondern vielmehr der Tatsache, dass Löw ein großer Fan des Offensivspielers ist. Bei Bundes-Jogi hat Jule einen Stein im Brett.
Robin Koch: Heimlich, still und leise hat sich Koch zu einem festen Bestandteil der Nationalmannschaft gemausert - was auch, aber eben nicht nur daran liegt, dass der Schuh in der Abwehr ein wenig drückt. Sein Transfer zu Leeds dürfte die Entwicklung des Ex-Freiburgers gehörig vorantreiben.
3. Diese Spieler müssen zittern
Kevin Trapp/Bernd Leno: Hinter Neuer und ter Stegen bleibt nur noch eine freie Torwartstelle offen - diese werden Trapp und Leno mit hoher Wahrscheinlichkeit unter sich ausmachen. Ausgang: offen.
Luca Waldschmidt: Bei den letzten Nominierungen war Waldschmidt eigentlich fast immer dabei - was aber auch daran lag, dass nie alle Stars mit an Bord waren. Sollten alle deutschen Stars vor der EM fit sein (was wir natürlich hoffen), wird die Luft für den Neu-Lisboeta dünn.
Julian Brandt: Auch wenn die neue Saison noch relativ jung ist, muss man festhalten, dass Brandt beim BVB bislang einer der großen Verlierer ist. Im System von Lucien Favre ist einfach nicht die richtige Rolle für den Ex-Leverkusener dabei. So wird's schwer, sich für das DFB-Team zu empfehlen.
Marco Reus: Nach einer langen Verletzung ist Reus endlich wieder fit - doch weil die Konkurrenz im DFB-Team mit Gnabry, Sané, Werner, Havertz und Draxler (nochmal: der hat bei Jogi einen Stein im Brett!) nicht zu unterschätzen ist, muss Rolls Reus in dieser Saison liefern. Ist er nicht in 100-prozentiger Topform, ist eine EM-Nominierung nicht sehr wahrscheinlich.
Antonio Rüdiger: Beim FC Chelsea ist Rüdiger nur noch vierte Wahl - ein Wechsel im Sommer zerschlug sich überraschend. Spielpraxis wird der Verteidiger bis zur Winterpause daher erstmal nicht sammeln. Danach muss unbedingt ein Vereinswechsel inklusive guten Auftritten beim neuen Arbeitgeber folgen. Sonst gibt es eigentlich kein Argument, das für eine Nominierung spricht.
Thilo Kehrer: Der PSG-Star pendelt zwischen Welt- und Kreisklasse, ist aktuell zudem verletzt. Mal schauen, ob er sich in der kommenden Saison in Paris einen Stammplatz sichern kann - falls nicht, muss er zittern.
Jonathan Tah: Einst als "neuer Boateng" gefeiert, ist Tahs Entwicklung schon vor Jahren ins Stocken geraten. Seinen Stammplatz bei Bayer Leverkusen ist er los, dem Status des Toptalents entwachsen. Will er zur EM, muss er mindestens zwei Gänge höher schalten.
Florian Neuhaus: Bei seinem Länderspieldebüt zeigte Neuhaus einen sehr überzeugenden Auftritt inklusive Premierentreffer. Für die Zukunft ist der Gladbacher definitiv eine ernstzunehmende Option - ob's bereits für die kommende EM reicht, müssen aber erst die nächsten Monaten zeigen.
Suat Serdar: Im Prinzip bringt Serdar sehr viel mit, um zum Kreise der Nationalmannschaft zu gehören. Doch es gibt zwei Probleme: Zum einen ist der Mittelfeldspieler häufig verletzt, zum anderen hat er mit dem FC Schalke einen sehr unruhigen Arbeitgeber. Ob man sich dort ins Schaufenster für die EM spielen kann?
Benjamin Henrichs: Sein Wechsel zu RB Leipzig soll neuen Schwung in Henrichs' Karriere bringen - die Tatsache, dass es hinten rechts wenig Optionen gibt, könnte für ihn sprechen.
Kerem Demirbay: Die großen Erwartungen bei der Werkself konnte Demirbay noch nicht erfüllen. Auch bei ihm gilt: Potenzial ist theoretisch da, aber die Konkurrenz auf seiner Position ist (zu) groß.
4. Diese Spieler sind quasi ohne Chance
Nico Schulz: Dass der Dortmunder in der aktuellen Länderspielpause Teil des DFB-Kaders war, dürfte wohl auch ihn persönlich überrascht haben. Beim BVB außen vor, sollte er auch in der Nationalmannschaft keine realistische Chance haben.
Niklas Stark: Bei Hertha BSC ist Stark nicht unangefochten, seine Leistungen lassen schon seit längerem zu wünschen übrig. Ginter, Süle, Koch und auch Tah/Rüdiger sind höher anzusiedeln.
Mahmoud Dahoud: Wenn Julian Brandt es im Dortmunder Mittelfeld schon schwer hat, dann gilt das erst recht für Mo Dahoud. Das DFB-Team hat schlichtweg bessere Spieler für die Zentrale zur Verfügung.
Nadiem Amiri: Auch für den Leverkusener ist im DFB-Team kein Platz. Für eine Nominierung zu unbedeutenderen Länderspielen mag es reichen, nicht aber für eine EM.
Jonas Hofmann: Gegen die Ukraine durfte der Gladbacher sein Länderspieldebüt feiern - nach zuletzt starken Leistungen mit der Fohlenelf hat er sich das verdient. Eine ernstzunehmende Option für die EM ist er ob der großen Konkurrenz im Mittelfeld aber nicht.
5. Die (kurzfristigen) Überraschungskandidaten
Florian Wirtz: Das wohl größte Talent, das Deutschland im Nachwuchsbereich aktuell zu bieten hat. Wirtz geht in seine erste Bundesligasaison als Stammspieler und soll in die großen Fußstapfen von Kai Havertz treten. Er hat das Zeug, zur großen Überraschung zu werden!
Felix Uduokhai: Der Augsburger spielt bislang eine sehr gute Saison und ist langfristig definitiv eine interessante Option für das DFB-Team. Ob er wirklich eine Chance für die EM hat, wird aber auch daran liegen, wie seine Konkurrenten im Abwehrzentrum performen. Andererseits: Warum sollte man einen Tah oder Rüdiger, die nur auf der Ersatzbank sitzen, einem Uduokhai vorziehen?