DFB-Frauen nach dem 7:0 gegen die Schweiz: Euphorie mit Augenmaß
Von Daniel Holfelder
Boom! Die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft hat eine erfolgreiche EM-Generalprobe hingelegt und die Schweiz mit 7:0 aus dem Stadion geschossen. Der Kantersieg gegen die Eidgenössinnen macht Lust auf mehr und lässt die Vorfreude auf das Turnier in England steigen. Überbewerten sollte man die Leistung aber nicht. 90min
fasst zusammen, warum eine gewisse Euphorie gerechtfertigt ist, lässt aber auch die Problemzonen im DFB-Team nicht außer Acht.
Die Neunerposition bereitet Probleme
Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hat von Anfang an großen Wert auf eine klare Aufgabenverteilung gelegt. Jede Spielerinnen weiß und wusste seit Beginn der Vorbereitung, auf welcher Position sie eingeplant ist und was von ihr verlangt wird. Das haben die Akteurinnen auch selbst immer wieder betont. Inzwischen hat sich auch eine eindeutige Stammformationen herauskristallisiert. Merle Frohms geht, wie Voss-Tecklenburg schon vor Monaten verkündet hat, als Nummer eins in das Turnier. In der Viererabwehrkette wird Giulia Gwinn die rechte, Felicitas Rauch die linke Seite beackern. Im Zentrum sollen Marina Hegering, die nach langer Verletzungspause gerade rechtzeitig wieder fit geworden ist, und Kathy Hendrich für Stabilität sorgen. Im zentralen Mittelfeld nimmt Lena Oberdorf die Sechserrolle ein, während Lina Magull und Sara Däbritz als Achterinnen agieren. Svenja Huth wird auf der rechten Außenbahn spielen, ihr Pendant auf links heißt Klara Bühl. Einzig hinter der Besetzung des Sturmzentrums steht noch ein Fragezeichen.
Gerade die Unsicherheit in der Sturmspitze, wo sich Kapitänin Alexandra Popp und Bundesliga-Torschützenkönigen Lea Schüller um das Startelfmandat streiten, illustriert den Wert einer klaren Stammelf. Während sich auf allen anderen Positionen bereits Automatismen entwickeln konnten und jede Spielerin genau weiß, was auf sie zukommt, fiel Lea Schüller gegen die Schweiz deutlich ab. Der Bayern-Angreiferin würde eine klare Startelf-Garantie und die volle Rückendeckung der Bundestrainerin guttun. Voss-Tecklenburg hingegen hat bereits mehrfach durchblicken lassen, dass sie lieber mit Popp auf der Neun beginnen würde. Diese Entscheidung könnte sich aus zweierlei Gründen als Fehler herausstellen. Zum einen fehlt Popp, die erst im April nach rund einjähriger Verletzungspause auf den Platz zurückkehrte, die nötige Fitness. Zu allem Überfluss verpasste die Wolfsburgerin auch noch einen Teil der Vorbereitung, nachdem sie sich mit Corona infiziert hatte. Zum anderen hat die 31-Jährige seit ihrem Comeback nicht eine einzige Partie im Sturmzentrum bestritten. Sowohl im DFB-Team als auch beim VfL Wolfsburg lief Popp im zentralen Mittelfeld auf - und zeigte durchwachsene Leistungen.
Hohe Qualität von der Bank - zumindest offensiv
Dass die ersten elf Plätze bereits vergeben sind, spricht in erster Linie für Sara Däbritz, Svenja Huth und Co.. Nicht unbedingt gegen die Spielerinnen, die momentan (noch) in der zweiten Reihe stehen. Im Gegenteil: Die Leistungsdichte im deutschen Team ist hoch. Allerdings gilt es zu differenzieren. Während im Offensivspiel mit Linda Dallmann, Sidney Lohmann oder Laura Freigang tatsächlich hochkarätiger Ersatz zur Verfügung steht, fehlt es im Defensivbereich an Qualität.
Während die rechte Außenverteidigerin Giulia Gwinn beim 7:0 zu überzeugen wusste, mangelte es Feli Rauch auf der linken Seite an Offensivgeist. Alternativen für die Wolfsburgerin - und auch für Gwinn - sind rar gesät. Auf links dürfte Sophia Kleinherne die erste Alternative darstellen, rechts scheint sich Nicole Anyomi als Gwinn-Back-up anzubieten. Auch Sara Doorsoun könnte auf außen einspringen. Allerdings sind die drei Frankfurterinnen nominell auf anderen Positionen zu Hause. Kleinherne und Doorsoun bilden bei der Eintracht das Innenverteidiger-Duo, Anyomi fühlt sich offensiv deutlich wohler. Die Nichtnominierung der gelernten Außenverteidigerin Maxi Rall, die sowohl rechts als auch links eingesetzt werden kann, erscheint vor diesem Hintergrund fragwürdig.
In der Innenverteidigung ist das Leistungsgefälle wohl am größten. Die gesetzten Kathy Hendrich und Marina Hegering verkörpern internationales Top-Niveau und könnten der Schlüssel zum EM-Triumph werden. Gerade hinter Hegering - obwohl sie gegen die Schweiz einen fantastischen Eindruck hinterließ - steht allerdings noch ein kleines Fragezeichen. Die 32-Jährige hat verletzungsbedingt nur fünf Bundesliga-Partien in dieser Saison bestritten. Sollte die Noch-Münchnerin, die nach der EM zum VfL Wolfsburg wechselt, während des Turniers erneut ausfallen, steht Voss-Tecklenburg vor einem großen Problem. Als Alternativen stehen der Bundestrainerin Sara Doorsoun und Sophia Kleinherne zur Verfügung, die beide nicht an die Klasse Hegerings heranreichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die hochtalentierte Sechserin Lena Oberdorf ins Abwehrzentrum zu ziehen. In diesem Fall müsste natürlich das Mittelfeld wieder umgebaut werden...
Waren die Schweizerinnen ein echter Gradmesser?
Nach dem ernüchternden 2:3 gegen Serbien im letzten WM-Quali-Spiel im April war die Ernüchterung im deutschen Lager groß. Umso wichtiger, dass die DFB-Elf durch den 7:0-Erfolg gegen die Schweiz Selbstvertrauen tanken konnte. Die deutsche Mannschaft besitzt die Qualität, um den EM-Titel zu holen. Keine der Spielerinnen, die gegen die Eidgenössinnen glänzen konnten, muss sich auf internationaler Ebene verstecken.
Dennoch dürfte jedem klar sein, dass auf dem Weg zum Turniersieg andere Kaliber warten. Sowohl Dänemark als auch Spanien - die ersten beiden Gruppengegner - werden die deutsche Elf vor weitaus größere Herausforderungen stellen als die Schweiz. Von der K.o.-Phase ganz zu schweigen. Aus dieser Überlegung heraus wäre ein zweites Testspiel gegen eine ambitioniertere Nation als Standortbestimmung hilfreich gewesen. Dadurch hätte man mögliche Schwächen aufzeigt bekommen und noch einmal Rückschlüsse zu den Stellschrauben ziehen können, an denen noch gedreht werden muss. Andererseits hätte ein zweiter Test samt Vorbereitung und Regeneration wertvolle Zeit auf dem Trainingsplatz gekostet. Das ist auch der Grund, weshalb sich Voss-Tecklenburg anders als viele ihrer Trainerkollegen und -kolleginnen für lediglich ein Vorbereitungsspiel entschieden hat.
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