Deutschland übersteht die "Todesgruppe" - Der Maßstab muss ein anderer sein
Von Yannik Möller
Dass sich Deutschland mit dem 2:2-Unentschieden gegen Ungarn für das Achtelfinale qualifiziert hat ist schlussendlich - trotz der vermeintlichen Todesgruppe - keine große Überraschung gewesen. Und schon gar kein großer Erfolg, der extra hervorgehoben werden müsste. Angesichts der schwachen letzten Jahre wird zu häufig vergessen, den richtigen Maßstab an die Nationalelf zu legen.
Ein Kommentar.
Die Todesgruppe, die Hammergruppe, das mit Abstand schwierigste Los. Sobald die Gruppen für die Europameisterschaft feststanden, schien aus deutscher Sicht klar zu sein: Die Nationalmannschaft wird es sehr schwer haben, sich gegen den Weltmeister Frankreich, den Europameister Portugal und das keinesfalls zu unterschätzende Ungarn durchzusetzen.
Monate bevor die EM überhaupt richtig startete und endgültig in den Fokus rückte, stand das allgemeine Narrativ bereits. Wenn die deutsche Elf die Endrunde trotz dieser so großen Gegner erreichen würde, wäre das einerseits ein Erfolg - und andererseits, aufgrund der letzten, freundlich formuliert durchwachsenen Jahre, fast schon eine Art Überraschung.
Nun ist die Gruppenphase vorbei, Deutschland zieht als Gruppenzweiter ins Achtelfinale ein, trifft somit in der nächsten Woche im Wembley auf England. Geschafft hat die Truppe von Joachim Löw das schlussendlich durch ein 2:2-Remis gegen Ungarn.
Klar, schlecht gespielt und Probleme gehabt, aber immerhin gekämpft, hörte und las man anschließend häufig. Am Ende steht der Einzug ins Achtelfinale und das ist, angesichts der bisherigen Gegner, doch bereits ein Erfolg. Wer beim Runterspielen dieser eigentlich schon fast furchtbaren Leistung am Mittwochabend nicht schon reagiert hat, müsste es spätestens an dieser Stelle tun. Also bitte, seit wann ist das Überstehen einer EM-Gruppenphase schon ein Erfolg? Welche Standards gelten denn für die deutsche Nationalelf, die bei der vorletzten WM noch Titelträger war und mitten aus einer doch ach so erfolgreichen Löw-Ära kommt?
Mal davon abgesehen, dass es eigentlich normal wäre, wenn sich die Portugiesen vor dem Duell gegen Deutschland beinahe gefürchtet hätten, Frankreich eine gehörige Portion Respekt (und keinen recht lockeren, unproblematischen Sieg) an den Tag gelegt hätte und Ungarn bei aller taktischen und kämpferischen Finesse nahezu sicher ein Punktelieferant gewesen wäre - die Gruppe F war längst keine Todesgruppe. Zumal der Modus mit dem Weiterkommen der vier (von sechs) besten Gruppendritten den Einzug in die K.o.-Runde nochmals deutlich leichter macht.
Die Todesgruppe entpuppte sich als Ansammlung unausgereifter Teams
Viel eher war es, auf die drei großen Fußballnationen bezogen, eine Gruppe der völlig unausgereiften Teams. Bei den Franzosen bestätigte sich, was bereits vor dem Turnier ein Thema war: Dieses Kollektiv an grandiosen Spielern findet sich zu häufig nicht als Einheit, als richtiges Team zusammen. So bringen sie ihre Qualität nicht vollends auf den Platz. Portugal war über die letzten Jahren nie ein Team, das durch ein tolles, dominantes Spiel auffiel, sondern viel eher durch eindrucksvolle Einzelaktionen.
Somit ist das Weiterkommen der deutschen Mannschaft den Gegebenheiten dieser anderthalb Wochen entsprechend kein großer Erfolg. Stattdessen ist es - eigentlich - eine Selbstverständlichkeit. Ganz besonders bei den längst nicht ausgereiften Konkurrenten.
Nun würden vermutlich einige entgegen, das Deutschland ja auch nicht aus einer leichten, beflügelnden jüngeren Vergangenheit kommt und ebenso wenig ausgereift ist. Das mag richtig sein, ist es wohl auch. Eine Entschuldigung für ein etwaiges Scheitern wäre es aber längst nicht gewesen. Schließlich kam das Team nicht aus einem Schicksalsschlag oder aus einem anderen Vorfall, der die DFB-Auswahl ohne eigenes Verschulden um das ein oder andere Jahr zurückgeworfen hat.
Dass diese Auswahl an außergewöhnlich guten Spielern noch immer nicht richtig in Fahrt kommen konnte, liegt an der fehlerhaften Entwicklung in den letzten Jahren. Zurückgeworfen durch Entscheidungen des Bundestrainers und seines Stabs, die falsch waren, die falsche Personen eingebunden haben und weiterhin aufgearbeitet werden müssen.
Das peinliche Scheitern in Russland nahm Löw wenig später, zumindest in Teilen und auch zögerlich, auf seine Kappe. "Ich wollte das [Ballbesitzspiel] auf die Spitze treiben und noch mehr perfektionieren", sagte er damals. Und auch: "Das war fast schon arrogant." Nun also so zu tun, als wäre die Nationalelf ein aus ominösen Gründen geschwächter Haufen aus eigentlich ganz guten Spielern, gibt nicht die ganze Wahrheit wieder. Es wirkt eher als eine Art Ausrede für die seit Jahren unpassenden, weil zu niedrigen Maßstäbe, die dieser Auswahl angehalten werden.
Dass Löw gegen Ungarn einen angeschlagenen Thomas Müller aufs Feld werfen musste, um nicht durch eine Niederlage aus dem Turnier zu fliegen, spricht schon Bände. Auch hier ein zu erwartender Einwand: Aber gegen Portugal wurde doch so gut gespielt, das ist doch eher das Gesicht dieses Teams. Oder?
Sehr plump und verkürzt geantwortet: Ein Portugal, dass schlichtweg keine Lust zu haben schien ihre defensiven Außenbahnen zu verteidigen und somit der derzeit einzigen deutschen Offensiv-Waffe im wahrsten Sinne des Wortes freie Bahn zu lassen, hat quasi den perfekten Aufbaugegner gegeben. Gut, zwei Eigentore haben auch noch geholfen.
Deutschland hat also die Todesgruppe überwunden. Es bleibt jedoch dabei: Dieses Erreichen der K.o.-Phase ist kein wirklich großer Schritt, schon gar kein nennenswerter Erfolg. Frankreich und Portugal enttäuschten insgesamt, so muss es benannt werden. Dass sich Deutschland zumindest den zweiten Platz krallen konnte, sollte eigentlich selbstverständlich sein - und dass dafür ein (ziemlich glückliches) Remis gegen Ungarn reichte, sagt auch genug über diese Gruppe aus.