Deutschland-Gegner Spanien in der Analyse: Yamal & Williams zu grün hinter den Ohren?
Von Dominik Hager
Deutschland gegen Spanien ist nicht nur die Begegnung der einzigen beiden Nationen, die je dreimal Europameister werden konnten, sondern für viele auch das vorgezogene Finale. Es ist das Duell der beiden Teams, die im Verlaufe der EM am meisten überzeugen konnten.
Am Freitagabend (ab 18 Uhr) steigt das mit Spannung erwartete Viertelfinale zwischen den beiden Top-Nationen in der Arena von Stuttgart. Nicht wenige befürchten das Ende der deutschen Titelträume, jedoch würde ein Sieg das EM-Feuer hierzulande vollends entfachen.
Wir werfen in unserem 90min-Gegnercheck einen genaueren Blick auf La Furia Roja:
Direkter Vergleich Deutschland vs Spanien
Das Duell Deutschland vs Spanien ist historisch kaum an Spannung zu überbieten. Stand jetzt führt das DFB-Team im direkten Vergleich mit neun Siegen, neun Unentschieden und acht Niederlagen. Was Deutschland jedoch negativer stimmen könnte, ist die Tatsache, dass der letzte Sieg aus dem Jahr 2014 und der letzte Pflichtspielsieg gar aus dem Jahr 1988 stammt. Drei der vier letzten Aufeinandertreffen endeten mit einem 1:1, ein Testspiel im Jahr 2020 allerdings mit einer üblen 0:6-Pleite aus deutscher Sicht.
Bei Europameisterschaften beträgt die direkte Bilanz 2:1 für Spanien. Unvergessen das EM-Finale 2008, als Fernando Torres die deutschen Titelhoffnungen zerstörte. Bei Weltmeisterschaften führt hingegen Deutschland mit zwei Siegen, zwei Remis und einer Niederlage. 2010 scheiterten die Deutschen im Halbfinale mit 0:1 an den Spaniern. Bei der WM 2022 absolvierte Deutschland sein bestes Spiel gegen die Spanier, jedoch reichte das 1:1 letztlich nicht, weil Japan Spanien im finalen Gruppenspiel besiegte.
Spanien in der Weltrangliste
Spanien befindet sich in der Weltrangliste "nur" auf dem achten Rang, ist damit aber immer noch klar vor Deutschland platziert, das auf Platz 16 liegt. La Furia Roja befindet sich jedoch im Aufwind, nachdem das Team genau vor einem Jahr noch auf Rang zehn geführt worden ist.
Die Leistungen der Spanier im Turnierverlauf
Spanien wusste bei dieser EM von Beginn an zu überzeugen. Im ersten Spiel gab es einen deutlichen 3:0-Sieg gegen Kroatien. Die Spanier machten dabei schon in Durchgang eins alles klar und gewannen letztlich auch so souverän, weil Kroatien einige Chancen liegen ließ. Zwar ging das zweite Match gegen Italien nur dank eines Eigentors mit 1:0 aus, jedoch zeigten die Spanier hier ganz klar, zu welchen Leistungen sie fähig sind. Spielerisch sah Italien in diesem Match überhaupt kein Land.
Erneut mit 1:0 endete das letzte Gruppenspiel gegen Albanien, in dem der vorzeitige Gruppensieger allerdings mit der B-Elf agierte. Im Achtelfinale spielten die Spanier Georgien regelrecht an die Wand, mussten aber durch ein Eigentor zunächst mal einen Rückstand verkraften. Spielerisch waren die Spanier so stark, dass es locker zu einem 4:1-Sieg reichte.
Die voraussichtliche Aufstellung gegen Deutschland
Abgesehen vom 1:0 gegen Albanien hat Trainer Luis De La Fuente eigentlich stets auf die gleichen Spieler vertraut. Spanien agierte in allen Matches in einem 4-3-3-System und ist eines der wenigen Teams, das noch mit einer echten Flügelzange aufläuft.
Die voraussichtliche Aufstellung im Überblick:
Unai Simon - Dani Carvajal, Robin Le Normand, Aymeric Laporte, Marc Cucurella - Rodri, Pedri, Fabián Ruiz - Lamine Yamal, Nico Williams - Alvaro Morata
Die Stärken von Spanien
Spanien gehört im Gegensatz zu England und Frankreich zu den wenigen Teams, die nicht nur große Namen vorzuweisen haben, sondern auch wirklich als Team agieren. Bei den Südwesteuropäern greift ein Rädchen ins andere und man hat eigentlich das Gefühl, dass hier eine Vereinsmannschaft zusammenspielt, die das ganze Jahr über gemeinsam trainiert.
Hinzu kommt, dass Spanien eine hervorragende Mischung zwischen jungen Himmelsstürmern und Routiniers hat. Tatsächlich hat man das Gefühl, dass genau auf den richtigen Positionen wie in der Abwehr, dem zentralen Mittelfeld und dem Angriff erfahrene Kräfte walten und ebenso auf genau den richtigen Positionen wie auf dem offensiven Flügeln oder im offensiven Mittelfeld junge, dynamische und unbeschwerte Spieler für Wirbel sorgen.
Besonders auffällig war im Turnierverlauf definitiv die Flügelzange. Nico Williams und Lamine Yamal überzeugen mit ihren Tempo-Dribblings und machten den gegnerischen Verteidigern das Leben zu Hölle. So viel Spielfreude wie bei Williams, Yamal, Pedri und Co. sucht man sonst vergeblich.
Der Erfolg der Spanier ist aber ganz besonders mit dem Namen Rodri verknüpft. Der Manchester-City-Star ist wohl unbestritten der beste Sechser der Welt und vielleicht sogar aktuell der beste Spieler der Welt. Seine Passstärke, seine Technik, seine Intelligenz, sein Gefühl für den Raum und auch seine Defensivstärke sind in dieser Kombination unerreicht.
Hinzu kommt, dass die Spanier erst ein Gegentor kassiert haben. Dani Carvajal präsentiert sich in Top-Form und auch das Duo Robin Le Normand und Aymeric Laporte ist deutlich stärker, als man sich das im Vorfeld vielleicht vorgestellt hätte. Anders als so häufig beim FC Chelsea, präsentiert sich auch Marc Cucurella defensiv stark.
Neben der überaus ausgeglichenen ersten Elf, verfügt Spanien auch auf jeder Position über sehr gute Ersatzleute. Wenn für Spieler wie Alejandro Grimaldo, Martin Zubimendi, Dani Olmo, Mikel Oyarzabal und Ferran Torres kein Platz in der Startelf ist, sagt das einiges über die Qualität aus.
Die Schwächen von Spanien
Die Schwächen von Spanien muss man fast schon mit der Lupe suchen. Eklatante Dinge sind im Gegensatz zu den meisten anderen Teams hier einfach nicht festzustellen. Möchte man ein Manko hervorheben, wäre das wohl die Chancenverwertung. Gegen Italien wären die Spanier fast in Schönheit gestorben, hätten sie nicht von dem Califiori-Eigentor profitiert. Mittelstürmer Alvaro Morata hat auch erst einen Treffer erzielt und ist bekannt dafür, in wichtigen Spielen ein Defizit in Sachen Nervenstärke zu haben.
Hinzu kommt, dass Spanien defensiv noch gar nicht so wirklich gefordert wurde. Die Italiener haben ihre offensiven Probleme in jedem Spiel offenbart und auch Georgien und Albanien waren keine Gradmesser. Gegen Kroatien stand zwar die Null, jedoch zeigen hier 2,38 gegnerische x-Goals, dass die Partie durchaus auch anders hätte ausgehen können.
Leichte Schwierigkeiten in der Konter-Absicherung haben sich auch gegen Georgien bemerkbar gemacht. Deutschland verfügt über Offensivspieler, die Probleme aufdecken könnten, die jetzt noch gar nicht zum Vorschein gekommen sind. Beispielsweise ist ungewiss, ob Yamal und Williams auch defensiv effektiv mithelfen können, wenn der Bedarf da ist. Die beiden Youngster sind auf internationaler Top-Ebene zudem ein wenig grün hinter den Ohren. Das muss man erstmal mit Selbstvertrauen und Unbeschwertheit wettmachen können.
Die Spielweise von Spanien
Spanien ist noch immer eine äußerst ballbesitzorientierte Mannschaft, jedoch ist die Spielweise nicht mehr ganz so auf Kontrolle ausgerichtet wie in den erfolgreichen Jahren 2008 bis 2012 und in den weniger guten Jahren unmittelbar danach. Spanien spielt schneller und riskanter und greift offensiv mehr über den Flügel an. Ziel ist es häufig, Williams und Yamal in aussichtsreiche Eins-gegen-Eins-Duelle zu schicken, die diese nicht selten auch für sich entscheiden.
Spanien hat natürlich auch einige Leute, die Schlüsselpässe in die Tiefe spielen können und aus der Distanz für Gefahr sorgen können. Dies gilt vor allem für Rodri, Pedri und Fabian Ruiz.
Gegen den Ball ist Spanien noch immer eine Mannschaft, die gerne ins Pressing geht. Oberstes Gebot ist es, nach Ballverlust das Leder sofort wieder zurückzuholen. Auf diese Weise bleibt den gegnerischen Spielern oft nur sehr wenig Zeit, weshalb der Ballbesitz zügig wechselt.
Darum ist Deutschland gewarnt
Deutschland ist gewarnt, weil Spanien bislang ein herausragendes Turnier spielt, vor Selbstvertrauen strotzt und jede Menge individuelle und mannschaftliche Qualität mitbringt. Das Hauptaugenmerk in der Vorbereitung dürfte sein, den gegnerischen Flügelstürmern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Yamal und Williams sind Kaliber, auf die Kimmich und Raum (oder Mittelstädt) bei diesem Turnier noch nicht getroffen sind. Müssen die deutschen Außenverteidiger eins-gegen-eins verteidigen, dürften die pfeilschnellen Flügelstürmer fast schon leichtes Spiel haben. Folgerichtig werden die deutschen offensiven Außen unglaublich viel arbeiten müssen.
Deutschland darf jedoch auch das Zentrum nicht außer Acht lassen, wo hervorragende Fußballer wirbeln. Die technischen Stärken der Spanier sind bekannt und gerade Spieler wie Rodri und Fabian Ruiz können mitten ins Herz treffen, wenn sie zu viel Platz bekommen.
Spanien ist nach knapp zwölf eher enttäuschenden Jahren absolut heiß darauf, das Turnier zu gewinnen und hat - wie wir gesehen haben - auch absolut das Zeug dazu. Dieses Match hat Endspiel-Charakter, das weiß im DFB-Team natürlich jeder.
Darum knackt Deutschland die Spanier
Zwar sieht die Bilanz der letzten Jahre gegen die Spanier nicht allzu toll aus, jedoch ist Spanien ein Team, das auch der deutschen Mannschaft liegen könnte. Dies hat vor allem das WM-Spiel 2022 gezeigt. Obwohl damals im DFB-Team fast nichts zusammenlief, zeigte es gegen Spanien ein wirklich gutes Spiel und hätte absolut auch die Möglichkeiten gehabt, dieses für sich zu entscheiden.
Generell profitiert Deutschland davon, wenn das gegnerische Team auch mitspielt und sich nicht nur in der eigenen Hälfte versteckt. Im Gegensatz zu den anderen spanischen Gegnern bisher hat Deutschland auch die Qualität, im Umschaltspiel erbarmungslos zuzuschlagen. Mit Spielern wie Jamal Musiala, Florian Wirtz und Leroy Sané ist nicht zu spaßen. Dies gilt vor allem, wenn die Offensiv-Künstler der Spanier die Defensivarbeit vergessen. Hierbei ist auch Pedri ein gutes Beispiel, der zwar fußballerisch überragend ist, für einen Achter defensiv aber wenig macht.
Die Lücken, die Spanien gegen Georgien phasenweise aufgewiesen hat, könnten die DFB-Stars auf jeden Fall nutzen. Hinzu kommt, dass das deutsche Team im Schnitt etwas erfahrener ist und sich mit großen Spielen auskennt. Leute wie Neuer, Kimmich, Rüdiger, Kroos oder Gündogan wissen einfach, wie man große Schlachten zu schlagen hat. Mit Julian Nagelsmann hat Deutschland zudem einen taktisch ausgezeichneten Coach, der wissen wird, wie er die Mannschaft auf- und einstellt.
Hinzu kommt natürlich der Heim-Vorteil. Das DFB-Team spielt gerne in Stuttgart und hat dort in der Vorrunde auch schon Ungarn bezwungen. Die EM-Stimmung ist im Land angekommen und die Atmosphäre im Team scheint gut zu sein. Nachdem die Pflichtaufgaben erfüllt sind, kommt mit Spanien nun die Kür. Das macht den Druck nicht mehr ganz so groß, wie er beispielsweise noch im Achtelfinale war.
Gefühlt hat das EM-Abenteuer für das deutsche Team gerade erst angefangen. Niemand ist für ein Ausscheiden bereit und es gibt gute Gründe dafür, dass die Party noch nicht vorbei ist.