Deutsche U21 im EM-Finale: Wird das Nachwuchsproblem überschätzt?

Das Deutsche U21-Team hat den Sprung ins Finale geschafft. Sind die Nachwuchs-Probleme vielleicht doch nicht so groß?
Das Deutsche U21-Team hat den Sprung ins Finale geschafft. Sind die Nachwuchs-Probleme vielleicht doch nicht so groß? / BSR Agency/Getty Images
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Am Donnerstagabend sahen wir beim 2:1-Sieg gegen die Niederlande die vielleicht beste Partie einer deutschen Juniorenauswahl seit mehreren Jahren. Trotz eines etwas wackligen Turnierverlaufs und der Zitterpartie gegen Dänemark hat sich die U21-Elf von Stefan Kuntz ins Finale gespielt. Eine beachtliche Leistung, zumal das Team im Vorfeld der EM eher verspottet und als schlechter Jahrgang abgestempelt wurde. Nun stellt sich folgerichtig die Frage, ob die Kritik am deutschen Nachwuchs nicht generell zu weit ging.


Seit einiger Zeit beklagt sich Fußball-Deutschland lautstark über ein Nachwuchsproblem. "Wenn wir dauerhaft mit unserer Nationalmannschaft an der Weltspitze mitspielen wollen - und das ist unser Anspruch und erklärtes Ziel -, müssen wir kontinuierlich auf einen Pool von starken Talenten und damit Nationalspielern von morgen zurückgreifen können. Hier sieht die Lage aktuell nicht gut aus", beklagte sich Oliver Bierhoff noch im Januar über die Situation.

Der DFB-Sportdirektor gab gegenüber der Welt am Sonntag zu bedenken, dass es nur noch vereinzelt gute Talente pro Jahrgang gäbe und man dabei sei, die Zukunft zu verspielen.

Goldene Generation oder schwacher Jahrgang: Wo steht der deutsche Nachwuchs wirklich?

Doch ist die Lage im deutschen Nachwuchs wirklich so dramatisch, wie sie von Bierhoff und zahlreichen anderen Experten beschrieben wird?

Beim Blick auf den Kader beim U21-EM-Titel aus dem Jahre 2009 wird einem schon ein wenig schwindelig. Mit Manuel Neuer, Jérôme Boateng, Mats Hummels, Benedikt Höwedes, Sami Khedira und Mesut Özil finden wir Spieler im Kader, die eine Top-Karriere hingelegt haben und im WM-Finale 2014 auf dem Platz standen.

Natürlich ist es da zunächst schwierig, in der heutigen U21 derart viele Kaliber zu sehen, die in die Fußstapfen des Sextetts treten können. Allerdings handelt es sich dabei schon auch um eine goldene Generation, die es vielleicht nur alle 20-30 Jahre geben kann.

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Eine goldene Generation: Die WM-Helden Neuer, Boateng, Höwedes, Hummels, Khedira und Özil wurden 2009 U21-Europameister. / PATRIK STOLLARZ/Getty Images

2017 reichte es für den DFB dann erneut zum Titelgewinn. Mit von der Partie war unter anderem Bayern-Star Serge Gnabry. Spieler wie Mahmoud Dahoud oder Maximilian Arnold haben zwar auch einiges auf dem Kerbholz, ist Gnabry aber tatsächlich der einzige Spieler, der 2021 bei der "großen EM" mit von der Partie ist.

Niemand würde auf die Idee kommen, die 2017er Mannschaft als goldene Generation abzustempeln, jedoch zeigt auch dieses Beispiel, dass der DFB international gesehen gut unterwegs ist. Die Mannschaft von heute lässt sich mit der von vier Jahren auch durchaus gut vergleichen.

Blick in die Vergangenheit zeigt: "Das Team ist der Star"

Natürlich haben andere Nationen wie England oder Frankreich die größeren Namen, jedoch ist das keine gänzlich neue Erkenntnis. Blickt man ein wenig zurück, so wird schnell klar, dass das DFB-Team auch im Erwachsenenbereich selten die größten Namen auf den Platz stehen hatte. Deutschland kam schon immer über eine gute Kaderbreite und eine funktionierende und eingeschworene Truppe.

"Das Team ist der Star" ist ein Zitat, das in Verbindung mit der DFB-Elf schon häufig zu hören war. Die U21-Truppe aus dem Jahr 2009 und der Weltmeister-Kader von 2014 waren da gewissermaßen eher eine Ausnahme.

Die heutige U21-Mannschaft zeigt aber genau das, was schon häufiger angeblich unterlegene DFB-Teams weit gebracht hat. In der jungen Mannschaft steckt unglaublich viel Einsatz, Mentalität und die Bereitschaft füreinander zu kämpfen. Eigenschaften, die der A-Nationalmannschaft zuletzt verloren gingen, weshalb die Löw-Elf trotz einiger Stars heftige Niederlagen einstecken musste.

Von daher muss der Grundsatz nicht zwingend gelten, dass die neue Generation hinter den Erfolgen der alten Generation zurückbleiben muss.

Wird der deutsche Nachwuchs unterschätzt?

Doch auch was die Einzelspieler betrifft, sieht es im deutschen Nachwuchs nicht so schlecht aus. Zu berücksichtigen ist schließlich auch, dass in anderen Nationen junge Talente noch schneller gehyped werden als hierzulande. Ein junger Engländer, der in der Premier League ein paar sehenswerte Aktionen auspackt, wird auf Anhieb mit einem Mega-Marktwert ausgestattet. In Deutschland geht das schon ein wenig schleppender vonstatten.

Hinzu kommt, dass es die Bundesliga aufgrund ihrer Ausgeglichenheit Talenten nicht leicht macht, zu glänzen. In der Serie A oder La Liga gibt es mehrere schwache Teams, gegen die ein Spieler nun mal relativ leicht gut aussehen kann bzw. in denen er sich einen Stammplatz sichern kann. Dagegen wirken Spieler wie Maier, Burkardt oder Dahmen auf den ersten Blick schwach, zumal sie sogar in einem schwächeren Bundesliga-Team um ihren Platz kämpfen müssen oder auf der Bank sitzen. Auf diese Weise wird ihr Talent jedoch unterschätzt.

Ein weiterer Grund für die zu negative Bewertung des deutschen Nachwuchses ist die Tatsache, dass ungewohnt viele Youngsters im Ausland spielen. Akteure wie Nmecha, Dorsch, Berisha oder Adeyemi zeigen dort aktuell starke Leistungen. Wirklich auf dem Schirm hatte das Quartett allerdings kaum jemand.

Selbst in der Bundesliga hatte man den Eindruck, dass Spieler wie Pieper (Bielefeld) oder Nico Schlotterbeck (Union/Freiburg) trotz starker Leistungen von niemandem als echte Talente erachtet wurden. Erst jetzt zeigt sich langsam, dass die Akteure besser sind als vielleicht gedacht.

Havertz, Baku und ein überragendes U19-Trio: Auf diese Top-Talente kann der DFB setzen

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Champions-League-Sieger und EM-Hoffnung: Der 21-Jährige Kai Havertz ist ein echtes Auhängeschild für den DFB. / David Ramos/Getty Images

Zudem darf nicht vergessen werden, dass mit Kai Havertz und Jamal Musiala zwei absolute Top-Talente bereits im Aufgebot von Joachim Löw stehen. Auf Florian Wirtz und Ridle Baku hätte dies zudem auch zutreffen können, zumal beide eine sehr starke Saison hinter sich gebracht haben. Mit dem Quartett hat der DFB schon mal einen Grundstein, auf dem sich in Zukunft weiter aufbauen lässt.

Generell lässt sich sagen, dass mit Wirtz, Musiala und Youssoufa Moukoko drei Talente zu Verfügung stehen, die mit 18, 18 und 16 Jahren unglaublich weit sind und auch weltweit zu den stärksten Spielern ihres Jahrgangs gehören. Drei solche Ausnahme-Talente zur gleichen Zeit hat es in Deutschland bislang auch nur sehr selten gegeben. Selbst Spieler wie Kimmich, Gnabry, Hummels oder Goretzka waren in diesem Alter noch lange nicht so weit.

Das junge Trio hat absolut die Chance darauf, in die Weltklasse vorzudringen. In Kombination mit einer kompakten Mannschaft ständen die Chancen auf einen deutschen Turniererfolg also auch in zehn Jahren noch ganz gut.

Trotz Finaleinzug der U21-Truppe: Auf den DFB wartet Arbeit

Es kann also definitiv nicht davon die Rede sein, dass der deutsche Fußball aufgrund von Talent-Armut zur baldigen Chancenlosigkeit verdammt ist. Natürlich ist es aber auch so, dass gewisse Probleme zu erkennen sind.

Wenngleich die U21 jetzt bereits zum dritten Mal in Folge im Finale steht, sah es bei der U19 zuletzt nicht ganz so toll aus. Nach dem EM-Titel 2014 schaffte das Team nur noch einmal mit Rang fünf ein achtbares Resultat. In den Jahren 2018 und 2019 waren die DFB-Youngster hingegen erst gar nicht qualifiziert. Die U17 schied beim letzten EM-Turnier 2019 ebenfalls in der Vorrunde aus. Selbst über das derzeitige U21-Team würde man heute wohl anders sprechen, wenn das Elfmeterschießen gegen Dänemark ein schlechtes Ende genommen hätte.

Auf den DFB warten demnach mit Sicherheit einige Hausaufgaben und die ein oder andere Konzept-Änderung. Die Dauerkritik am deutschen Nachwuchs und das Gejammer über fehlende Talente sollten dennoch endlich eigestellt werden.