Der 'Circle Of Life' auf Schalke: Was hat sich wirklich in der Rückrunde verändert?
Von Yannik Möller
Mit der Heimniederlage gegen den FC Augsburg hat Schalke einen neuen Saison-Tiefpunkt erreicht, der in großer Kritik an der Mannschaft und speziell an Trainer David Wagner mündet. Dabei scheint sich der S04 mit seinen Trainern Jahr für Jahr im Kreis zu drehen - was hat sich im Vergleich zur erfolgreichen Hinrunde also verändert?
"Und im ewigen Kreis, dreht sich unser Leben. Dem Gesetz der Natur, sind wir geweiht." Elton John war es, der diesen Text für den Film König der Löwen schrieb, für das Filmtheme Der Ewige Kreis, im englischen Original auch Circle Of Life.
Worte, die auch auf den FC Schalke 04 zutreffen könnten. Immerhin erfährt der traditionsreiche Verein aus dem Westen derzeit ein erneutes Déjà-vu: Mit Trainer David Wagner war der Klub zunächst erfolgreich, Euphorie und Freude beherrschten die königsblaue Stimmungslage. Seit dem deutlichen Abwärtstrend der Rückrunde ist das jedoch längst vorbei: In den sozialen Netzwerken ist der Trainer stark angezählt, viele sehen mit ihm keine Zukunft mehr. Er könnte noch in dieser Saison seinen Posten räumen müssen.
Wieder einmal kam ein neuer Fußballlehrer nach Gelsenkirchen, nachdem man eine komplizierte Saison (oder zumindest Halbserie) hinter sich gebracht hat. Das Gefühl von Aufschwung umgab das Vereinsgelände, positive Energie und Vorfreude mischten sich ein. So auch dieses Mal, schließlich versprach Wagner unter der Führung von Sportvorstand Jochen Schneider, endlich einen offensiven und leidenschaftlichen Fußball spielen zu wollen. Die Hinrunde war - auch an den Erwartungen gemessen - sehr erfolgreich. Nach dem Auftakt der Rückrunde jedoch folgte der haltlose Absturz. Gemündet ist er nun in der 0:3-Heimniederlage gegen den FC Augsburg - bis zum Spiel gegen den S04 die schwächste Mannschaft der Rückrunde, mit mehr als zwei Gegentoren pro Parte im Schnitt.
Die Auftritte der Mannschaft mitsamt zahlreicher Äußerungen Wagners sind nicht mehr mit der Hinrunde zu vergleichen, das fällt jedem auf, der sich nur wenige Minuten aus den letzten Spielen angeguckt hat. Doch was hat sich eigentlich so stark verändert?
Übergeordnet steht die Herangehensweise: Schalke lässt Mut und Leidenschaft vermissen
Gestartet war Schalke in die Saison, wie die Stimmung auch war: Mutig, frisch und mit Leidenschaft. Damit sind nicht nur die ersten paar Spieltage gemeint, sondern etwa zwei Drittel der Hinrunde. Natürlich gab es auch leicht negative Ausreißer, aber schnell zeigte sich ein Fortschritt, zeigten sich die Verbesserungen im Spiel. Das Team schien optimistisch und gar wagemutig aufzutreten, so gut wie jeder einzelne Spieler warf sich in jeden einzelnen Zweikampf, sie traten mit gefühlt jedem Schritt füreinander ein, die Laufleistung nahm spürbar zu.
Begünstigt wurde dieses Auftreten durch ein in der Regel hohes Pressing, durch das Wagner hohe Balleroberungen und somit gefährliche Tor-Aktionen herausarbeiten wollte. Oftmals gelang das auch, andere Male setzte Königsblau eher auf das Umschaltspiel aus der eigenen Hälfte mit schnellen und kreativen Spielern in der Offensive. So konnten die Knappen auch den damaligen Tabellenführer RB Leipzig mit 3:1 besiegen. Symbolisch an dieser Stelle Rabbi Matondo: Gegen RB schob er noch locker ein, gegen den FCA am Sonntag vergab er eine ähnliche Chance.
Der große und wohl endgültige Knick in der gesamten Herangehensweise erfolgte durch die satte 0:5-Niederlage gegen den FC Bayern. Ein schlechter Auftritt, der mit einem verdienten Ergebnis besiegelt wurde. Was folgte, war jedoch das Gegenteil einer guten wie wichtigen Reaktion. Wagner war eher auf Vorsicht bedacht, als auf Mut. Eher auf das Verhindern des Gegners, als auf das eigene Spiel. Und genau an dieser Stelle erfolgte der große Bruch. Aus dem Credo, unabhängig vom Gegner das eigene Spiel und die eigenen Stärken ausspielen zu wollen, wurde eine in großen Teile veränderte Denkweise aus dem Boden gestampft. Anstatt sich am Erfolg wieder zu berauschen, suchte Wagner das eigene Heil zunächst im destruktiven Agieren - ein Fehler, der bereits Domenico Tedesco kurz nach Beginn der Saison 2018/19 das Leben um ein Vielfaches erschwerte. Stichwort Circle Of Life.
Wagner ist angezählt, Fans sind genervt: Woraus sich die Kritik am Schalke-Coach speist
An dieser Stelle wächst auch die Kritik am S04-Coach. Immer wieder wurde während der Saisonvorbereitung und inmitten der erfolgreichen Wochen betont, dass Königsblau weiterhin auf die eigenen Stärken bauen will. Wagner erklärte noch nach dem erfolgreichen Rückrunden-Auftakt gegen Borussia Mönchengladbach, dass keine Mannschaft gerne gegen Schalke spielt.
Mittlerweile ist in vielen Belangen das genaue Gegenteil eingetreten. Man spielt langsam, träge und ungefährlich. Die Mannschaft kann die eigenen Stärken nicht mehr nutzen, und erneut gibt man den Robin Hood der Liga, der den vermeintlich kleinen Vereinen die Punkte geradezu schenkt. In den letzten Wochen war es ein Geschenk, gegen den S04 antreten zu müssen - das muss so klar gesagt werden.
Wagner wich zu großen Teilen von seinen Konzepten ab, suchte nahezu die Ausreden in der Verletztenmisere, während er gleichzeitig verkannte, dass die spielerisch schlechten Auftritte bereits im letzten Drittel der Hinrunde starteten, als alle Spieler an Bord waren. Auch hier eine komplette Drehung: Erinnerte der 48-Jährige in der Hinrunde noch regelmäßig daran, dass man unveränderliche Dinge schlicht hinnehmen und an anderen Dingen arbeiten muss, schiebt er verletzte Spieler (selbstredend kein Vorteil) und ähnliche Ausreden nach vorne. Eigene Fehler, taktischer Natur beispielsweise, sind augenscheinlich nie existent - zumindest hörte der S04-Anhänger derartige Worte bislang nie.
Ein zwar kleinerer Aspekt, aber einer mit Symbolwert: An der Seitenlinie coachte Wagner sein Team in der Regel laut und unterstützend, positiv und motivierend. In der Rückrunde sind die verschränkten Arme mit leerem Blick Standard geworden. Das, was BVB-Coach Lucien Favre teilweise vorgeworfen wurde, verkörpert nun der Fußballlehrer des Erzrivalen. Kaum Impulse, keine sichtbare Gier schon vom Trainer - wie soll so etwas auf die Mannschaft abfärben?
Schalker Spielweise in der Hinrunde kaschiert: Kaum Torgefahr und starkes Überperformen
Und trotzdem darf nicht der Fehler gemacht werden, dass die spielerischen Auftritte zwischen Hin- und Rückrunde gänzlich gegenüber gestellt werden. Es gilt sogar festzuhalten, dass sie sich in so manchen Faktoren ähneln. Das ist vor allem beim Herausspielen von Torchancen der Fall. Schon Mitte Dezember konnte ein statistisches Zwischenfazit gezogen werden: Keine Mannschaft holte so viele Punkte aus einer so geringen xG-Differenz, wie Schalke. Der xG-Wert (expected Goals) gibt an, wie viele und wie große Torchancen sich eine Mannschaft herausspielt. Hier hatte der S04 ganz große Probleme, die durch gute Ergebnisse aber kaschiert wurden.
Schalke hat eindeutig überperformt, mehr Punkte geholt, als sie eigentlich verdient hätten. Natürlich geht es im Fußball nicht um verdiente Siege, sondern lediglich um die Punkte. Fußball ist und bleibt schließlich ein Ergebnissport (Phrasenschwein-Alarm). Trotzdem ist dieser Aspekt ein sehr guter Indikator dafür, dass die aktuell sehr großen Probleme nicht erst plötzlich, nicht erst durch Verletzte und nicht erst durch eine Formkrise entstanden sind. Sie waren schon da, allerdings wurden sie oftmals klein- und schöngeredet. Ein gefährlicher Fehler, den das Trainerteam ebenfalls gemacht hat.
Der Twitter-User René hat sich vor dem Rückrunden-Start die Mühe gemacht, und sich vergangene Halbserien der Knappen genauer angesehen. Auch seine Beobachtungen kommen zu dem Fazit, dass Schalke deutlich erfolgreicher war, als sie es eigentlich - gemessen an den spielerischen Auftritten - eigentlich hätten sein dürfen. (Tweet anklicken für volle Größe)
Bemerkenswert: Unter Wagner hat man in der Hinrunde einen ähnlichen xG-Wert vorzuweisen gehabt, wie in der Rückrunde 2018/19. Also in der Saison, in der die Knappen beinahe abgestiegen wären. Minimal gefährlicher war man vor dem gegnerischen Tor, nur leicht besser wurde verteidigt. Die bereits so schlechte Hinserie der letzten Saison war sogar deutlich besser, was erwartete Tore wie Gegentore betrifft. Der große Unterschied auch hier: Mehr Tore wurden geschossen, weniger Tore wurden kassiert, mehr Punkte wurden ergattert, als sich Schalke theoretisch erspielt hat. Die klassische Definition einer Mannschaft, die überperformt und von der (auch zurecht) guten Stimmung profitiert hat.
Fazit: Kritik an Wagner ist gerechtfertigt - Alte Schwächen sichtbar und doch verkannt
So lassen sich schlussendlich viele Punkte zusammenfassen. Die größten Unterschiede zur erfolgreichen Hinrunde bestehen in der allgemeinen Herangehensweise und der augenscheinlich veränderten Arbeit und Einstellung um die Mannschaft herum. David Wagner bietet dabei sehr viel Angriffsfläche, weil er sich in so manchen Aspekten beinahe um 180 Grad gedreht an - angefangen beim taktischen Stil, über die Ausreden, bis hin zum geradezu emotionslosen Auftreten an der Seitenlinie. Um es drastisch und vermutlich etwas überspitzt zu formulieren: Wagner verkörpert nahezu den negativen Umschwung der letzten Monate. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass ihn ein sehr großer Teil der Kritik trifft.
Nichtsdestotrotz darf nicht der Fehler gemacht werden, die derzeitige Phase lediglich als gewöhnlicher Schwachpunkt einer jungen Mannschaft abzutun. Das ist es sicherlich auch, viele Spieler rennen ihrer guten Form hinterher. Zu verkennen, dass auch die Hinrunde - auch wenn sie punktemäßig von Erfolg gekrönt war - schon ihre großen Schwächen hatte, und diese nun jedoch deutlicher ans Tageslicht getreten sind, wäre ebenfalls gefährlich.
Wagner hatte nicht den Auftrag, Schalke in seiner ersten Saison zurück nach Europa zu führen. Er sollte eine Spielidee entwickeln, geprägt von Leidenschaft, Mut und Gier, mit viel Zug nach vorne. An dieser Stelle, auch inmitten dieser erneuten Krise, lässt sich festhalten: Das hat er nicht geschafft. Es werden schwere Wochen für ihn, Sportvorstand Schneider wird ein kritisches Auge auf die geleistete Arbeite werfen müssen. Dem Gesetz der Natur...