Das Formbarometer der Werder-Profis: Hinten hui, vorne pfui
Von Marc Knieper
Werder Bremen befindet sich trotz dünner Personaldecke und vielerlei Improvisation im relativ gesicherten Mittelfeld der Bundesliga. Nach 15 gespielten Partien wirft 90min einen umfassenden Blick auf die bisherige Form der Grün-Weißen.
Am Bremer Osterdeich schaut man derzeit wahrlich von Spiel zu Spiel. Während die Werder-Fans nach der desaströsen 0:2-Heimpleite gegen Union Berlin zu Jahresbeginn ihre Köpfe bereits in den Sand steckten, ist nach dem ordentlichen 1:1 bei Bayer Leverkusen vom vergangenen Wochenende wieder alles paletti. Schaut man auf die Tabelle, so sieht man ein mehr oder minder gefestigtes Team auf Platz 13 - immerhin acht Punkte vor Schalke und dem direkten Abstiegsrang. Mit Blick auf die vergangene Seuchensaison samt Fast-Abstieg ein akzeptables Zwischenergebnis für den SVW.
Werders Tabellenumfeld:
- 12. Hertha BSC - 16 Punkte
- 13. SV Werder - 15 Punkte
- 14. Hoffenheim - 15 Punkte
- 15. Bielefeld - 13 Punkte
- 16. FC Köln - 11 Punkte
- 17. Schalke - 7 Punkte
- 18. Mainz - 6 Punkte
Tabelle 2020/21 nach 15 Spieltagen
Cheftrainer Florian Kohfeldt versucht Woche für Woche aus begrenzten Mitteln das mögliche Optimum herauszuholen, setzt dabei auf eine deutliche Verjüngungskur und formt trotz ausgebliebener Neuzugänge eine Mannschaft, die zwar keinen "Kaviar-Fußball" spielt, aber zumindest kämpft und fightet.
Hinten hui, vorne pfui: Das folgende Formbarometer zeigt die (spielerischen) Schwachstellen einzelner Werder-Akteure im Detail auf. Besonders auffällig: Werder riskiert viel, kann aus wirtschaftlichen Gründen aber nicht auf dem Transfermarkt zulangen. Gerade die so wichtige Position des defensiven Spielgestalters fliegt deutlich unter dem Radar.
1. Tor
Das Suchen hat ein Ende: Nach der Ära von Kultkeeper Tim Wiese (2005-2012) hat der SV Werder endlich wieder einen langfristig starken Torhüter gefunden. Jiri Pavlenka weiß auch in dieser Saison mit blitzartigen Paraden und starken Eins-gegen-Eins-Situationen auf der Linie zu überzeugen. Die Schwachstellen des tschechischen Schlussmannes bleiben derweil sein überhastetes Herauseilen aus dem Sechzehner und seine Abstöße auf die Außenpositionen, die allzu oft den Weg auf die Stadiontribüne finden.
Alles in allem ist 'Pavlas' allerdings der Mann in Bremen, der gut und gerne die Fehler seiner Vordermänner ausbügeln kann. Das belegen auch die Zahlen: Während Werder in der Vorsaison nach 15 Spielen satte 35 Gegentore zu Buche standen, befindet man sich in dieser Saison mit gerade einmal 24 Gegentoren in einer deutlich komfortableren Situation und hat dabei nicht einmal mehr zugelassen als Tabellenprimus Bayern (ebenfalls 24 Gegentore).
Formbarometer: ↑
Note: 2
2. Abwehr
Dass Pavlenka in dieser Spielzeit deutlich weniger hinter sich greifen muss, liegt auch an einer stabileren Defensive. Stabilisator Nummer eins ist dabei Ömer Toprak. Der Defensiv-Oldie verpasste mehr als die Hälfe der vergangenen Spielzeit verletzungsbedingt. Nun kann Toprak ungestört auflaufen und hält die Abwehrkette als zentraler Dreh- und Angelpunkt weitestgehend dicht. Als aktuelles i-Tüpfelchen gelang dem 31-Jährigen am vergangenen Spieltag sogar der zwischenzeitliche 1:0-Führungstreffer gegen seinen einstigen Arbeitgeber Bayer 04 Leverkusen.
Neben Toprak spielt sich insbesondere Jungspund Marco Friedl in das Rampenlicht der defensiven Werder-Zentrale. Der Österreicher, ausgebildet in der Jugend des FC Bayern, stieß Kapitän Niklas Moisander längst vom Thron und bringt dabei Woche für Woche eine ebenso konstante Leistung auf den Platz wie etwa Werders Außenverteidiger Theodor Gebre Selassie sowie Vorlagengarant Ludwig Augustinsson (sechs Assists).
Das von Florian Kohfeldt präferierte System mit defensiver Dreierkette lässt zudem einen weiteren Innenverteidiger zu. In der Vergangenheit ließ sich gerne der Spätberufene Christian Groß als eigentlicher Sechser zwischen Toprak und Friedl fallen. Seitdem allerdings Milos Veljkovic - nach über zweimonatiger Abstinenz - wieder auf den Beinen ist, schwört Werders Übungsleiter auf die Dienste des Serben.
Kein Wunder, denn Veljkovic bildet Werders absolute Anti-Pleiten-Garantie. Mit Veljkovic in der Startelf verloren die Hanseaten in dieser Spielzeit noch keine einzige Partie (zwei Siege, vier Remis).
Formbarometer: ↑
Note: 2-
3. Mittelfeld
Im Bremer Mittelfeld geht es bei weitem nicht um Perfektion, sondern adäquate Improvisation. Den Norddeutschen fehlt seit längerer Zeit ein prägender, spielerischer Sechser, der nicht nur mit dem Verteidigen beschäftigt ist, sondern sich vor allem durch einen überragenden Spielaufbau in das Rampenlicht bugsiert.
Mit Hoffenheim-Leihgabe Kevin Vogt sowie dem gen Amsterdam abgewanderten Davy Klaassen hatte der Bundesligist in der abgelaufenen Spielzeit auf der Sechserposition zwei adäquate Improvisationslösungen, die in dieser Saison merklich fehlen. Dass mit Jean Manuel Mbom nun ein unerfahrener Jungspund eine solche Mammutaufgabe im zentral-defensiven Mittelfeld übernimmt, sagt alles über die begrenzten Mittel an der Weser aus.
Dennoch mache Mbom seinen Job gut, findet Kohfeldt und verriet gegenüber der BILD nach der Leverkusen-Partie: "Ich würde ihn aber noch nicht als spielenden Sechser sehen. Er leitet noch nichts ein, sondern bringt das robuste Element rein ins Spiel. Aber das andere muss noch kommen."
Ebenso überfordert mit der Sechserposition scheint Werders eigentlicher Achter Maximilian Eggestein. Als Taktgeber des gesamten Mittelfelds fühlt sich das Bremer Eigengewächs weiterhin überfordert und kann auch Spielern wie Christian Groß oder Kevin Möhwald, die übrigens jeweils über 100 Bundesliga-Einsätze weniger als Eggestein haben, nicht passend koordinieren.
Das Umstellungsspiel der Grün-Weißen dauert schlicht zu lange. Aus Kontersituationen nehmen Eggestein, Möhwald und Co. einfach IMMER die Geschwindigkeit heraus und suchen lieber den Sicherheitspass über die Abwehrkette oder sogar Torhüter Pavlenka, anstatt auch einmal den risikoreichen Schnittpass in die Tiefe zu spielen. Die angesprochene Improvisation schnitzt das Mittelfeld zu einem Angsthasen.
Formbarometer: ↓
Note: 4
4. Sturm
Was im Mittelfeld beginnt, setzt sich auch in der Offensive fort. Einmal davon abgesehen, dass Bremens Mittelstürmer wie etwa Josh Sargent ohnehin kaum starke Bälle aus dem Zentrum erhalten, scheinen sie bei Großchancen und dem Gang alleine auf das gegnerische Gehäuse zu zimperlich und ängstlich. Die Hoffnung einer schnellen Rückkehr von Niclas Füllkrug war ebenso begründet wie das jetzige Pochen auf eine weitere Tor-Serie des 27-Jährigen.
Denn so viel Sargent, Chong, Schmid, Bittencourt und Co. auch gegen den Ball "ackern" mögen, wie Flo Kohfeldt zu sagen pflegt, so zählt am Ende des Tages als Angreifer nun einmal die Torausbeute bzw. Torbeteiligung. Wenn ein Sargent als gestandener, noch junger Bundesligaprofi Woche für Woche das Vertrauen seines Cheftrainers erhält, nach 14 gespielten Partien aber nur einen einzigen Treffer erzielt und in einigen Spielen über 90 Minuten zu keiner einzigen nennenswerten Chance kommt, so muss er sich gewaltig an die eigene Nase fassen.
Hoffnung liegt derweil bei Rakete Milot Rashica, der nach überstandener Oberschenkelverletzung in Kürze endlich wieder durchstarten soll. Yuya Osako und Davie Selke treiben die Fans mit fehlender Leistung wöchentlich in den Wahnsinn, United-Leihgabe Tahith Chong hat den Anschluss im deutschen Oberhaus bisher noch nicht gefunden.
Formbarometer: ↓
Note: 4-