Daniel Thioune beendet Schmusekurs - und fängt zu grummeln an
Von Guido Müller
Die Flitterwochen zwischen Team und Trainer beim Hamburger SV sind vorbei. Oder um es in Worten eines früheren Vorstandsvorsitzenden des Klubs zu formulieren: honeymoon is over. Knapp eineinhalb Monate nach seiner Präsentation als neuer Chef-Coach in Hamburg zieht Daniel Thioune nach der zweiten Niederlage im dritten Testspiel verbal die Zügel an.
Sind die ersten Tage eines neuen Trainers, ganz gleich bei welchem Klub auch immer, meistens von Nettigkeitsphrasen und abstrakten Ankündigungen geprägt ("Ich muss mir erstmal ein Bild von der Mannschaft machen!", "Wir müssen erst noch zueinander finden!" oder "Es wird ein wenig dauern, bis das Team meine Ideen umsetzt!"), holt den jeweiligen Übungsleiter die Realität spätestens nach den ersten Testspielen ein.
Thioune probiert viel aus - und wird in der Wortwahl deutlicher
Und natürlich kennt auch ein Daniel Thioune das Geschäft gut genug, um erahnen zu können, dass nach den zwei Niederlagen gegen dänische Erstligisten (von denen einer sogar der amtierende Meister des nördlichen Nachbarlands ist) die Stimmen derer lauter werden, die auch nach sieben Wochen seines Wirkens im Volkspark immer noch keine nachhaltige Entwicklung erkennen können. Er täte allerdings gut daran, sich davon nicht beirren zu lassen - und in dieser Vorbereitungszeit weiterhin alles auszuprobieren, was geht. Nur wer seinen Kader richtig gut kennt, wird ihn auch zu einer erfolgsversprechenden Einheit schweißen können.
Und ausprobiert hat Thioune schon so einiges in den ersten Tests: Aaron Opoku als Außenverteidiger, Klaus Gjasula als Innenverteidiger, Khaled Narey als Wandler zwischen rechter defensiver Außenbahn und linker Offensive - und immer wieder Bobby Wood, der nun, wo er nunmal nicht wegzuzaubern ist, regelmäßig seine Chancen bekommt. Der Ertrag bislang: recht mager. Nicht nur bei Bobby Wood. Obwohl der HSV - das gehört auch zur Wahrheit - in keinem der beiden letzten Testspiele gegen Midtjylland und Randers spielerisch klar unterlegen war. Ok, die ersten Minuten gegen den Ex-Van der Vaart-Klub mal ausgenommen. Doch die Dänen sind in der Vorbereitung auch schon ein paar Wochen weiter als die Hanseaten. Vor allem was das defensive Gesamtkonzept betrifft, scheint die Mannschaft etwas stabiler zu stehen, als im Vorjahr. Nach eigenem Ballverlust wirkt das Gegenpressing energischer als unter Hecking.
"Das gefällt mir nicht!"
Doch leider wiederholt sich gleichzeitig das schon aus der letzten Zweitliga-Saison all zu gewohnte Bild: der HSV hat über weite Strecken optisches Übergewicht, der HSV generiert viel Ballbesitz - doch macht er auch im Spätsommer 2020 immer noch erschreckend wenig daraus. "Auch wenn unser Schwerpunkt darauf lag, dass wir nicht so viel zulassen wollten, darf man deutlich agiler nach vorne agieren und torgefährlicher sein", kommentierte Thioune entsprechend frustriert die in seinen Augen unnötige Niederlage gegen Randers gegenüber Mopo. Zumal zum fehlenden Esprit in der Offensive auch weiterhin zu viele individuelle Black-Outs kommen, die den Gegner förmlich zum Toreschießen einladen."Wir haben es hergeschenkt. Das gefällt mir nicht. Es war fahrlässig und absolut unnötig."
Wohltuend an dieser Stelle, dass Thioune gar nicht erst den Versuch unternahm, die Pleite gegen die Dänen schönzureden. Denn zwischen dem gestrigen Gegner FC Randers und dem Rivalen vom Donnerstag, dem dänischen Meister Midtjylland, liegen dann auch in Dänemark noch ein paar Niveaustufen. Mit der Titelvergabe in Dänemark war der FC Randers (als siebter der den Play-offs vorausgehenden Vorrunde) in der vergangenen Saison jedenfalls nicht beschäftigt.
Thioune moniert zu einfache Ballverluste und zu wenig Balltempo
Was auch Thioune in seine Kritik mit einbezog: "Akzeptanz ist relativ schwierig, wenn man die Tore so bekommt und so nach vorne spielt. Wir müssen ehrlich sein, der Gegner hatte nicht die Qualität wie am Donnerstag Midtjylland. Ich akzeptiere ein gewisses Maß an Müdigkeit. Das war bewusst so gewählt. Das darf aber nicht als Entschuldigung herhalten. Es waren zu einfache Ballverluste dabei und es gab auch zu wenig Balltempo." Unschwer zu erraten, wo ab morgen (im Rahmen des einwöchigen Trainingslagers in Österreich) die Stellschrauben angesetzt werden soll: im Offensivspiel.
Terodde-Debüt beim Trainingslager in Tirol
Um so besser, dass dann auch der neuverpflichtete Torjäger Simon Terodde mit von der Partie sein kann. Auch das Quartett der Rekonvaleszenten um Ewerton, Gideon Jung, Jan Gyamerah und Sonny Kittel wird den HSV-Tross in die Alpenrepublik begleiten. "Der Plan", so Thioune, "ist, dass alle Verletzten in der nächsten Woche wieder ins Training einsteigen und mit ins Trainingslager gehen." Und somit die personellen Optionen - vorbehaltlich noch ausstehender Zu-und Abgänge - für den Coach erweitern.
Tests gegen den VfB Stuttgart und Feyenoord Rotterdam
Zwei Tests soll es während des Aufenthaltes in Bad Hähring (Bezirk Kufstein in Tirol) geben: am Mittwoch, 26. August (16.00 Uhr) geht es gegen den VfB Stuttgart, ehe zwei Tage später (zur selben Uhrzeit) der holländische Traditionsklub Feyenoord Rotterdam auf die Rothosen wartet. Dabei kommt es dann auch zu einem Wiedersehen mit dem früheren HSV-Sportvorstand Frank Arnesen. Und dass die Holländer für eine mehr als valide Standortbestimmung taugen, haben sie erst gestern mit ihrem überzeugenden 3:1-Sieg gegen den BVB eindrucksvoll belegt.